Das Recht auf die Stadt braucht vor allem Bewegung

Von Andrejholm

Das Recht auf die Stadt und die Fragen, wem eigentlich die Stadt gehört und wie eine soziale und gerechte Stadt aussehen könnte, werden zur Zeit auf vielen Veranstaltungen, Tagungen und Kongressen aufgegriffen. Am vergangenen Wochenende lud die Ratsfraktion der LINKEN in Düsseldorf zu einer solchen Diskussion ein: „Wem gehört die Stadt?“.

Unabhängig von der Organisation durch die Linkspartei kann der Kongress in Düsseldorf als typische Veranstaltung der aktuellen stadtpolitischen Diskussionen gelten. Der bundesweit eingeladene Wanderzirkus von Recht-auf-die-Stadt-Bewegten, kritischen Stadtforscher/innen und engagierten Künstler/innen wird in dieser oder ähnlicher Zusammensetzung auch in den nächsten Wochen und Monaten zusammenkommen (Freiburg, 20. bis 22. Mai / Hamburg, 02. bis 05. Juni) Ein Blick auf die Struktur solcher Veranstaltungen lohnt sich also.

Auf Podien und in Workshops diskutierten etwa 200 Teilnehmer/innen verschiedene Aspekte von Recht-auf-Stadt-Bewegungen. Neben Arbeitsgruppen, die sich mit der Einschätzung der aktuellen Situation beschäftigten, wurden auch Perspektiven für künftige Strategien diskutiert. Doch so sehr auch der utopische Gehalt des Recht-auf-Stadt-Konzeptes im kulturellen Begleitprogramm (Lesung von Christoph Schäfer: „Die Stadt ist unsere Fabrik“) und den Auftaktpodien („Was bedeutet Recht auf Stadt?“) betont wurde – in den Arbeitsgruppen-Debatten dominierte vielfach die pragmatische Suche nach einfachen Lösungsansätzen für eine andere Stadtentwicklung.

Doch so verständlich die Frage nach den wirklich wirksamen Instrumenten gegen Mietsteigerungen und Verdrängungen sind, so unbefriedigennd müssen die Antworte darauf ausfallen: Es gibt unter kapitalistischen Verhältnissen der Stadtentwicklung keine einfache und dauerhafte Methode, um eine soziale Stadtentwicklung sicherszustellen. Die Geschichte der Wohnungspolitik lässt sich als die Abfolge von unterschiedlichen Re- und Deregulierungsphasen gegenüber den ebenfalls veränderten Verwertungsstrategien der Immobilienwirtschaft. Den einen Königsweg für die soziale Wohnungspolitik wird es dabei nicht geben, zumal auch nationale und lokalstaatliche Besonderheiten Einfluß auf die jeweiligen Stadtentwicklungsprozesse nehmen.

Strategien für eine andere Wohungspolitik stehen vor der Herausforderung grundsätzlich nicht nur eine andere Stadt, sondern eine völlig neue, utopische Gesellschaft einzufordern und auf der anderen Seite Antworten für das Hier und Jetzt zu finden. Erfahrungen und Vorschläge gehören daher auf den Prüfstand der gemeinsamen Debatte. Was sind die möglichen Effekte und anzunehmenden Grenzen von Förderprogrammen, rechtlichen Regelungen oder kommunalen Wohungsbaugesellschaften? Eine fachlich fundierte Debatte wohnungspolitischer Instrumente ist aus dieser Perspektive nicht nur sinnvoll sondern notwendig. Im Kern geht es jedoch vor allem darum herauszufinden, wie eine andere Politik in den Städten durchgesetzt werden kann. In der Jahrmarktstimmung von pragmatischer Reformpolitik und revolutionärem Pathos, zwischen Bewegungsansätzen und administrativen Lösungswegen verloren sich in Düsseldorf jedoch zuweilen die Spuren einer Recht-auf-die-Stadt-Bewegung.

Zu Wort kommen und Aneienander vorbei reden

Eine Herausforderung bei der Planung von größeren Veranstaltungen und Kongressen ist das geeignete Format der Arbeitsgruppen und Diskussionsrunden. Möglichst viele möglichst gleichberechtigt in die Diskussion einzubeziehen steht dabei als Ziel neben der gewünschten inhaltlichen Substanz und dem Wunsch, auch irgendein Ergebnis hervorzubringen. Dass diese verschiedenen Orientierungen sich nicht notwendigerweise bedingen, wurde auch einzelnen Workshops in Düsseldorf deutlich. Ein Beispiel: Die allzu offenen Moderationsführung eines von mir mit vorbereiteten Workshops zu Perspektiven und Strategien von alternativen Wohnprojekten: „Wohnst Du noch?“.

Der mit Vertreterinnen von prominenten Hausprojekten besetzte Workshop verpasste die Chance, einmal ausführlich und tiefgehend über die wohnungspolitischen Effekte und auch Begrenzungen von Häuserkämpfen zu streiten. Statt mit Helma Haselberger (Mietshäusersyndikat, Freiburg), Martina Austen (Hafenstraße, Hamburg) und Inga Sandvoss (Kiefernstraße, Düsseldorf) über die Erfolge und Schwierigkeiten von Hausprojekten und die Übertragbarkeit von dort gemachten Erfahrungen auf andere Sektoren der Wohnungsversorgung zu diskutieren, wurden die Arbeitsgruppe von den (zum mitdiskutieren aufgeforderten) Teilnehmer/innen in eine wohnungspolitisches Wunschkonzert transformiert.

Statt die Erfahrungen der eingeladenen und angereisten Referentinnen zu teilen und für die eigene Diskussion zu nutzen, berichteten Stadtratsabgeordnete und solche, die es werden wollen über ihre Strategie der ‘Kleinen Anfragen’, die Schweinereien des Jobcentrers in Krefeld und die fortgesetzten Privatisierungspoltiken in NRW. Andere wollten über den Vorschlag für eine bundesweite Kampagne zur Begrenzung der Mieten auf Kostenmietniveau diskutieren oder von den anwesenden Hamburger/innen erfahren, in welchen Stadtteilen sich denn der Eigentumswohnungserwerb in Hamburg lohnen würde, weil die Hansestadt zu Ort der Altersruhe in Betracht kommt.

Sicherlich alles berechtigte und wichtige Fragen – aber in einen Workshop zu den wohnungspolitischen Effekten und Perspektiven von besetzten Häusern und Hausprojekten nicht wirklich gut unterzubringen. Überhaupt gingen die Diskussionen zum Teil wild hin und her und zeigten die Grenzen von offenen und unmoderierten Workshops als Kongress-Format auf. Nicht nur die verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkte wurden munter nebeneinander gestellt, auch die räumlichen Bezugsgrößen wurden ständig gewechselt: Während die einen über die lokalen Mobilisierungserfahrungen konkreter Hausbesetzungen sprachen, wollten andere über die administrativen Instrumente einer sozialen Stadtpolitik diskutieren und wieder andere setzten die Änderung des Mietrechts auf der Bundesebene auf ihre Agenda. Wenn wir noch eine Stunde mehr Zeit gehabt hätten, wären wir vermutlich bei dem Recht auf Wohnen in der UN-Menschenrechtscharta angekommen oder hätten über Flugverbotszonen in Aufwertungsgebieten diskutiert….

Häuserkampf und das Recht auf die Stadt

Dabei bietet die Geschichte der Häuserkämpfe und Hausbesetzungshochzeiten eine Reihe von spannenden Hinweisen auf eine andere Stadtpolitik. Trotz aller (und auch berechtigter) Kritik an der subkulturellen Exklusivität der meisten Projekte und der oftmals selbstgewählten gesellschaftlichen Marginalisierung von freiraumorientierten Kampagnen und Projekten lohnt sich ein Blick auf die wohnungspolitsche Bilanz des Häuserkampfes aus der Vergangenheit. Ein paar Stichworte dazu:

Langfristige preiswerte Mieten in Wohnprojekte

In den aktuellen Aufwertungsgebieten von Berlin Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg liegen Mietpreise in den ehemals besetzten Häuser zum Teil deutlich unter den Durchschnittspreisen der Nachbarschaften. Auch die Kiefernstraße in Düsseldorf mit ihren fast 800 Bewohner/innen gilt als eines der letzten Niedrigpreissegmente in der Landeshauptstadt. Während die klassischen wohnungspolitischen Instrumente (Fördeprogramme, kommunaler Wohnungsbau und Sanierunsgrecht) die Verdrängungstendenzen meist nur verzögern und dämpfen konnten, weisen die ehemals besetzten Häuser eine relativ dauerhafte Mietsenkungseffekte auf. Der aktuell entstehende Räumungsdruck (siehe Brunnestraße 183 oder Liebuigstraße 14 in Berlin) ist wohnungswirtschaftlich auf die Ertragslücken des in den Häusern durchgesetzten Mietniveaus und den ortsüblichen Neuvermietungsmieten zurückzuführen. Soziale Wohungspolitik sollte daher auch aus mietenpolitischer Perspektive für den Erhalt der Wohnprojekte einstehen.

Hausprojekte als wohnungspolitische Experimentierfelder

Über die Mietpreise hinaus können viele (nicht alle!) Hausprojekte als Probier- und Experimentierfelder für neue Formen der Bewohnerselbstverwaltung und Eigentumsmodellen gelten. Bewohnergenossenschaften, Gemeinschaftsverträge und auch die rechtlichen Konstellationen des Miethäusersyndikats zeigen, dass es Alternativen zum klassischen Eigentümerrecht gibt. Daraus erwachsen in der Praxis tatsächliche Vorteile der Wohnnsituation: genannt sei hier exemplarisch die Option innerhalb der Hausprojekte ohne Neuvermietungszuschläge Wohnungen zu wechseln und so unkomplizierte Lösungen für die, sich im Laufe des Lebens wechselnden, Wohnbedürfnisse zu finden. Hier wären Debatten spannend gewesen, was die externen aber auch internen Voraussetzungen für solche anderen Bewirtschaftungs- und Verwaltungsmodelle sind und ob eine Übertragbarkeit auf andere Wohnungsmarktbereiche denkbar erscheint. Im Workshop wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob nicht dem Miethäusersyndikat vergleichbare Modelle auch für die Übernahme von vernachlässigten Privatisierungsbeständen oder als Insovenzstrategie im Bereich des ehemaligen Sozialen Wohungsbaus genutzt werden könnten.

Besetzte Häuser als Auslöser für neue Stadterneuerungsregime

Insbesondere größer Besetzungsbewegungen wie im Westend (Frankfurt/Main) der 1970er Jahre oder in Westberlin zu Beginn der 1980er Jahre wirkten weit über den Horizont der besetzten Häuser hinaus und wurden (Mit)Auslöser für einen tiefergehenden Wandel der jeweiligen Stadtpolitiken. So verabschiedete sich die Frankfurter Regierung in den 1970er Jahren zumindest zeitweilig vom sogenannten Fünf-Finger-Plan, der eine Hochhausbebauung im Westend vorsah. In Kreuzberg wurde mit den Hausbesetzungen das Ende der Flächensanierung (Abriss und Neubau) eingeleitet und das Modell der Behutsamen Stadterneuerung entwickelt. Auch wenn die Effekte der Politikwechsel beschränkt blieben (Frankfurt/Main) bzw. in ihrer Langfristwirkung umstritten sind (Behutsame Stadterneuerung), so können sie dennoch als Modell des Politikwechsels beschrieben werden. In beiden Fällen wurde ein in die Krise gratenes Stadtentwicklungsmodell unter dem Druck von massiven Hausbesetzungen und ihren Begleiterscheinungen auf den Straßen in neue Formen des städtischen Planens und Regierens überführt. Dabei sollte den Hausbesetzungsbewegungen keine Intentionalität unterstellt werden – aber das Prinzip, dass viel Bewegung auf den Straßen Unruhe ins System bringt und Wege für Alternativen eröffnet, klingt nicht nur einleuchtend, sondern auch nachahmenswert. Eine Diskussionen hierzu hätten den struktutrellen Faktoren für solche stadtpolitische Regimewechsel nachspüren können, um Anregungen für aktuelle und künftige Kampagenen zu gewinnen.

Das Recht auf die Stadt braucht Bewegung

Leider ist es uns im Workshop nicht wirklich gelungen, Interesse für diese über Hausbesetzungen hinausgehende Relevanz der Bewegungserfahrungen zu vermitteln. So wichtig es sein mag, wohnungspolitische Forderungen zu formulieren und Vorschläge für sinnvolle und auch praktikable Instrumente einer anderen Stadtpolitik zu erarbeiten – ohne Bewegungsdynamik wird sich davon nur wenig durchsetzen lassen. Das Recht auf die Stadt sollte daher weniger als Forderung sondern verstärkt auch als Bewegungsansatz diskutiert werden. Auf dem Kongress in Düsseldorf ist dies nur ansatzweise aufgegangen – aber es gibt ja in den nächsten Wochen und Monaten ausreichend Gelegenheiten, dies nachzuholen.