Aus: Sterne und Weltraum, Oktober 2011
Wir leben in einem Weltall aus Materie. Das mag uns zunächst nicht weiter verwundern, weil wir das als normal ansehen. Doch streng genommen sollte es im Universum genauso viel Antimaterie wie Materie geben. Das heißt zum Beispiel, dass es für jedes negativ geladene Elektron ein positiv geladenes Positron mit gleicher Masse geben sollte. Und während normale Atome aus einem positiven Kern und einer negativen Elektronenhülle bestehen, sollte es auch Antiatome geben, bei denen der Kern negativ geladen und von einer Hülle aus Positronen umgeben ist.
Da aber Teilchen und Antiteilchen in reine Energie zerstrahlen, wenn sie aufeinandertreffen, würde unser Universum dann sehr merkwürdig aussehen: Ständig würden sich Welten aus Antimaterie mit Welten wie unserer vernichten. Für unsere Existenz ist es also ein Glücksfall, dass sich im Kosmos kaum Antimaterie findet.
Aber warum gibt es so viel Materie im Universum, und warum findet man kaum ihren Gegenspieler, die Antimaterie? Diese Frage führt zurück bis zum Urknall. Vor etwa 14 Milliarden Jahren entstanden Zeit, Raum und alles was uns heute umgibt, aus einer unvorstellbar kleinen und dichten Region, die sich rasant zu unserem Universum ausdehnte. Währenddessen entstanden ständig immense Mengen Materie und Antimaterie, die sich unmittelbar darauf wieder vernichteten. Doch es gab ein Ungleichgewicht: Für hundert Millionen Antiteilchen entstanden hundert Millionen und ein Teilchen Materie. Ein winziger Unterschied, doch letztlich groß genug, um das gesamte sichtbare Universum mit all ihrer Materie darin zu formen.
Peter Fierlinger ist einer der Physiker, die nach der Ursache dieses Ungleichgewichts forschen. Wie der Dozent an der Technischen Universität München in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Sterne und Weltraum schreibt, sollten die Gesetze der Physik auch nach bestimmten Änderungen gleich erscheinen. Wenn man zum Beispiel durch einen Spiegel auf die Welt blickt, darf sich nichts an den physikalischen Gesetzen der Spiegelwelt ändern – die Physik ist symmetrisch. Symmetrien sind eines der wichtigsten theoretischen Handwerkszeuge. Fast immer sind sie erhalten, wenn physikalische Kräfte wirken. Manchmal aber werden Symmetrien verletzt. Genau das könnte auch eine Erklärung für die verlorene Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie sein.
Einen Schlüssel dazu liefern die vier fundamentalen Naturkräfte: die aus dem Alltag bekannte Gravitation und die elektromagnetische Wechselwirkung, dazu noch zwei Kräfte, die für Elementarteilchen von Bedeutung sind, die so genannte schwache und starke Wechselwirkung. Alle Kräfte sind grundlegenden Symmetrien unterworfen: Es dürfte keinen Unterschied machen, ob man ein Teilchen durch sein Antiteilchen ersetzt, ob man die Raumrichtungen spiegelt oder ob man die Zeit rückwärts laufen lässt. In allen Fällen sollten die gleichen Naturgesetze gelten.
Doch es gibt Ausnahmen von dieser Symmetrieerhaltung. Ersetzt man ein Teilchen durch sein Antiteilchen, beispielsweise ein Elektron durch ein Positron, dann verhalten sich beide je nach beteiligten Kräften unter Umständen vollkommen verschieden. Als dieses Verhalten in einem Experiment 1957 festgestellt wurde, versetzte es der Eleganz der theoretischen Physik einen schweren Schlag. Doch fand man bald einen Ausweg: Verletzt eine Operation eine Symmetrie, so sollte eine Kombination mehrerer Spiegelungen in Raum, Zeit und Ladung diese theoretisch geforderte Ordnung wieder herstellen.
Auch die kombinierte Vertauschung von Ladung und Raumkoordinaten, die zur so genannten CP-Symmetrie führt, sorgte 1964 in einem Experiment für Überraschungen. Bei einem von etwa 500 Fällen kam es zu einem Symmetriebruch. Auch diese experimentell gefundene Verletzung des symmetrisch eleganten Teilchenuniversums sorgte für revolutionäre Veränderungen des theoretischen Weltbilds.