Das politische Dilemma mit Ägypten

Vor wenigen Stunden hat der ägyptische Präsident Mubarak erklärt, nicht mehr für eine Wiederwahl zur Verfügung zu stehen. Doch das wird ihm nicht helfen, die Massen fordern seinen sofortigen Rücktritt. Doch was dann? Gestern habe ich für ohrfunk.de den folgenden Kommentar über das westliche Dilemma mit Ägypten geschrieben.

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Photo: Iman Mosaad

Bei den politisch aktiven Internetnutzern in Deutschland und der Welt wird die Protestbewegung in Ägypten unterstützt und Staatspräsident Hosni Mubarak zum Rücktritt aufgefordert: Der Pharao von Kairo soll gehen. Danach, so glauben die meist linksorientierten virtuellen Aktivisten, könne sich das Land frei in eine bessere Zukunft aufmachen. Als wäre die Beseitigung eines autokratischen und despotischen Regimes selbst schon ein Garant für mehr Demokratie in der Zukunft. Dieselben Aktivisten ärgern sich konsequenterweise über die relative Sprachlosigkeit, die die USA und die EU ergriffen hat. Mit Lippenbekenntnissen werden die Demokratiebewegungen unterstützt, im Hinterzimmer wird weiterhin mit den alten Eliten zusammengearbeitet. Diese Haltung wird dann, immer noch von den politisch interessierten Internetaktivisten, als typisch westlich verteufelt.

In Wahrheit haben die westlichen Staaten und insbesondere die USA ein kaum lösbares Dilemma. Denn während von Tunesien ausgehend in mehreren arabischen Ländern möglicherweise der Aufstand losbricht, muss der Westen eine Position einnehmen, die die Stabilität in der Region fördert und die Kriegsgefahr verringert. Bislang hatte man dabei kein gutes Händchen. 1978 bzw. 1979 ließen die USA ihren Verbündeten, den Schah von Persien, einen grausamen Diktator, schnell fallen, als sich eine massive und zumindest teilweise demokratische Opposition gegen ihn formierte. Der Schah wurde vertrieben, und 2 Wochen lang hoffte man auf eine demokratische Reform im Iran. Dann setzte sich Ayatollah Ruholla Khomeni durch und gründete einen theokratischen Staat, in dem die Iraner mindestens ebenso wenig Rechte haben wie im Kaiserreich des ehemaligen Schahs. Von der demokratischen iranischen Opposition wurden dem Westen schwere Vorwürfe gemacht, noch während die europäische Öffentlichkeit den Sturz des Schahs bejubelte.

Der zweite Fall ist Algerien. Ich erinnere mich noch daran, wie die USA 1992 die offiziell sozialistisch ausgerichtete algerische Führung unterstützten, als diese bei den freien Wahlen gegen die muslimische Heilsfront verloren hatte und dies nicht anerkennen wollte. Daraufhin entstand in dem Land ein langjähriger Bürgerkrieg, an dem man dem Westen eine Mitschuld gibt.

Nun scheint in Ägypten der Fall anders zu liegen. Die sichtbare Opposition dort ist nicht islamisch ausgerichtet. Der Protest wird von einer Jugendbewegung getragen, die ausdrücklich pro westlich auftritt. Auch hier ist die junge Internetgeneration federführend, was man auch daran erkennt, dass die ägyptische Regierung das Internet kappen ließ und hofft, den Protestlern die Kommunikationsbasis abzuschneiden. Aber man darf sich nicht täuschen. Die größte und gefährlichste Oppositionsgruppe ist die Muslimbruderschaft, auch wenn sie sich jetzt auffällig zurückhält. Es ist ein bisschen wie seinerzeit im Iran. Die Demokraten sollen zuerst den Potentaten schlagen, dann greifen die radikalen Muslime nach der Macht. Ein Kalkül, das aufgehen könnte in einem Land, in dem der radikale Islamismus ebenso energisch bekämpft wurde, wie damals im Reich des Schah. Und was wäre dann?

Ägypten ist nun einmal ein wichtiges Land in der Region. Es hat ein starkes Militär, es hat einen Friedensvertrag mit Israel, es kontrolliert die Grenzen zum von der Hamas besetzten Gazastreifen. Mit einer radikalislamischen Führung wäre das Land für den Westen ein Gegner, es könnte Krieg in der Region auslösen, Israel könnte sich gezwungen sehen, den Gazastreifen zurückzuerobern. Politische Beobachter wissen, dass die Muslimbrüder sich derzeit zurückhalten, um nach dem Sieg über Mubarak ihre Chance zu ergreifen, und sie gehören zu den radikalsten Antisemiten und Antidemokraten. Was also sollte der Westen tun? Eine vorbehaltlose Unterstützung der Protestbewegung bringt die Muslimbrüder wahrscheinlich an die Macht, eine Unterstützung Mubaraks untergräbt Demokratie und Menschenrechte, enttäuscht die protestierenden Massen, die ausnahmsweise mal nicht den Westen verteufeln, sorgt aber kurzfristig für mehr Sicherheit und Ruhe. Der jetzige amerikanische Kurs ist es, Mubarak zu allmählichen Reformen bewegen zu wollen. Dafür könnte es nach der Verschärfung des Protests allerdings bereits zu spät sein.


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