Computergesteuerte Projektionssysteme entführen die Besucher moderner Planetarien virtuell in die Tiefen des Kosmos, zu den Orten des astrophysikalischen Geschehens. Zunehmend haben die mit den neuen Techniken dargebotenen "Shows" aber auch unterhaltenden Charakter. Wie sieht die Zukunft der Sternentheater aus? Schafft sich das Planetarium gar selbst ab? Hans-Ulrich Keller, Professor für Astronomie und Gründungsdirektor des Stuttgarter Planetariums, sieht in der Gefahr eine Chance: Seine Formel heißt "Edutainment" – eine fruchtbare Synthese aus bildenden und unterhaltenden Elementen.
Aus: Sterne und Weltraum, August 2012
Ob Sonnenschein oder Dauerregen: Unter einer Planetariumskuppel ist der Blick in den nächtlichen Himmel ungetrübt. Zurückgelehnt in bequemen Sesseln lassen sich jährlich Millionen kleiner und großer Besucher von den Vorführungen der Sternentheater faszinieren, denn die Grenzen von Zeit und Raum scheinen hier außer Kraft gesetzt: Dank digitaler Projektionstechniken beschränken sich die Darbietungen heute längst nicht mehr darauf, die Sternbilder des Abendhimmels an die Kuppel zu projizieren oder die Ästhetik schöner Planetenkonstellationen zu vermitteln. Stattdessen bringt ein "Full-Dome-Projektionssystem" die Zuschauer virtuell an den Ort des Geschehens – zu den Landeplätzen von Marssonden oder in das Innere galaktischer Sternengeburtsstätten.
Die Möglichkeiten computergesteuerter Video- und Beamertechniken kennen keine Grenzen, und so verwundert es nicht, dass ihre Anwendungen weit über astronomische Inhalte hinausgehen. So bringen die Projektoren den staunenden Betrachtern auch die Welt des Mikrokosmos nahe, simulieren eine Tour durch die Blutbahnen eines Menschen oder eine Wanderung durch eine imaginäre Stadt. Den neuen Möglichkeiten entsprechend, werden zunehmend aber auch automatisch abspielbare unterhaltende "Shows" anstelle von Sternenführungen geboten, die nach einmaliger Konzeption kein Fachpersonal, sondern nur noch "Abspielpersonal" erfordern.
Angesichts dieser Entwicklung sieht Hans-Ulrich Keller, langjähriger Leiter des Stuttgarter Planetariums, dunkle Wolken am künstlichen Himmel aufziehen: "So paradox es klingen mag: Der erfreuliche Fortschritt in der elektronischen Bildverarbeitung und digitalen Projektionstechnik bietet den Planetarien zwar ungeahnte Möglichkeiten und neue Chancen. Er birgt jedoch auch die Gefahr, dass sich die Sternentheater selbst ins Abseits katapultieren", mahnt er in der Augustausgabe der Zeitschrift "Sterne und Weltraum".
Doch was wie ein Fluch anmuten mag, könnte in Wahrheit ein Segen sein. Denn mit Bedacht eingesetzt, können die neuen Techniken, gepaart mit unterhaltenden Elementen, dem Planetarium auch zukünftig einen Platz als astronomische Bildungsinstitution sichern: "Planetarien sollten ein breites Spektrum von Programmen auf einem anspruchsvollen Niveau anbieten. Dazu gehören insbesondere Live-Veranstaltungen sowie eine nach Alters- und Bildungsgrad differenzierte Palette von Sternenvorführungen – von Kita-Kindern bis zu Studierenden naturwissenschaftlicher Fächer. Navigationskurse sollten ebenso wenig fehlen wie reine Unterhaltungsdarbietungen, beispielsweise Musik unter dem Sternenhimmel, Dichterlesungen und Lasershows." Und gerade in unterhaltenden Elementen sieht Keller eine Chance: "Die Programmmacher sollten sich nicht scheuen, das Element Unterhaltung als ‚Edutainment’ einzubeziehen."
Das Planetarium als astronomisches Institut müsse aber noch mehr bieten, um ein interessiertes Publikum an sich zu binden, nämlich Vortragsreihen mit hochkarätigen Fachleuten sowie astronomische Kurse und Seminare für ein Stammpublikum, das sich nicht mit allgemeinen Sternenvorführungen zufrieden gibt. Dass sich diese Herausforderungen nicht zum Nulltarif meistern lassen, kommentiert der Astronom so: "Freilich erfordern derartige Aufgaben eine ausreichende Ausstattung der Planetarien mit Fachpersonal und einem Etat, der anderen Kultureinrichtungen wie Theatern oder Museen ohne Weiteres zugestanden wird".
Planetarien, die diese Kriterien erfüllen, sieht Keller für die Zukunft gerüstet, denn sie werden als naturwissenschaftliche Bildungseinrichtungen weiterhin eine wichtige Funktion im gesellschaftlichen und kulturellen Leben einnehmen.
Weitere Informationen: Hans-Ulrich Keller ist Gründungsdirektor des Planetariums Stuttgart und Professor für Astronomie an der Fakultät für Luft- und Raumfahrtechnik und Geodäsie der Universität Stuttgart. Ferner betreut er die Sternwarte Welzheim. Sein Artikel "Quo vadis, Planetarium?" erscheint in Sterne und Weltraum 8/2012, S. 82 – 87 und ist online verfügbar unter http://www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1156559