Der Veranstaltungsort ist gut ausgesucht. Der Saal der Kammeroper liegt im Kellergeschoß. Das Hinabsteigen dorthin kommt im Fall der jüngsten Produktion „Punch and Judy“ der „Neuen Oper Wien“ einer Metapher gleich. Es geht hinab ins Reich des Wüsten, Unmenschlichen, ins Reich von Bluträuschen und Egomanie. Aber es geht auch hinab ins Reich der Liebe. Einer Liebe, die erst spät erhört wird – viele Morde zu spät.
Sir Harrison Birtwistle schuf die Oper nach dem Libretto von Stephen Pruslin im Jahr 1968. Walter Kobéra brachte sie nun mit seinem amadeus ensemble-wien in Zusammenarbeit mit dem Armel Opera Festival und dem Festival d´Avignon in die Katakomben der Drachengasse.
Die Geschichte von Punch and Judy
Der Plot der Geschichte über Punch and Judy ist rasch erzählt. Punch könnte man als Äquivalent zum Wiener Kasperl bezeichnen oder seine Ahnen sogar von der Commedia dell`Arte herleiten. Seine Verwandten finden sich in Frankreich als Guignol genauso wie als Arlecchino in Italien.
Und doch ist Punch ein ganz besonderer Fall. Abgehoben von des Lebens Realität agiert er ohne Scham und Skrupel, als folgten seinen ruchlosen Taten keine Strafsanktionen. Und tatsächlich wird er am Ende der Geschichte nicht wie man meinen möchte bestraft, sondern er erringt die Liebe zu Pretty Polly. Jener Angebeteten, die ihn das ganze Stück über zuvor verschmähte und damit dem gekränkten Ego von Punch noch Zündstoff für weitere Gräueltaten lieferte. Pruslin bleibt mit seiner Interpretation sehr nahe an der originalen Geschichte von Punch and Judy, bei der es ebenso blutrünstig zugeht, lieferte aber mit seinen Versmaßen hinreichend Stoff für eine einzigartige Vertonung.
Wer das Stück mit dem Maß der Vernunft ausloten möchte, ist hier fehl am Platze. Vielmehr taucht Pruslin mit seinem Libretto in die Untiefen menschlicher Seelen ein, die so dunkel sind, dass auch die besten psychoanalytischen Sitzungen wenig Erhellendes hervorbringen würden. Punch ist ein egomanischer Typ, der seinen cholerischen Anfällen stets freien Lauf lässt und dabei sein Neugeborenes, seine Frau aber in weiterer Folge auch all jene ermordet, die sich ihm irgendwie in den Weg stellen. Die einzige Pein, die ihn trifft, ist das Auftreten all seiner Opfer als Untote und ein Albtraum, in dem er Judy heiratet und heftig gefoltert wird. Nur kurz wird er dabei bis ins Innerste ergriffen, danach jedoch ist er sofort wieder Herr seiner Sinne und begeht rücksichtslos weitere Morde. So überlistet er zu guter Letzt auch noch seinen Henker und darf sich über dessen Tod freuen. Das Böse im Menschen kulminiert in der Figur von Punch beinahe ins Unerträgliche und doch werden wir alljährlich medial mit Massenmördern konfrontiert, deren Opferzahl jene von Punch noch bei Weitem übersteigt.
Stimmliche Highlights
Richard Rittelmann beeindruckt in seiner Rolle als Punch nicht nur stimmlich. Sein ausdrucksstarkes Spiel mit dem teuflisch-höhnischen Gelächter verleiht der Figur jene dämonischen Züge, die sich knapp unterhalb des menschlichen Daseins befinden und gerade deswegen so irritierend und angsteinflößend wirken. Ihm zur Seite agiert Till von Orlowsky in der Doppelrolle als Henker Jack Ketch aber vor allem als Choregos. Einem Charakter, der das Stück wie ein Conférencier begleitet, zugleich aber Punch gegenüber als steter Mahner auftritt. Imposant in seiner Erscheinung, setzt er seinen Bariton kräftig und geschmeidig zugleich ein, um dem stets an seinem Gefühlslimit agierenden Punch ein Gegengewicht zu bieten.
Pretty Polly, jene psychologisch schwer durchschaubare junge Verführerin, die nicht unmaßgeblich daran beteiligt ist, dass Punch von einem Blutrausch in den nächsten verfällt, wird von Jennifer Yoon gesungen. Mit ihren ersten messerscharf intonierten Koloraturen erschreckt sie Punch und sein unfreiwilliges Gefolge so dermaßen, dass sie sich die Ohren zuhalten müssen. Dabei changiert sie in ihrer Ausstrahlung zwischen einer aalglatten, überheblichen Schönheit, die mehr als eine Liebesbekundung benötigt, um erobert zu werden. Sie erinnert in ihrem ersten Auftritt frappant an Olympia aus Hoffmans Erzählungen, um in einem späteren Auftritt Züge von Mozarts Königin der Nacht anzunehmen. Ihr Kostüm in grellem Rosa, mit einer Daisy-Masche auf dem Kopf, macht klar, dass Pretty Polly ein Traumgeschöpf ist. Ein konstruiertes Wesen, das seine Ausstrahlung erst durch die Imagination ihres Gegenübers erhält. Selbst ist sie nichts weiter als eine Puppe in der Puppe in der Puppe. Ihre Gegenspielerin Judy hat ihr optisch rein gar nichts entgegenzusetzen. Manuela Leonhartsberger schlüpft in ein Fat-Kostüm, aus dem die Fleischwülste nur so herausquellen. Ihre musikalischen Beschwörungsformeln, die sie als Geist das gesamte Stück über ihrem Mörder entgegensetzt, bleiben trotz ihrer eindringlichen ins Ohr gehenden Melodie ungehört. Wie Yoon zwei Charaktere – Pretty Polly und die Witch – interpretiert, agiert Leonhartsberger ebenfalls in einer Doppelrolle. Neben Judy tritt sie als Fortuneteller auf, um Punch die Zukunft vorauszusagen. Gemeinsam mit den beiden weiteren Hauptcharakteren – dem „doctor“ , Johannes Schwendinger, und dem „lawyer“, Lorin Wey, sowie Till von Orlowsky als Choregos bildet sie einen wunderbar homogenen Chor, der vor und nach Punchs Untaten auftritt. Wie ein Überbleibsel aus den antiken Tragödien tritt dieser stets geschlossen auf und ermahnt Punch oder kommentiert das Bühnengeschehen für das Publikum. Als Tänzerin ergänzt Evamaria Mayer die Szenerie, in der sie auch während Punch in Rage seinen Kontrahenten tötet, diesen Mord mit einer Filmkamera festhält. Sie ist Trägerin einer Sonderrolle, die den Beobachterstatus des Publikums und teilweise auch dessen Reaktionen auf der Bühne selbst sichtbar macht.
Kantige Musik trifft auf düstere Inszenierung
Birtwistles Musik lebt einerseits davon, die Geschichte musikalisch höchst eindringlich, ganz im Geist der polternden Charaktere selbst, kantig schroff zu illustrieren und voranzutreiben. Andererseits sind es immer wiederkehrende musikalische Einschübe, die dem Geschehen einen starken Raster aufsetzen. Kobéra behandelt den orchestralen Part ziemlich egalitär mit dem stimmlichen, was einen sehr ausgewogenen Klangeindruck hervorruft. Es gibt kein Oben und kein Unten, sondern die Musik durchdringt die Szenerie zwingend, ohne aufdringlich zu wirken.
Die Inszenierung unter Leonard Prinsloo erweckt nicht den Eindruck, dass sich die Figuren in einem Kasperltheater befinden. Es ist ein grauer, abweisender Raum, in dem sich die Geschichte von Punch and Judy ereignet. In bestimmten Szenen verändert er sich durch effektvolle Lichtregie dramatisch, lässt rote Höllenassoziationen genauso zu wie die Angst, von strömendem Regen in eine Sintflut mitgerissen zu werden. Bernd Preiml steuert dazu auf seitlichen Bildschirmen Videomaterial bei, das sich in seiner Abstraktion gut in das Gesamtbild schmiegt. Prinsloo versetzt die Akteurinnen und Akteure in eine Art Trancezustand, aus dem es keinerlei Entrinnen gibt. Sein Punch benimmt sich selbst in jener Szene, in der er ihn zum König erhebt, inferior. Auf einem Klo sitzend lässt er sich huldigen und greift dabei immer wieder in die eigenen Fäkalien um sich danach genüsslich die Finger abzulecken. Punch wie er leibt und lebt – schonungslos dargestellt ohne den geringsten Ansatz, dieses Monster in irgendeiner Art und Weise verstehen oder gar lieben zu können. Den wohl größten Anteil an der Eindringlichkeit der gezeigten Bilder hat Monika Biegler, die für die Ausstattung sorgte. Absurd-fantastisch, überzeichnet und monströs kleidet sie alle Figuren und setzt ihnen so den Stempel ihres puppenhaften Seins auf. Mit den Verkleidungen aus dicken Plüschkostümen, in welchen die Ermordeten schlüpfen – einem Hund, einem Hasen und einem Wesen zwischen Krokodil und Drachen – verweist Prinsloo auf weitere Charaktere, die in der historischen Punch and Judy–Show vorkommen.
Am Ende des Höllenrittes, der von Leichen gepflastert ist, finden sich Punch und Pretty Polly als Liebespaar wieder. Ganz wie einer barocken Szenerie werden sie von bunten Bändern umgarnt und mit Blumen bekränzt. Das Grauen ist vergessen, die Liebe setzt sich über alles und breitet ihren Mantel des Schweigens darüber. Das Spiel vom grausamen Kasper endet ebenso absurd, wie es begonnen hat. Unglaubwürdig und gerade deswegen ganz nah am Leben.
Wer die Oper nicht gesehen hat oder gerne noch einmal sehen würde hat dazu im Oktober Gelegenheit. Die Produktion wird im Zuge des Armel Opera Festivals auf ARTE live_web ausgestrahlt.
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Neue Oper Wien