“Da ist ja das Paulchen”, rief die Mama erschöpft, aber glücklich, und das ist 38 Jahre her.
Jetzt ist Paulchen groß und macht seine Frau Mama mächtig Stolz.
“Er ist mein Junge, mein guter Junge”, sagt sie und wischt sich jedes Mal die Augen, wenn er zum Sonntagsbraten vorbeikommt.
“So ein guter Junge!
Das sehen allerdings nicht alle so. Etwa die Jessica, die noch nie auch nur einen Cent Unterhalt gesehen hat. Und der Sean, der Sohn von Jessica und Paulchen, der kennt nur dem Namen nach den “alten W*chser, der mich schwanger sitzengelassen hat”.
Ja nun, die Jessica, die war ja auch immer schon ein wenig … speziell, und mit der Sonja, da hat es der Paul ja jetzt ganz gut getroffen. Ein Kind von ihr und zwei Stöppercken von Beiden, das ist wie eine richtige, eigene Familie: Die Sonja, die macht den Haushalt und die Kinder, und das Paulchen, das beschafft das Geld. Irgendwie.
Gelernt hat er ja schon was, der Paul, aber hat sich halt einmal zu oft mit dem Chef angelegt und dann war er draußen. Das passiert ihm öfter, dem Paul, ist halt `ne durch und durch ehrliche Haut!
Beliebt ist er ja auch, zumindest in der Arbeiterklasse, und kennt jeden beim Namen, kennt jedermanns Sorgen und Laster. Und wenn sich der Paul abends in seine Stammkneipe aufmacht (und Sonja daheim vorm Fernseher bügelt, die Fluppe lässig im Mundwinkel, oder sich die Nägel macht), gibt`s an jeder Ecke ein großes Hallo!
Denn nett ist er, der Paul, und ein guter Zuhörer obendrein! Ein guter Redner sowieso, der hat Geschichten auf Lager, die glaubst Du nicht!
Die meisten handeln davon, wie er die vom Amt oder gleich den ganzen Vater Staat ausgetrickst hat, “nochmal davongekommen, alter Junge, was?”, oder wie er sich aus einer anderweitigen Patsche gezogen hat.
Geld hat das Paulchen nicht. Nie. Warum, weiß er auch nicht. Und wenn, würden sie ihm das ja eh abziehen wegen Unterhalt, also was soll`s?
Nein, Geld hat er nie, der Paul, und wenn er abends vor die Kneipe geht um eine Sebstgedrehte zu rauchen, grübelt er manchmal, wieso.
Aber nicht besonders oft, denn unser Paulchen, Mensch, das ist `ne Frohnatur! Ein echt guter Kumpel, immer gut drauf ist er, und wenn er mal schlecht drauf ist, dann gibt sich das schnell wieder.
Gibt auch gerne mal `ne Runde, der Paul, hat mir auch schonmal aus der Klemme geholfen. Hochanständiger Kerl, der Paul, auf den lass ich nichts kommen!
Ja, so ist es, das Paulchen: Liebenswert, chaotisch, nicht grad der Hellste, aber Dein Leben, das kannste ihm anvertrauen! Seine Kinder bedeuten ihm alles, auch, wenn er kaum da ist, und sieht er ein Hundebaby, ist er sich nicht zu stolz, eine Träne zu verdrücken.
So ist er, der Paul, ein Überlebenskünstler und Freund, immer da, wenn man ihn braucht.
Neulich brauchte das Paulchen wieder Geld: Die Waschmaschine war kaputt und die Sonja saß ihm deswegen so lange im Nacken, bis er ihr eine neue gekauft hat. Über Umwege, die war nämlich vom LKW gefallen, das hat ihm der Toni vermittelt, der alte Gauner.
Im Prinzip kein Problem, aber dann lief ein Geschäft nicht so, wie es das Paulchen erwartet hat, die Klage gegen die Stadt wurde abgwiesen (dabei hatte sich der Paul so große Hoffnungen gemacht, sch**ß Anwälte die!) und der Toni, der will jetzt sein Geld.
Bisschen was hat das Paulchen noch, aber das braucht er für die nächste Stromrechnung, die ist bald fällig, und die Sonja auch, denn der Paul, der ist schon ein alter Teufelskerl!
Und so kam das Paulchen auf die Idee, Sachen im Internet zu verkaufen. Nichts Großes, sondern hier und da ein Handy. Oder eine Digitalkamera, den ein oder anderen Laptop.
Heimlich fotografiert, wenn er wo zu Gast war, wozu sind schließlich Freunde da?
Er tut ja nichts Schlimmes, der Paul. Borgt sich ja nur ein bisschen Geld … sozusagen. Weil die Käufer, die kriegen ihre Kohle ja zurück. Dauert halt nur etwas, wirst schon sehen!
Der Paul ist ja schließlich ein Guter!
Der Richter sah das anders. Und weil der Paul schon öfters aufgefallen ist – und zwar nicht im Guten Sinne – bekam es ganz schön was zu hören; bewähren muss er sich drum nun im Knast.
Die Sonja weint und kommt aus dem Weinen nicht raus. Aber so sind sie nunmal, die Weiber, die Hochschwangeren erst recht: Heult, als ob sie selbst es wär, die einfahren müsste! Aber die wird`s schon schaffen …
Die Mama verdrückt ein paar heimliche Tränen. Die sieht das Paulchen nicht. Und die Falten, die ihr der jahrelange Kummer in das liebe Gesicht gegraben hat, die hält er für Lachfalten. Ach, was hat er seine alte Mama lieb!
Jetzt sitzt der Paul also im Gefängnis, 3 lange Jahre lang. Und jammert und schimpft ein bisschen vor sich hin, was die sich denn alle so anstellen und ihn gleich einbuchten wegen so einer Kleinigkeit, er ist doch im Grunde ein Guter, ehrlich, Herr Richter, dass kann Ihnen jeder bestätigen!
Gut, die Saskia, vielleicht nicht. Die ist nämlich Studentin und nachdem ihr das Laptop in der Unibib gestohlen wurde, weiß sie nun nicht mehr, worauf sie ihre Bachelorarbeit schreiben soll. Denn ihr letztes Geld, das hat der Paul (und hat davon schonmal ein bisschen was beim alten Toni abbezahlt).
Auch nicht Franko und seine Maria, die am Geburtstag ihrer Enkelin mit leeren Händen dastanden (Das war angeblich das neue S.martphone vom Schröder – wie kann der sich so einen Scheiß überhaupt leisten? Mann, das Leben ist doch echt nicht fair!).
Oder Harald, den Gymnasiallehrer, der bis heute nicht fassen kann, dass er so dumm gewesen ist, auf einen Betrüger hereinzufallen (aber keine Sorge: Das ist der Paul ja auch eigentlich gar nicht!).
Oder die anderen, zahlreichen Menschen, die es über Pauls Hinhalte-, Vertröst- oder Totstelltaktik aufgegeben hatten, ihr Geld wiederzubekommen.
Aber die sieht der Paul ja nicht. Nichtmal, als er ein paar von ihnen im Gerichtssaal trifft. Denn das sind die und er ist er und mehr als seine Sicht auf die Welt hat der Paul noch nie so recht kapiert.
Jetzt ist er also erst mal weg. Und in seiner Stammkneipe laufen schon die Wetten, wann er vorzeitig entlassen wird. Denn dem Paulchen, dem alten Schlitzohr, fällt schließlich immer was ein!
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