Martin Fröst (c) Mats Bäcker
Am 10. November segelte eine große Fregatte namens OPS (Orchestre philharmonique de Strasbourg) bei gutem Wind über sicheres Gewässer. Der Kapitän, Yuri Simonov, hielt das Steuerruder fest in seiner eleganten Hand und ließ kein Schwanken oder gar ein Abgleiten vom Kurs aufkommen. Die umschifften Inseln namens Nikolai Rimski-Korsakov, Carl Maria von Weber und Alexander Glazounov präsentierten sich von ihrer schönsten Seite. Dass man ein klassisches Konzert mit einer seemännischen Metapher zusammenfassen kann zeigt vor allem eines: Die schier unendliche Farbigkeit der gespielten Stücke, in welchen sich wie an einer Perlenschnur eine Melodie an die nächste reihte.
Zu Beginn erklang Rimski-Korsakovs Suite aus der Oper “Das Märchen vom Zaren Saltan”, das mit zauberhaften, einfachen, ins Ohr gehenden Themen und knapp aufeinander folgenden musikalischen Gegensätzen so voll bestückt ist. Das Märchen, in welchem das arme Bauernmädchen Militrissa vom Zaren geschwängert und dennoch verstoßen wird, allerlei Abenteuer und Gefahren erleiden muss, um erst zu Ende des Stückes errettet zu werden, wurde vom Komponisten in dieser Suite meisterhaft zusammengefasst. Der russische Dirigent Yuri Simonov, der kurzfristig für Meeme Järvi einsprang und dieses Stück anstelle des vorgesehenen von Eduard Tubin auswählte, dirigierte mit Verve, Kennerschaft und Eleganz das schillernde Werk. Ob Lyrismen, große Spannungsböden, wie im zweiten Satz oder wahre Dramatik, welche die Streicher zu einem Toben und Brausen verleitete sodass man meinte, sie – oder besser gesagt die Segelfregatte – müsste sich sogleich in die Lüfte erheben – alles wurde vom Orchester einfühlsam interpretiert. Dass man den Hummelflug, der auch als Solobearbeitung für Violine und Cello gerne gespielt wird, etwas anders hören konnte als man es gewöhnt ist, vor allem weil Simonov die Streicher fast adäquat vom Rest des Klangkörpers begleiten ließ, kann man als erweiterte Hörerfahrung bezeichnen.
Mit Martin Fröst kam im Anschluss einer der derzeit meist gefeierten Klarinettisten auf die Bühne und eines kann gleich vorweggenommen werden, er ist zu Recht einer der meist gefeierten. Seine Interpretation von Webers Klarinettenkonzert mit Orchester op. 1 zeigte einmal mehr, dass es die jungen Solisten sind, die neue Maßstäbe setzen, was klassische Solokonzerte anlangt. Zutiefst mit den Orchestermusikern verbunden, zeitweise ihnen ganz zugewandt, entlockte er seinem Instrument einen extrem differenzierten Klang, der viel stärker vom geübten Einsatz neuer Techniken denn vom statischen, historischen Spiel lebte. Seine Pianissimi sind voll von Wärme aber, wenn es sein muss, auch von umschatteter Hintergründigkeit und gerade dieser Nuancenreichtum macht sein Spiel so aufregend. Dass sein Bühnenkostüm mehr an einen Nobelcowboy als einen Violinsolisten erinnert trägt aber dazu bei, auch eine klassische Interpretation von Beginn an mit einer gewissen Lockerheit zu verfolgen. Den Hörnern sei es gedankt, dass das Quartett, das sie mit Fröst im zweiten Satz bilden, zu einer der berührendsten Stellen des Konzertes wurde. Hier kann ein einziger unsauberer Ton großen Schaden anrichten und alles kippen – aber weit davon entfernt – der Zauber wirkte noch lange nach. Das Stückchen Kletzmermusik mit dem Titel „Let´s be happy“, das Martin Fröst, begleitet vom Orchester als Zugabe spielte, zeigte dann auch, dass der junge Solist keinerlei Scheu vor jeglicher Musikrichtung entwickelt hat. Der große Blonde mit der im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Technik, dem der Schalk im Nacken sitzt, und der vor allem in der Zugabe zungen- und fingerbrecherische Läufe noch und nöcher vom Stapel ließ, riss damit das Publikum zu lang anhaltendem Applaus hin. Ein Musiker, der schon in allen großen Konzertsälen der Welt spielte und sicherlich noch oft spielen wird. Wunderbar, dass er in Straßburg zu hören war.
Alexander Glazounov, der mit seiner 5. Symphonie am Schluss des Abends vertreten war, reihte sich von der Thematik wunderbar in die zuvor erklungenen Stücke ein. Große Dramatik steht in diesem Konzert neben schwebender Leichtigkeit, ein musikalisch hübscher Einfall kommt nach dem anderen daher und wohl klingende Melodien fungieren als erholsame Verbindungsstücke. Der letzte Satz, der viel stärker als die vorhergegangen zeigt, dass Glazounov noch 36 Jahre im 21. Jahrhundert lebte, ersetzt, wenn man müde ist, jede noch so starke Tasse Espresso. Die Nervosität, die sich in den Streichern zeigt und die starken Bläser- und Paukeneinsätze, sowie das immense Auf- und Abwallen, welches das gesamten Klangapparat erfasst, lässt auch zu später Stunde noch keine Müdigkeit aufkommen.
Eine wunderbare Konzertzusammenstellung, ein herausragender Solist, ein flexibles Orchester und eine gediegene Führung nach alter Schule – das ist jener Wind, mit dem das OPS zur Freude des Publikums an diesem Abend in sicherem, aber glitzerndem Gewässer segelte.