o2 befindet sich derzeit in einem echten Dilemma. Das Netz knirscht unter der Last der Smartphones gewaltig, man möchte den Anschluß an die Marktführer D1 und D2 erreichen, also weg vom „Billig-Image“ doch dafür fehlt das Geld für neue Investitionen in Menschen und Technik. Gibts eine Lösung?
Vor 13 Jahren ist der vierte Netzanbieter in Deutschland unter dem Namen VIAG Interkom gestartet, von vielen seinerzeit von E-Plus (und D2 oder D1 sowieso) enttäuschten Mobilfunkkunden sehnsüchtig erwartet.
Der Start war – sagen wir es freundlich – „holprig“ und ich prägte damals den Begriff „Very Interesting Adventure Game“, denn mit Humor konnte man vieles besser ertragen
Produkte wie „Genion“ (das Häuschen kam schon 1999 !) waren richtig kreativ: Die Idee über eine Festnetzrufnummer auf dem Handy erreichbar zu sein, traf den Nerv der Kunden. Damals gab sich VIAG Interkom viel Mühe, um die „Homezone“ richtig zu erkennen und „abbilden“ zu können, denn man sollte nur 1-2-3 km rund um einen gewählten Standort „festnetzgünstig“ erreichbar sein. Wer außerhalb auf seine Festnetznummer nicht verzichten wollte, mußte dem Anrufmanager unter der Kurzwahl 1010 sagen, daß man für 29 Pfennige (15 Cent) pro Minute weiter geleitet werden wollte. Gemessen an den von den Festnetzanbietern damals verlangten 12-24 Cent pro Minute durchaus ok.
Mit der VIAG-“Homezone“ gabs immer wider Probleme. Doch wenn sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzte, fanden sich hilfbsereite kundige Menschen bei o2, welche die Homezone „stabiliseren“ konnten, was nicht ganz trivial ist.
D1 und D2 kamen erst Jahre später, E-Plus liess sich 12 Jahre Zeit und machte dann das einzig richtige: Festnetznummer fest auf die Mobilfunknummer umgeleitet und kein Schnickschnack mit wackligen Homezones. Möglich wurde das durch den drastisch gesunkenen Interconnect-Preis.
Bestimmte Probleme schob VIAG/o2 lange vor sich her. Einen „Cost-Check“ oder „Cost-Control“ hätten sich viele Kunden gewünscht, die jeden Cent vor dem Ausgeben dreimal umdrehen müssen, jetzt nach 13 Jahren nach Netzstart soll so etwas als Apple-iphone App in die Tat umgesetzt werden, gerüchteweise soll es dadurch auch per USSD Code (*140#) gehen. Noch ist es nicht soweit.
Zum Start hat ein neues Netz wenig Sender und viele Funklöcher. Absolut genial war daher die Idee , den Kunden eine spezielle SIM-Karte mitzugeben, die man mit einer zweiten PIN (normale PIN plus 1 hintendran) auf eine zweite Identität umschalten konnte, die Swisscom-IMSI. Jeder VIAG Interkom Kunde konnte sich im Swisscom-Modus in alle verfügbaren deutschen Netze von D1, D2 oder E-Plus einbuchen, falls VIAG/o2 gerade kein Netz am Start gehabt hatte.
Diese Funktion traf wieder den Nerv bestimmter Zielgruppen, die möglichst überall telefonieren wollten oder mußten. Doch die Funktion war fehleranfällig. Zum einen selbst verschuldete Problemfälle von Spielekids, die meinten, wenn ich mit meiner Swisscom-Identität in einem fremden Netz herumprobiere, müssen Dienste , welche den Original-Kunden dieses Netzes kostenfrei angeboten werden, natürlich auch kostenfrei verfügbar sein. Waren sie aber nicht. Daß es bei Anwahl der Kurzwahl 333 (Mailbox von VIAG/o2) auf einmal zu einer Verbindung nach Frankreich kam, waren nur solche Kleinigkeiten.
Irgendwann fiel den Kostenrechnern ein, daß Swisscom-Roaming „zu teuer“ sein könnte. Da öffnete die Telekom (T-Mobile D1) ihr Netz für o2 Kunden. Die konnten anfangs bundesweit ins D1-Netz einbuchen und telefonieren. Weil das D1-Netz flächendeckender und qualitativ besser als o2 war, telefonierten viele Kunden bevorzugt im D1-Netz und auch noch günstiger als beim Original.
o2 entschloss sich, das D1-Roaming zu kündigen, zumal nie ganz klar war, ob andere konkurrierende Netzebtreiber nicht bei der EU-Kommission nachfragen könnten, ob das denn so alles seine Richtigkeit habe, schließlich bot kein anderer Mobilfunker seinen Kunden je „nationales Roaming“ an.
Und dann tat VIAG/o2 Interkom wieder einmal den zweiten Schritt vor dem Ersten: Zuerst wurde das D1-Roaming regional abgeschaltet und erst dann wurde geschaut, ob vor Ort schon eigene Versorgung vorhanden war. Die eigenen Kunden wurden kaum oder nur kryptisch informiert. Die Folge: Kunden waren überrascht bis sauer, beschwerten sich hier und da, bekamen patzige Antworten („Kann gar nicht sein“). Wer hartnäckig genug blieb, durfte irgendwann kündigen, schlimmestenfalls war man erst nach zwei Jahren draußen. (Gehen auch rum)
Nur: Diese Kunden waren für immer weg!
Andere „Gags“ wie eine „kreative“ Mark in Euro Umrechnung, Schwamm drüber. Unvorhersehbare monatlich ändernde Tarifierung für Sonderrufnummern. Merkt doch keiner.
Dann das Sperren bestimmter Festnetzrufnummern, hinter denen vermutlich oder tatsächlich weitere Dienstleitungen erbracht wurden (wie Callthrough = günstige Telefonate ins Ausland oder nette Chatlines, Radioprogramme), Angebote die mit dem Interconnect (Geld für das Zusammenschalten von Netzen und Inhalten) Geld verdienen wollten, welchen Kunden interessiert denn das?
Anfangs wurde von o2 wohl knallhart gesperrt, später nur noch „limitiert“, am Ende gabs eine Ansage, daß der nachfolgende Anruf kein kostenloser Anruf sei und 9 Cent/Minute kosten würde – in manchen Fällen lustigerweise günstiger als ein normales Telefonat, aber was solls.
VIAG wurde zu o2, einem Ableger der Britischen Telekom, die koppelte den Mobilfunk ab und verkaufte nach Spanien an Telefonica, eine der größten Telefongesellschaften weltweit, führend unterwegs in Europa und vor allen Dingen in Südamerika.
o2 erkannte irgendwann, daß man in Deutschland – um überhaupt etwas „reissen“ zu können – ein besseres Netz bräuchte, so wurden drei Milliarden Euro investiert. Der Ausbau wurde langsam spür- und sichtbar, die Kunden schöpften Mut und luden neue Kunden zu o2 ein und alles hätte ein glückliches Ende nehmen können. Doch dann war viel zu früh das Geld alle und die Sparkomissare aus Madrid sagten „Stop, nicht weiter…“ Platz 2 im Netztest der Zeitschrift Connect war falsche Signal, die Füße hochzulegen.
Smartphones sind toll. Smartphones sind permanent online. Es fließen permanent irgendwelche Daten. Richtig viele Daten, wenn ein Video angeschaut wird, aber auch bei SMS, e-mails, Webseiten, Chat- und Statusnachrichten oder andere Programme – Alles läuft übers Internet. Wer da keinen passenden Daten-Tarif hat, kann ganz schnell arm werden. o2 hat deshalb einen Bill-Schock-Mechanismus eingebaut, der dem Vernehmen nach bei 70 Euro im Monat greift, falls der Kunde vergessen hat, einen passenden Internet-Tarif zu buchen. Sollte die Daten-Rechnung höher sein, meldet sich o2 beim Kunden (oder umgekehrt) und schlägt eine Datenoption vor. So wäre es richtig, nur greift der Mechanismus vollautomatisch? Das weiß aber keiner so genau.
o2 erkannte irgendwann, daß die meisten Tarife nur das Wohl des Anbieters im Blick haben und dem Kunden nur Magengrimmen bescheren. Also erfanden sie den „Kostenairbag“ und nannten ihn o2o. Ein Preis pro Minute bis zu einem gewissen Kostenlimit, danach bleibt der Zähler stehen. Einfach und klar, wenn auch mit Kleingedrucktem, das Limit gilt nicht für Anrufe oder SMS ins Ausland, nicht für Sonderrufnummern, nicht für Datenübertragungen.
Nach einer kurzen Überraschungsphase „Wo ist der Haken?“ wurde der Tarif schnell ein Erfolg.
Da wars den Kostenrechnern wieder nicht Recht. Der Tarif würde zu oft von Leuten gebucht, die diese Karte eigentlich nicht brauchten oder kaum nutzten. Oder von Leuten, die diesen Tarif bis zur Schmerzgrenze auslasteten.
Im Zahlungsverkehr zwischen den Netzbetreibern wird nicht flat, sondern pro genutzter Verbindungszeit sekundengenau abgerechnet. Eine unbegrenzte Flatrate kann schnell zur Lotterie werden. Sie funktioniert nur dann, wenn viele Leute diese Option buchen und bezahlen, aber trotzdem wenig genug telefonieren. o2 hatte nicht den Mut, ganz offiziell eine Grenze einzuziehen und diese auch klar zu kommunizieren, wohl in der Angst, daß die Kunden könnten sich genau an diese Grenze herantelefonieren.
Es wurden neue „blue Tarife“ geschnürt, die solange gut sind, solange man im Paketinhalt bleibt. Braucht man mehr Telefonie als Beispiel, kostet jede Folgeminute gruslige 29 Cent (ca. 57 Pfenninge). Viele Kunden merken das zunächst nicht, die Insider und Multiplikatoren aber schon.
Wünsche nach weiterem Netzausbau, nach Informationen wo und wann was gebaut wird, scheinen derzeit ungehört zu verhallen. Klare Infos, wo und warum es im Netz konkret klemmt, gibt es offiziell nicht. Wünsche nach klaren Tarifen genauso.
Nun haben die Geister „Smartphones“ das Netz komplett zugestopft. Zunächst im 3G Bereich (besser bekannt als UMTS), dagegen kann man sich helfen, indem man seinem Telefon die Umschaltung auf 3G einfach verbietet, aber die Netzlast schlägt bereits ins 2G-Netz durch. Verschärfend wurde der Netzbetrieb ausgelagert. Bei Störungen beginnt erst eine Odysee der Suche nach einem Zuständigen, bevor Ersatzteile bestellt werden können („Wer muß das zahlen?“) oder die Anlage gar repariert oder erweitert werden kann. Der Netzbetrieb wurde personell extrem ausgedünnt, viele Störungen kommen bei den Verantwortlichen gar nicht oder stark verzögert an.
Die Kunden dachten anfangs, es müßte an ihrem Handy liegen und litten still. Da tauchte ein Berliner mit seiner Seite wir-sind-einzelfall.de auf und oha, das sind keine Einzelfälle. Spiegel Online und Teltarif griffen die Initiative auf. In einschlägigen Foren wird schon über Wechselalternativen diskutiert und einige sind bereits gewechselt.
Darunter Kunden, die vom einstigen Marktführer D1 oder D2 zu o2 gekommen waren, aus Symphatie für neue Funktionen und Angebote – sie kehrten nach langem Leiden reumütig zum Oriignal zurück und entdeckten den oft dramatischen Unterschied. Werden diese Kunden je wieder zu o2 zurück kommen? Und wenn ja, wann?
Dann gibts Kunden, die o2 nur solange gut fanden, solange sie die günstigsten waren. Jetzt wo sich o2 auf Augenhöhe mit D1 und D2 sehen möchte, sind sie wieder zu E-Plus zurück gewechselt, weil es dort günstiger erscheint. E-Plus baut sein Netz auch aus, aber lang noch nicht genügend, aber hier erwarten die Kunden einfach weniger, Hauptsache „günstige Preise“… Ein Dilemma.
Der 15. November, der 9. Jahrestag der Abschaltung von QUAM ging unbemerkt vorrüber. QUAM war der erste sündhaft teure Versuch der Telefonica, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, er endete mit dem kompletten Ausstieg und rund 9.000.000.000 Euro Verlust.
Ob Telefonica/o2 eines Tages aus Deutschland erneut aussteigen wird?
Ob die ewig diskutierte „Fusion“ mit KPN/E-Plus nochmal aufs Tapet kommt?
Oder eine Fusion Telefonica – Vodafone ?
Oder ganz anders?
Oder bleibt es in Deutschland bei vier Anbietern?
Alles Spekulation.
Kreativ wäre die Idee eines Forenschreibers: Man sollte o2 solange verbieten, Neukunden ins Netz zu nehmen, bis sie ihre Hausaufgaben (sprich Netzausbau und mehr Kapazität) gemacht haben. Bestechender Gedanke. Wer aber soll das kontrollieren? Die BNetzA? Nach welchen Kriterien? Da würde wohl erst einmal geklagt, und das nicht vorhandene Geld für Rechtsstreitigkeiten ausgegeben.
Noch kreativer wäre die Idee, das Swisscom-Roaming wieder einzuschalten. Die Kunden könnten bei Bedarf das Netz wechseln, wären aber noch bei o2 unter Vertrag.
Hausaufgaben für o2:
Die Hausaufgaben für o2 wären:
- Netzausbau: Mehr Kapazität im Netzwerk und mehr Sender in die Fläche und die Funklöcher.
- IT-Systeme: Ewige Baustellen beseitigen, wie eine inhomogene IT-Landschaft, die viele Abläufe verkompliziert und Fehler verursacht.
- Hotline: Die Hotline wieder insourcen, denn nur motivierte und informierte Hotliner, die wirklich dazugehören und sich mit dem eigenen Unternehmen identifizieren, können Probleme wirklich lösen. Die Probleme der Kunden ernst nehmen.
- Geschäftskunden: Den Traum von vielen wertvollen Geschäftskunden kann o2 wohl erst einmal aufgeben. Wenn sich im Business-Bereich, wo Telefonie und Daten einfach funktionieren müssen, herumspricht, was da im o2-Netz derzeit los ist, dann… wird es schwierig.
Lösung für den Kunden?
Die Lösung für den Kommunikations Freak lautet: Dual-SIM-Handy oder Zweithandy mit Zweitnetz. Alles andere hilft im Moment nicht. Die für o2 bitterste Alternative wäre: Konsequent den Anbieter wechseln.
Sehe ich zu schwarz? Ich denke nicht.
Denn spätestens wenn im neuen Telekommunikationsgesetz (kommt wohl erst nächstes Jahr) die taggenaue Rufnummernportierung kommt, werden es alle Anbieter, die ihre Kunden nicht endlich ernst nehmen, dramatisch zu spüren bekommen.
Ja, senores y senoritas de Telefonica, das kostet erst einmal Geld, viel Geld. Und ich weiß, daß die meisten Mitarbeiter von Telefonica-o2 in München, Nürnberg, Bremen oder sonst wo, diese Probleme kennen und auch drunter leiden und sie lieber gestern als morgen lösen möchten. Und ich weiß, dass die Mutter Telefonica in Spanien ein richtig dickes Problem hat, weil im Mutterland das Geld auch fehlt.
Einfach wird das nicht. Aber der jetzige Zustand kann auch keine Lösung sein.
Muchas gracias für die Aufmerksamkeit.
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