Angela Merkel ist leicht zu überschätzen. Was von den Medien gerne als "Strategie" oder "Kalkül" interpretiert wird, ist bei geneuem Hinsehen häufig nicht anderes als ein klassisches Scheitern auf ganzer Linie, gefolgt von einer lange fälligen Kehrtwende. Das berühmteste Beispiel dafür dürfte ihre Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima gewesen sein, aber ein recht ähnlicher Mechanismus zeigt sich bei fast jeder erzwungenen Personalentscheidung (Wulff, Guttenberg, Schavan).
Angela Merkel ist aber auch leicht zu unterschätzen. Damit meine ich mit Sicherheit nicht ihre Fähigkeiten, sondern das Ausmaß, in dem ihre nicht vorhandenen Fähigkeiten langfristigen Schaden anrichten können. Unsere Kanzlerin ist bislang in keinem Politikfeld durch Kompetenz aufgefallen, und das gilt auch und insbesondere für Politik als Ganzes, für den Themenkomplex der Demokratie selbst. So hat sie es schließlich 2011 fast geschafft, das "Unwort des Jahres" zu entwerfen, nämlich die "marktkonforme Demokratie":
In dem typischen Gestammel der entsprechenden Rede befindet sich nicht weniger als das Bekenntnis, prinzipiell die Bedürfnisse der Menschen in diesem Land den Bedürfnissen der Marktes unterzuordnen, was unterstellt, dass sich Wirtschaft besser um ihre Kunden kümmert als Politik um ihre Wähler und damit eine selbsterfüllende Prophezeiung wird. Es ist die endgültige und erklärte Aufgabe von Gestaltungswillen. Und wenn man die Augen gemäß dieser Maxime fest genug verschließt, dann hat man bei Themen, die davon berührt werden, auch nichts zu sagen, außer vielleicht das hier:
Wer sich die Auszüge aus dieser Rede - natürlich vor einer Versammlung von Leuten, die genau das hören wollen - durchliest, lebt plötzlich in einer Welt von selbstlenkenden Autos und Fernoperationen; das ist aus dem Jahr 2014 gesehen in etwa das, was die Mondlandung im Jahr 1914 war: Ferne Zukunftsmusik. Die Netzneutralität ist aber bereits im Jahr 2014 ein Begriff mit einem aktuellen Kontext, den die Kanzlerin von #Neuland komplett ignoriert.
Für den Wähler kann das sehr schnell einmal mehr die Höchststrafe werden, nämlich Reformen, die irgendwo in den Vorstandsetagen erdacht und geschrieben wurden. Auf dem Wege haben wir bereits 2 unserer sogenannten Sozialversicherungen soweit privatisiert, dass sie marktkonform sind - also ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen. Weder die Rente noch die Pflegeversicherung werden noch ihre eigentliche Aufgabe wahrnehmen können, wenn Merkels fliegende Autos und operierenden Roboter immer noch Science Fiction sind. Und das Internet wird schon lange davor nicht mehr wieder zu erkennen sein, mit völlig neuen Werkzeugen zur Zensur, zum Ausspähen, zum Lenken, zum Ausschließen.
Daran kann ich natürlich als Politiker ein Interesse haben. Merkels Ausspruch von der "marktkonformen Demokratie" hätte es in Zeiten von nicht mehr vorhandener Netzneutralität gar nicht in die Medien geschafft, weil die Seiten, die die entsprechende Rede anfangs ventilierten, mit Sicherheit nicht mit den Anbietern verbändelt sind, z.B. die Nachdenkseiten. Wer Geschwindigkeiten steuert, kann eben auch Inhalte steuern, und die Frage ist nicht, ob das gemacht wird, sondern seit diesen Einlassungen unserer Kanzlerin halt nur noch, wann.
Und wird das in Ihrem Interesse sein? Blättern Sie einfach mal ein bisschen, so lange das noch möglich ist, gerne auch hier. In diesem Internettagebuch, wie Blogs mal genannt werden sollten, bis es die Retter der deutschen Sprache aufgegeben haben, ist die Wahrung Ihrer Interessen unter dieser "mächtigsten Frau der Erde" in den letzten fünf Jahren lückenhaft, aber unmißverständlich dokumentiert. Ob Sie das noch lesen können, wenn diese Frau ihren vordiktierten Willen durchsetzt, ist zumindest fraglich.
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