Das Manuskript

Ich wollte Geschichte schreiben. Also – Geschichten schreiben, mit Protagonisten und Konflikten. Deshalb tat ich das. Erst mit Füller und Tinte auf Papier, dann mit alten Schreibmaschinen vom Flohmarkt. Als ich fertig war, legte ich mich schlafen.

Ich zeigte meine Geschichten herum, aber niemand wollte sie lesen.

„Das ist doch nichts“, sagten sie und drehten sich um.

Ich zuckte mit den Schultern und ging zur Arbeit.

Zu der Zeit arbeitete ich in einem Café. Ein kleines Kaffeehaus, mit runden Holztischen und Ohrensesseln. Mittags kamen komische Gestalten mit Hornbrillen und Schals, lasen die Zeitung und unterhielten sich über Bücher. Bestellten Kräuterlimonade und Kaffee aus Krisengebieten. Ich konnte sie nicht leiden, sie schauten mich nie an.

Eine war aber dabei, die hatte Stil. Und Beine, so lang wie Straßenlaternen. Sie trug ihre Haare zum Dut gebunden, dazu eine weiße Bluse. Außerdem einen engen Rock, mit dem man nicht nur auf der Straße Blicke erntete, sondern auch in Meetings über Quartalszahlen lügen konnte. Sie trank immer normalen Kaffee, mit Milch und Zucker. Das war mir sympathisch.   Als ich ihr ihre Bestellung brachte, fragte ich sie, wie sie heiße. Sie antwortete „Loyd“, aber nur mit Nachnamen. Was sie beruflich mache?

„Agentin“, sagte sie und lächelte mich an. Ich trug zur Arbeit immer eine enge Jeans, in der sich deutlich mein Schwanz abzeichnete. Das gefiel ihr.

„Geheimagentin?“, fragte ich.

„Nein, Dummerchen“, erwiderte sie. „Für Literatur.“

Was für ein Zufall, sagte ich, ich schrieb auch Geschichten.

„Ist das so?“

„Ist so.“

Ob ich ihr mal etwas zeigen könnte, was ich geschrieben hatte?

Klar, sie hatte Zeit. Ich brachte ihr die Rechnung und mit dem Trinkgeld steckte sie mir einen Zettel mit einer Adresse zu. Und einer Uhrzeit. Dann verabschiedete sie sich mit einem Lächeln.

Um Acht Uhr stand ich vor ihrer Haustür. Sie wohnte in einer weißgetünchten Villa, in einer Gegend in der nur Autos parkten, die Leuten gehörten, die sich über den Spitzensteuersatz beschwerten. Ich hatte mich nicht schick gemacht. Die Hose hatte ich anbehalten. Nur die Schürze hatte ich abgelegt und eine neue Unterhose angezogen. Mein Manuskript hatte ich mir unter den Arm geklemmt.

Ich klingelte und sie öffnete die Tür, im Bademantel. Ihre langen Beinen funkelten mich. Sie kniff mir in den Schoss und führte mich an der Beule in meiner Hose direkt in ihr Schlafzimmer. Wir liebten uns, ohne lange zu reden.

Es war guter Sex. Sie wirkte ausgehungert.

Am Morgen taten wir es noch mal. Nachdem ich das Gummi abstriff und in den Küchenabfall warf, fragte ich sie, ob sie einen Blick auf mein Manuskript werfen könnte. Sie lag im Bademantel auf dem Sofa vor dem Fernseher, die Beine breit gespreizt. Klar, sagte sie, ohne vom Fernseher aufzuschauen. Sie drückte mir einen Schein in die Hand, damit ich Brötchen hole und gab eine Bestellung auf. Ich legte ihr die Papiere auf den Glastisch und ging zum Bäcker. Als ich wiederkam, war sie immer noch im Bademantel. Ich fragte sie, was sie von meinen Geschichten halte.

„Es gibt Leute, die lesen gerne Krimis“, erklärte sie, die Augen fest auf die Mattscheibe gerichtet, „mit Komissaren, die zwischen der Leberzirose noch Zeit für einen Mord haben. Dann gibt es Leute, die mögen Thriller über Geheimbünde und Kreuzworträtsel. Andere haben gerne Geschichten über Monster, Drachen und Raumschiffe, weil das für sie realistischer ist als der weibliche Orgasmus. Die Hausfrauen-Fraktion liebt den Kitsch, entweder in den schottischen Highlands, oder im achtzehnten Jahrhundert. Bonuspunkte gibt es, wenn es die Highlands vor der Jahrhundertwende sind. Wieder andere lesen gerne Stories über die Entstehung von mongolischen Problemfilmen und darüber, wie vegane Joghurtkulturen die Welt retten. Auf dem ganzen Planeten gibt es noch drei Menschen, die regelmäßig Kurzgeschichten lesen, doch zwei davon haben einen Geburtsfehler und der dritte spielt in seiner Freizeit Schach. Von den eben genannten wird keiner deine Geschichten mögen. Mag daran liegen, dass sie Müll sind.“

Was das heißen sollte, wollte ich von ihr wissen.

„Dir hast nix zu erzählen, Junge“, seufzte sie. „Dir fehlt es an Substand und Blut an den Händen.“

Ich zuckte mit den Schultern und nahm meine Jacke. Bevor ich ging, verabschiedete ich mich und bedankte mich für ihre Zeit.

Dann stach ich ihr sechszehnmal in die Brust und ließ sie im Sessel liegen.

Am nächsten Tag stand ich wieder hinter der Theke im Kaffeehaus und hörte einem Hornbrillenträger zu, der über die Ungerechtigkeit fair gehandelten Kaffees dozierte, als die Tür eingetreten wurde und eine Spezialeinheit durch die Fensterscheibe brach. Sie warfen mich zu Boden und fesselten mich mit Handschellen.

Mein Boss war ein Pädophiler und erkundigte sich nervös nach dem Grund für den Besuch.

„Der hier hat eine umgebracht“, sagte man ihm. „Wir haben seinen Namen vom Buch, das bei der Toten gefunden wurde.“ Das leuchtete meinem Chef ein und er ließ sie mich mitnehmen.

Bei der Urteilsverkündung brüllte der Richter mit Schaum vor dem Mund und warf seinen Hammer nach mir. Dann steckten sie mich in einen Transporter und fuhren mich zum Gefängnis.

Im Knast stellten sie mich unter eine Dusche und spritzten mich mit Eiswasser ab. Dann schlugen sie mir in den Bauch, dass ich mich nach vorne beugte und steckten ihre Finger in meinen Arsch. Ob ich darin etwas versteckt hätte, zum Beispiel einen Stift.

„Nein“, lachte ich. „Nur meine nächste Romanidee!“

„Was is’n das für einer?“ wollte ein schnauzbärtiger Wärter wissen, der gerade dazu gekommen war. Er hatte eine Visage, wie nach einem verlorenen Boxkampf.

„Hat einer Alten in die Brust gestochen und ist geflohen. Hat aber sein Buch am Tatort liegen lassen.“

„Ist das so?“

„Is so.“

„Sperren wir ihn für zwei Wochen ins Loch“, entschied der Schnauzbärtige. „Da unten kann er dann schreiben, was er will.“

Man warf mich in den Keller und schloss die Tür zu. Es gab nichts zu tun, also befolgte ich den Rat des Wärters und schrieb.

Erst auf den Zellenwänden, mit meinen Fingernägeln, später auf einer alten Schreibmaschine, die mir eine verdutzte Wache brachte. Nach zwei Wochen war ich fertig.

Vierhundertsiebenundsechzig Seiten, doppelter Zeilenabstand.

Aus Spaß zwang ich meinen Pflichtverteidiger, das Manuskript die Runde machen zu lassen. Er meinte, ich wäre irre und sollte mir keine Hoffnungen machen. Eine Woche später rief er mich an und sagte mir, ich hätte Besuch.

Sie holten mich aus dem Keller und brachten mich in den (Notiz: Hier fehlt ein Fachausdruck). Hinter der Plexiglasscheibe saß ein blonder Mann, Mitte Dreißig. Er trug einen Seitenscheitel und eine kleine runde Brille. Sein Nadelstreifenanzug saß so eng, dass ein Zwerg ihn ihm mit der Nadel auf die Haut genäht haben musste.

Er zeigte mir eine goldumrandete Visitenkarte auf der „Loyd & Loyd“ stand. Er meinte, so heiße er. Aber nur mit Nachnamen. Ich fragte ihn, was er wollte.

„Was sie mit unserer Kollegin gemacht haben, das hat uns sehr bestürzt“, erklärte er und schaute mich vorwurfsvoll über den Brillenrand hinweg an. „Es hat lange gebraucht, bis wir über den Verlust hinweggekommen sind. Das sollten sie wissen.“

Ich versicherte ihm, dass es mir nicht wirklich leid tat.

Dann lächelte er plötzlich. „Ihr Manuskript aber hat uns sehr gefallen! So authentisch! Wir wollen es unbedingt herausbringen. Wieviel verlangen sie?“

Ich nannte ihm eine Summe. Er nickte eifrig.

„Und wie soll ihr Buch heißen?“

Ich zuckte mit den Schultern. Ich sagte ihm, dass ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht hatte, mich aber auf die weitere Zusammenarbeit freue.


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