Wolfgang Mitterer (c) P. Stirnweiss 2008
Interview mit dem österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer anläßlich seines Aufenthaltes in Straßburg während des Festivals Musica
Herr Mitterer, waren Sie schon einmal beim Festival Musica in Straßburg?
Ja, mit der Oper Massacre vor zwei Jahren und einem Soloauftritt. Und das Remix Ensemble aus Porto hat hier auch ein Stück von mir gespielt, go next.
Sie sind dieses Mal mit Ihrer Komposition zum Stummfilm Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau vertreten, das schon 2001 entstand, sowie einer neuen Arbeit – Stop playing aus diesem Jahr.
Die Musik zu Nosferatu war eine Auftragsarbeit des Wiener Konzerthauses. Die große Orgel dort eignete sich hervorragend zu diesem Zweck. Hier, in Straßburg, arbeite ich an einer kleinen elektrischen Orgel, eigentlich einer Fake-Orgel, aber ich gleiche die fehlende Tiefe mit der Elektronik aus, die ich ja mit verwende. Ich finde, dass der Saal zum Film gut passt, weil in ihm auch eine Szene vorkommt, in welcher ein alter Universitätsprofessor seinen Studenten das Mirakel der fleischfressenden Pflanzen erklärt. Das hat einen schönen Bezug zu der altehrwürdigen Universität in Straßburg. Von der Akustik her ist es aber schwierig, da ich einen Nachhall von fast 6 Sekunden ausgleichen muss. Ob das machbar ist, wird sich erst am Abend zeigen, denn ich kann das vorher nicht probieren, wenn das Publikum mit 600 Leuten nicht im Saal ist.
Wurde Nosferatu in ihrer Notation schon einmal von jemandem anderen gespielt?
Nosferatu an sich hat bisher mehrere musikalische Begleiter gehabt, aber meine Partitur wurde nur von mir gespielt. Ich weiß auch nicht, ob sich da überhaupt jemand findet, der wie ich die Elektronik so mit einbauen kann. Auch lässt das Werk für mich noch immer einen improvisatorischen Part offen, der jedes Mal etwas anders ausfällt.
Wie oft haben Sie das schon gespielt?
Ich denke so ungefähr 12 Mal bisher.
Konnten Sie Unterschiede von der Publikumsreaktion her feststellen?
Das kann man schon, vor allem hängt es davon ab, wie viele Menschen in einem Saal sind und ob der Saal auch ausverkauft ist. Es ist etwas anderes, wenn man vor einem ausverkauften Saal mit 1800 Menschen spielt, in denen jeder durch den anderen getragen wird und das Gefühl hat, an einem großen Ereignis teilzunehmen. Oder ob man vor einem nur halb ausverkauften Saal spielt und sich die Menschen instinktiv fragen, ob das wohl etwas sein kann, wenn der halbe Saal leer ist. Das hat viel mit Psychologie zu tun. Wenn ich Lautsprecher im Raum verteilen kann und die Leute dann quasi mit den Bässen massiert werden und dazu eine gewaltige Orgel spielt, dann beginnen sich ja auch manche zu fürchten. Umso eindrucksvoller wird dann aber auch eine plötzlich einsetzende Stille wahrgenommen, sie wird noch wichtiger, noch tiefer. Das hängt aber tatsächlich von der jeweiligen location, den Zuhörern und nicht zuletzt auch meiner eigenen Befindlichkeit ab, obwohl das die Leute am wenigsten bemerken.
Das Werk Stop playing, das Sie auch in Straßburg spielen, hat welchen Hintergrund?
Ich wollte eigentlich eine reine Orgel-Cd machen und habe hierzu Material von drei verschiedenen Orgeln eingespielt, bzw. ich habe spielen lassen. Dieses Material wurde dann ein 3-Orgel-Remix, das ich wiederum als Grundmaterial verwende.
Haben Sie es schon erlebt, dass Sie mit einem Instrument, genauer gesagt einer Orgel konfrontiert wurden, mit der sie „schwer konnten“?
Es gibt immer wieder einmal Instrumente, die fad klingen, einfach weil sie zu klein sind. Die kann man natürlich nicht mit dem Spirit einer großen Kirchenorgel vergleichen. Aber ich kann das Fehlen gut durch die Elektronik ausgleichen. Ich arbeite ja auch mit halb komponierten Stücken, also mit einer Grundstruktur, zu der ich eine Improvisation hinzufüge. Das gibt mir auch die Möglichkeit, auf den jeweiligen Raum einzugehen und das Beste daraus zu machen.
Wenn man auf Ihrer hp nachliest und die Liste Ihrer Werke sieht, dann fragt man sich unwillkürlich: „Kommt dieser Mann auch zum Schlafen?“
Ja klar mach ich das. Ich weiß aber gar nicht, wie viel ich bisher schon komponiert habe. Ich arbeite ja zum größten Teil für Aufträge. Ich könnte es mir nicht leisten eine Oper nur für die Schublade zu schreiben, denn daran arbeitet man schon mal 1-2 Jahre und das wäre tödlich . Und wenn die fertig ist hat man das Problem, dass sie keiner spielen will. Bei mir läuft das umgekehrt. Mich fragt ein Direktor oder Intendant, ob mir das oder das gefallen, oder ob es mich interessieren würde und dann arbeite ich dafür punktgenau. Ich bin ja auch permanent am Forschen und diese Arbeit fließt dann auch automatisch in diese Kompositionen ein.
Arbeiten Sie lieber für sich alleine oder ist die Arbeit mit einem Orchester, einem Chor oder einem Ensemble für Sie befriedigender?
Als Komponist arbeitet man zum größten Teil ja sowieso immer alleine. Und als Organist ja auch. Besonders schön ist es, wenn ich zum Beispiel mit einem Trio oder einem Quartett frei improvisieren kann. Dann denkt man ja nicht mehr ich muss oder soll jetzt das und das machen sondern, sondern ich spüre dann, dass das oder jenes jetzt genau gut passen würde. Und dann kann ich mich auch voll drauf einlassen und mich Stück für Stück bis zur Trance nach vorne arbeiten. Wenn ich mit großen Formationen arbeite, sowie zum Beispiel beim “Turmbau zu Babel”, der ja in Linz im Fußballstadion aufgeführt wurde, und an dem allein 16 Dirigenten mit ihren Chören beteiligt waren, dann ist das wieder etwas ganz anderes. Da muss ich eine genaue Struktur vorgeben, sonst ist das logistisch schon gar nicht machbar. Und ich kann auch nicht verlangen, dass Sängerinnen und Sänger aus einem Kirchenchor, die manches Mal nicht einmal Noten lesen können, eine komplizierte Partitur erarbeiten. Da war ich dann schon beim Komponieren quasi wie in einer Vogelperspektive über dem Ort geschwebt, um mir genau auszumalen, wie das dann funktionieren würde. Wenn ich für Orchester arbeite, dann mag ich es zum Beispiel nicht, wenn der Posaunist gerade einmal für drei Takte eingesetzt wird. Also einmal 300 Takte vorzählen muss, bis er dran kommt und sich danach auch wieder weiter langweilt. Ich finde nicht nur, dass das eine Verschwendung ist, denn dann könnte man das auch gleich streichen, das wäre viel billiger, sondern vor allem, dass das etwas mit verlorener Energie zu tun hat. Ich finde, dass die Energie, die von Musikern ausgeht, hörbar werden muss. Wenn 20% in einem Orchester nicht mitspielen, so spürt man das, weil ein anderer Energiefluss zustande kommt.
Sie sind ja, wie wir alle, ständig von Geräuschen umgeben.
Ja, wie zum Beispiel im Moment, wo gerade die Straßenbahn zu hören ist, die vorbeifährt.
Genau. Darüber hinaus werden Sie aber in Ihrem Kopf auch Klänge mit sich tragen, damit beschäftigt sein, wenn Sie an einem Werk arbeiten. Was bedeutet eigentlich Stille für Sie, erleben Sie diese auch tatsächlich als solche?
Freilich, wie ein jeder anderer Mensch auch. Wenn ich zum Beispiel in der Natur bin dann freue ich mich daran, dass es leise ist. Wenn ich nur den Wind höre oder auch das Wasser, das ist für mich richtige Erholung. Ich glaube aber, dass das lustvollste Musizieren das stille Musizieren ist. Wenn ich zum Beispiel eine Partitur nehme und diese im Tempo lese und die Musik innerlich ablaufen lassen kann, so kann das ein höherer Genuss sein, als ich das eventuell im Konzertsaal habe. In einem Konzertsaal, in welchem ich das Parfum der Sitznachbarin nicht aus der Nase bekomme oder die Sängerin gerade Probleme mit der Frisur hat! Ich glaube auch, dass jeder Zuhörer seine eigene Musik im Kopf hat, dass bei jedem etwas anders im Kopf abgeht, wenn er Musik hört. Das hängt ganz davon ab, ob es Laien sind oder Musikkritiker, die immer glauben, dass sie sich auskennen müssen.
Sind Ihnen also Laien als Zuhörer lieber als Kritiker?
Da sage ich: entweder schön offen, oder schön wissend. Alles was sich dazwischen bewegt ist problematisch. Ein Free-Jazzer wird ein Werk gänzlich anders hören als zum Beispiel ein Komponistenkollege.
Sie unterscheiden stringent zwischen neuer und zeitgenössischer Musik.
Ja, denn zeitgenössische Musik ist heute ja nicht mehr zwingend neu. Alles, was schon einige Jahre alt ist und schon gehört wurde, ist nicht mehr neu. Neue Musik hingegen bringt immer ein neues, noch nicht zuvor gehörtes Hörerlebnis. Ich war einmal sehr verwundert, als ein Sänger Alban Berg zu den zeitgenössischen Komponisten zählte. Das hat mit zeitgenössischer Musik meiner Meinung nach nichts mehr zu tun. Wenn man sich anhört, wie sich allein im Pop-Bereich die Musik seit den 80er Jahren verändert hat. Zwischen den 50er und 80er Jahren wurde ja alles meistens mit richtigen Musikern eingespielt, was heute ganz anders ist. Seit hundert Jahren hat sich im Instrumentenbau ja nichts Neues ergeben, aber in der Technik hat sich vieles weiter entwickelt. Die Elektronik bietet heute ganz neue Möglichkeiten Musik zu machen. Sie bietet die Möglichkeit, das Kleid der Musik heute neu zu gestalten. Ich zähle ja nicht einmal mehr die Spektralisten zur neuen Musik. (Eig. Anm: Spektralmusik entwickelte sich hauptsächlich in den 70er Jahren und folgend unter Beachtung der Obertöne und damit einhergehend einer Modifikation von Klangfarben, -strukturen usw.) Neue Musik ist auch deswegen spannend, weil auch den Kritikern der Vergleich dazu noch fehlt. Um Neues entstehen lassen zu können ist es auch ganz wichtig, dass die derzeitigen Spielstätten, an denen Festivals für neue Musik stattfinden, bestehen bleiben. Ohne diese findet auch keine Weiterentwicklung mehr statt. Mir ist es auch immer wichtig, Junge für Neues, für Ungehörtes zu begeistern. Ein moderner Künstler bin ich aber nicht, denn wenn ich daran denke, dass Madonna als Künstlerin bezeichnet wird, dann möchte ich kein Künstler sein.
Was sind Sie dann?
Ich bin ein Komponist. Ein Schriftsteller würde ja auch sagen ich bin Schriftsteller und nicht ich bin ein Künstler. Ich glaube, es gibt hier Begriffsverwirrungen, die Begriffsdefinition ist hier falsch belegt.
Sie werden als jemand bezeichnet, der gegen den mainstream agiert. Empfinden Sie selbst das auch so?
Ich glaube, dass man mich keiner bestimmten Stilrichtung zuordnen kann. Was ich schon reizvoll finde ist, bestimmte Klischees aufzubauen und diese dann umzudrehen oder wieder einzureißen. Eine Methode, die aber schon im Barock oder später in der Romantik angewandt wurde. Das Loslösen von Traditionen und das Spielen, das Ausprobieren damit, was man alles machen kann, welche Assoziationen einem dabei kommen, das finde ich spannend.
Haben Sie eigentlich mittel- oder langfristige Pläne oder Wünsche?
Eigentlich habe ich alles erreicht, was man in meinem Metier erreichen kann. Ich habe diesbezüglich keine großen Wünsche, klar wenn eine Oper von mir im Opernhaus von Sydney gespielt würde, das wäre toll, aber ich brauche es auch nicht unbedingt um mein Ego zu befriedigen. Künstlerisch ist es so, dass natürlich die Frage der Notation für mich völlig offen ist. Die Frage nach den Notenköpfen müsste meiner Meinung nach neu definiert werden. Denn wenn ich ein herkömmliches Schriftbild aus den 90er Jahren hernehme, dann kommt natürlich auch nur Musik heraus, die wie in den 90er Jahren klingt. Das ist für mich eine persönliche, künstlerische Herausforderung.
Gibt es tatsächlich nichts, das Sie sich noch wünschen?
Was ich einmal tatsächlich gerne tun würde, wäre die kurzen Sequenzen, die bei den kanadischen Eishockeyspielen immer mir Orgel eingespielt werden, neu zu spielen.
Interessieren Sie sich für Eishockey?
Nein, gar nicht, aber da müsste man schon lang wirklich einmal etwas ganz anderes machen!
Verfasser: Michaela Preiner
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