Darum spricht uns das Linnen so stark zu Herzen. Wir spüren, es muß ihm etwas in unserem Inneren antworten. Wir fühlen es wie eine Forderung an uns, einen Vorwurf, eine Sehnsucht. nur aus reinem Herzen kommt rechtes Opfer, das Linnen aber verkörpert Reinheit, wie sie im Herzen sein muß, soll das Opfer Gott wohlgefällig werden. Und es sagt uns manches über die Reinheit. Fein und edel ist rechtes Linnen. Grobes, gewalttätiges Wesen schafft noch keine Reinheit. Mit mürrischen gebaren hat sie nichts zu tun. Ihre Kraft ist Kraft der Feinheit; ihr Zucht adelig. Aber Kraft lebt in ihr. Echtes Linnen ist fest. Kein luftiges Spinnwebzeug, das vor jedem Wind zerflattert. Wahre Reinheit ist kein kränkliches Ding. Sie flieht nicht vor dem Leben, wandelt nicht schwärmend in unechten Träumen und verstiegenen Idealen. Wahre Reinheit hat die roten Wangen der Lebensfreude und den festen Griff tapferen Kampfes. Und nach eins sagt das Linnen dem nachdenklichen Sinn: Es war nicht gleich so fein und rein, wie es nun da liegt. Erst war´s auch rauh, unscheinbar, mußte oft gewaschen und gebleicht werden, bis es eine duftende Frische gewann. Reinheit ist nicht von Anfang da. Gewiß ist sie Gnade; gewiß gibt es Menschen, die sie als Geschenk in ihrer Seele tragen, daß ihr ganzes Sein die kraftvolle Frische innerster Wesenskeuschheit hat. Aber das sind Ausnahmen. Was man wohl sonst Reinheit nennt, ist oft ein recht fragwürdiges Ding und bedeutet nur, daß noch kein Sturm an ihr gerüttelt hat. Wahre Reinheit steht nicht am Anfang, sondern am Ende. erst in langer, tapferer Arbeit wird sie gewonnen.
Linnen liegt auf dem Altar, weiß, fein und fest. Ist Reinheit, Herzensadel und frische Kraft.
In der geheimen Offenbarung des heiligen Johannes ist einmal die Rede von „der großen Schar, die niemand zu zählen vermöchte, aus allen Völkern, Stämmen, Geschlechtern und Sprachen. Sie stehen vor dem Thron, mit weißen Kleidern angetan“, und einer sagt: „Die da mit weißen Kleidern angetan sind, wer sind sie und woher sind sie gekommen?“ Und die Antwort wird gegeben: „Das sind jene, die aus großer Drangsal kommen und ihre Kleider rein gewaschen haben im Blute des Lammes. Darum stehen sie nun vor Gottes Thron und dienen ihm Tag und Nacht.“
„Kleide mich in weißes Gewand, Herr“ betet der Priester, wenn der die Albe anlegt zum heiligen Opfer … (Von heiligen Zeichen; Romano Guardini 1927)