Wie gesagt, das alles ist erst fünf Jahre her. Seither ist viel geschehen. Oder sagen: Es ist nicht mehr viel geschehen. Für die Partei ist die Regierung futsch. Das Parlament auch. Kein einziger »liberaler« Abgeordneter ist mehr im Bundestag zu finden. Bei jeder Landtagswahl geht es nur um eine Frage: 1,2 oder doch 1,4 Prozent? Wahlen sind eine Schlachtbank geworden. Was für ein Abstieg für jemanden, der vorher als triumphierender Metzger auftrat!
Was damals wohl keiner ahnte: Die Krise der FDP war nicht überwunden. Die 14,6 Prozent täuschten. Man kennt das aus Palliativabteilungen und aus Hospizen. Manche Schwerstkranke blühen einige Tage vor ihrem Ende nochmal kurz auf. Dann steigen sie aus dem Bett, gehen einige Schritte oder haben plötzlich Lust auf einen Apfelstrudel mit Vanilleeis. Das kommt recht häufig vor. Das Pflegepersonal kennt das und weiß, dass man es nicht überbewerten sollte. Da bündeln sich wahrscheinlich nur die letzten Kräfte, formieren sich zum finalen Akt des Widerstandes und plötzlich sieht man besser aus, wird geschwätzig, hat Farbe im Gesicht. Angehörige atmen auf. Sie glauben, jetzt gehe es aufwärts. Wahrscheinlich ist doch noch nicht alles verloren. Geschieht hier gerade ein Wunder? Aber es ist lediglich ein Aufblühen, das dem Erblühen zuvorkommt. Ein Aufschwung, der ein Abschwung ist. Ein Augenblick der Lebensfreude vor dem Aus.
Diese sonderbaren Liberalen haben vor fünf Jahren geglaubt, dass sie genesen seien. Sie haben reagiert wie Angehörige, die voller Hoffnung sind. Verständlich. Das ist menschlich. Aber sie haben sich getäuscht. Ihre Partei ist nochmal kurz aufgeblüht, hat sich aufgebäumt. Letzte Zuckungen, nochmal ein Vanilleeis - 14,6 Prozent als endgültiger Beweis, dass diese Partei zu ihren Lebzeiten doch wer war. Aber das Pflegepersonal wusste was los war. Es schaute hin und versuchte die Angehörigen zu erden. Klar, sagte es, die Partei habe nochmal den Zeitgeist getroffen. »Steuern runter« klingt auch super. Mit Stimmung für das Gemeinwohl gewinnt man schwerlich etwas in dieser Zeit. Aber es ging ja nie um die Entlastung kleiner Einkommen. Dieses Steuersparprogramm war ja nur zahnarztkompatibel und rechtsanwaltsverträglich. Daher ist dieses Hoch nur als ein Aufblühen vor dem Ende zu werten.
Aber natürlich wollten das die FDP nicht hören. Warum auch? So einen letzten Aufschwung falsch zu verstehen, ihn überzubewerten, ihn als Umschwung zu deklarieren - das gehört zum Konzept. Denn es ist eine »anthropologische Masche« oder ein evolutionärer Trick: Hoffnung wird gepflanzt, um das Ende erträglicher zu machen. Solange man hofft, läßt es sich leben. Und stirbt sie sprichwörtlich nicht zuletzt? Aber es ändert nichts daran. Nach dem Eis ist man guter Stimmung, man quatscht, erzählt und verabschiedet sich voller Kraft. Am nächsten Tag ist alles anders. Schlimmer als vorher. Das Ende naht.
Diese 14,6 Prozent, die erst fünf Jahre her sind, sie waren der finale Akt. Morgen vor fünf Jahren ging die FDP ihren letzten Gang. Ging in den parlamentarischen Tod. Dieses Wahlergebnis vom September 2009 war ihr Vanilleeis, an dem sie nochmal genüsslich leckten.
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