Das Leipziger Neuseenland

Von Urlaubaer

Wie aus einer Mondlandschaft der Braunkohle-Industrie ein Naherholungsgebiet für Leipzig wird

Von Bruce Held, Plüschbär

Hallo? Woran denkst Du als Bär, wenn Dir jemand sagt, Bruce heute fahren wir ins Neuseenland? Genau, Du denkst, der hat sich versprochen, das heißt doch Neuseeland und dafür musst Du einen großen Koffer packen mit Badesachen, Fotokamera und Wäsche zum Wechseln. Und du musst die Zeitung abbestellen, weil du mindestens drei Wochen in Neuseeland bleiben wirst, weil das am anderen Ende der Welt liegt.

Aber nein, es ist alles ganz anders. Wir fahren ins Leipziger Neuseenland. Weil mir nie jemand irgendetwas erklärt, mache ich mich also selbst schlau im Internet.
Aha. Es heißt, Neuseenland, weil die Seen wirklich neu sind. Nun fragt Ihr zu Recht, wie kann ein See denn neu sein. Seen sind doch immer schon da gewesen, seit der Eiszeit. Diese Seen südlich von Leipzig sind aber wirklich neu gemacht worden.

Mondlandschaft durch den Braunkohletagebau

Und das ging so: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts grub man hier nach Braunkohle. Hier entstand 1873 die erste Brikettfabrik, viele Fabriken folgten nach. Die wachsende Industrialisierung führte zu einem enormen Bedarf an Braunkohle, und die Holzvorräte im Lande wurden immer knapper.

Der Tagebau veränderte drastisch die Landschaft mit ihren Auen und Gewässern. Im 20. Jahrhundert mussten für den Braunkohleabbau Flüsse verlegt werden. Keine Ahnung, wie die das gemacht haben, aber Überschwemmungsgebiete gingen verloren und viele Ortschaften mussten weichen. Tausende Menschen wurden umgesiedelt. Der Grundwasserspiegel senkte sich dramatisch ab, das Wasser und die Luft waren besorgniserregend verschmutzt.

Viele Großbetriebe entsorgten ihre Abwässer ungeklärt in den Fluß Pleiße. Nicht nur die chemische Belastung war ein Problem für die Gewässer. Die Einleitung von industriellem Kühlwasser führte zur Erhitzung des Flusses auf bis zu 35 Grad. Der Gestank des Mühlgrabens im nahen Leipzig, der sich aus der Pleiße speiste, wurde überwölbt und zugeschüttet. Das gleiche passierte mit dem Elsterflutgraben, er wurde kurzerhand unter dem Straßenpflaster versteckt. So wurde der Gestank unter die Erde verlagert, aber das Problem nicht gelöst.

Von Landschaft konnte man in dieser Zeit wohl kaum noch sprechen, es muss wie eine Mondlandschaft mit tiefen Kratern ausgesehen haben.

So, und da wollen wir nun hin? Mich gruselt es. Wir schließen uns einer Bustour an, um mehr über das Leipziger Neuseenland zu erfahren. Der gut informierte junge Mann der Phoenix Bustour überschüttet uns mit vierhundertdrölfundzwanzigbärolionen Worten. Ich bin froh, dass ich mir die Broschüre mitgenommen habe, in der ich später alles noch einmal nachlesen kann.

Wenn du arglos, ohne Vorwissen diese Bustour machst, guckst du aus dem Fenster und bewunderst die herrliche Landschaft mit Mohnblumen und grünen Feldern. Du siehst viele Seen, neu gestaltete Erholungsgebiete und eine ländliche Gegend. Nur die Dörfer fehlen, aber das hättest Du kaum bemerkt. Doch mit dem Wissen über diesen radikalen Umbau der Landschaft, siehst Du nun alles mit anderen Augen.

Verwandlung ins Leipziger Neuseenland

Zwischen den Jahren 2000 und 2014 wurden die riesigen Abbaukrater geflutet und Seen daraus gemacht. Nun geht das Fluten natürlich nicht so schnell, als wenn Ihr Euch eine Badewanne voll Wasser laufen lasst. Oh nein, das dauert sehr lange. Die klugen Landschaftsplaner verbanden im Anschluss daran wieder Flüsse und Sumpfgebiete miteinander und es entstand ein fantastisches Naherholungsgebiet im Leipziger Süden.

Nun wollt Ihr wissen, wie groß dieses Gebiet eigentlich ist. Könnt Ihr Euch 38 Quadratkilometer vorstellen? Gut, so groß ist das Neuseenland.
Leipzig wurde dadurch wieder zu einer „ Wasserstadt". Mittlerweile ist es möglich, von Leipzig aus mit Bootstouren zu den verbundenen Seen zu fahren. Die Seen, Flüsse und wieder entdeckten Kanäle schaffen viele Möglichkeiten, mit dem Boot das Gebiet auch auf eigene Faust zu erkunden.

Welcher See nun der Schönste ist in diesem Gebiet, müsst Ihr selbst herausfinden. Am Cospudener See gibt es den längsten Sandstrand Sachsens, eine herrliche Marina und Restaurants mit Blick auf den See. Und! Für alle, die schon immer mal auf einem Einhorn an einem See entlang reiten wollten, hier habt Ihr die Gelegenheit dazu. Ich durfte auf Nachfrage Probereiten, aber dafür du brauchst Du schon wirklich Muskeln.

Am Markkleeberger See haben Besucher drei wunderschöne naturnahe Badestrände zur Auswahl. Und wer nicht wasserscheu ist, kann hier auch versuchen, im Kanupark Markkleeberg, einer der modernsten Wildwasseranlagen Europas, um sein Leben zu paddeln. Das habe ich nicht ausprobiert, ich trockne sehr schlecht.

Die Anlage wurde gebaut, weil Leipzig sich für die Olympischen Spiele 2012 beworben hatte. Nur damit Ihr wisst, welch hohen technischen Anspruch diese Anlage hat.
Ich habe mich dann später an einem sonnigen Tag lieber für die ruhige Bootsfahrt entschieden, die zur schwimmenden Seekirche „Vineta" auf dem Störmthaler See führte. Herrlich war dieses türkisblaue Wasser und die/der ruhige See.

Immer näher kamen wir langsam der schwimmenden Kirche, die an die Orte erinnern soll, die dem Tagebau weichen mussten. Das Kunstprojekt Vineta wurde 2010 realisiert und das Krystallpalast Varieté Leipzig lässt hier Konzerte und Lesungen stattfinden. Wer mal heiraten möchte, kann das hier mitten im See standesamtlich machen. Meldet Euch einfach im Standesamt von Großpösna an. Viele Menschen passen zwar nicht in den schlichten kleinen Raum der Kirche, aber die Ruhe und die Klarheit der Architektur haben mich beeindruckt.

Der engagierte junge Reiseführer im Bus lässt uns auch mal aussteigen und so konnte ich für herrliche Fotos Posen. Als unbedarfter Reisender bekommst Du auf dieser Tour einen guten Eindruck davon, wie die Landschaft damals hier im Neuseenland ausgesehen hat. Auf Schautafeln wird das Abbauverfahren erklärt und mit Fotos dokumentiert. Von der Luft- und Wasserverschmutzung hörte ich dann von mitreisenden Zeitzeugen, die von der unfassbaren Umweltverschmutzung noch direkt betroffen waren. Diese Zeitzeugenberichte waren eindrucksvoller, als alles was Du darüber lesen kannst.

Zur Erfrischung der Busreisenden trug ein appetitlich zurechtgemachter Imbiss bei. Als ich nach dem Fotoshooting endlich auch dazu kam, war es aber schon sehr abgeräumt ... 😉

Fazit

Auch für das Neuseenland sind Badesachen, Fotokamera und Wäsche zum Wechseln unerlässlich. Und in diesem heißen Sommer musste das Leipziger Neuseenland den Vergleich mit den Ländern am Mittelmeer nicht scheuen.

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