Ibsen auf der Studiobühne – dass sich die Tragödie des norwegischen Dramatikers gut mit der Blackbox-Atmosphäre der Studiobühne und mit Nicht-Stadttheater-Schauspielern verträgt, beweist Hannah Saars Inszenierung in jedem Fall. Mit viel Liebe zum Detail (besonders auch in Requisite und Kostüm: Caroline Redka) wird hier in gut einer Stunde die sich – bis zur Ankunft des jungen Gregers Werle – selbst bestätigende und feiernde “heile, (klein-) bürgerliche Welt” der Familien Werle und Ekdal zum Kollabieren gebracht. Die Figur der Tochter Hedwig Ekdal ist gestrichen – ein spannender und sinniger Eingriff der deutlich gekürzten Textfassung (auf der Grundlage der Übersetzung von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen). Dennoch ist sie aber präsent in der Rede ihrer Eltern und bleibt zunächst unsichtbar – wie die Wildente selbst.
Man hat sich eingerichtet im Alltag. Jedoch entspricht dieser kaum der makellosen Oberflächlichkeit der vom Ehepaar Ekdal zur Schau getragenen Harmonie (Küsschen links, Küsschen rechts und Nasenstupsen als Begrüßungsritual). In einer der gelungendsten Szenen baut Katharina Nay als Gina das Werlsche Anwesen mit größter Sorgfalt zur eigenen Obergeschosswohnung um, zieht die schwarze Wand links und die Fensterfront rechts der Bühne in die Schieflage (genial, Bühne: Sascha Röder) und ihre Akribie in der Ausführung belanglosester Aufräumarbeiten lässt bereits erahnen, wer hier daran interessiert ist, den Schein von Ordnung aufrecht zu erhalten.
Leider gelingt der Umschlag von zahlreichen unterhaltsamen Momenten (der Jägermeister wird im Klavierkasten versteckt, um vom spitzbübischen Werle Senior (Julian Neckermann) dort wieder gefunden zu werden…) zur denen der Verzweiflung über Lebenslügen oder Schonungslosigkeit der “Wahrheit” nicht direkt überzeugend. Auch dass die hereinrollende Tigerente mit einem Brief Hedwigs als solche gleich adressiert wird und die Tochter somit doch eine Gestalt bekommt, ist schade – war die bloße Andeutung ihrer Anwesenheit vielversprechender.
Wenn aber Relling, Gregers, Hjalmar und Gina im Schlussbild nass, vor Wasser triefend, im dämmrigen Licht an der Bühnenkante stehen, wird nochmal ein großartiger Bogen zum Anfang gezogen: die Feierenden sind aufgewacht, oder abgetaucht zum Meeresboden – was sie dort gefunden haben, bleibt dem Zuschauer überlassen.
Ibsens Wildente wird hier auf charmante und durchdachte Weise entstaubt, das harmonische Ensemble überzeugt besonders durch seine Spielfreude und der Dachboden liegt im Keller – alles ist verkehrt, also richtig, oder so.
Regie: Hannah Saar
Bühne und Licht: Sascha Röder
Kostüm: Caroline Redka
Künstlerische Assistenz und Dramaturgie: Carmen Böhm, Katharina Nay
Grafikdesign:Sebastian Hartmann
Es spielen:
HERR WERLE - Thomas Wegler
GREGERS WERLE – David Niederer
DER ALTE EKDAL - Julian Neckermann
HJALMAR EKDAL - Florian Holzmann
GINA – Katharina Nay
FRAU SØRBY – Lisa-Marie Höke
DOKTOR RELLING – Lukas Rehm
MOLVIG - Walter Zweigardt
sowie Tara Marie Dundas-Harper, Dominique Engeldinger, Till Jorde, Sophia Mann, Lukas Muffler, Kristina Neubürger und Marisa Wolf.