Ein Jahr voller Wunder
Karen Thompson Walker
btb, 2013
978-3442753635
19,99 €
Was würde passieren, wenn die Welt sich langsam auf den Untergang zu bewegt? Julia sitzt vor dem Fernseher, als sie hört, dass sich die Erde immer langsamer dreht. Viele Dinge werden sich ändern, einige aber auch nicht und jeder kämpft gegen ein anderes Problem.
Lange Zeit ist mir nicht klar, ob ich die Geschichte eines Mädchens oder eines Jungen lese. Komisch war es schon bis Julias Mutter endlich mal den Namen genannt hat. Vor allem weil die Protagonistin wirklich keine Anzeichen dafür gibt, mit welchem Geschlecht ich es zu tun haben. Aber kurze Zeit später mag ich Julias Art ihre Welt zu betrachten sehr. Sie schaut genau hin, bewertet nicht über, macht sich Gedanken und lebt trotzdem. Als Kind ist das noch einfach zu sagen, ihre Eltern müssen gegen größere Probleme kämpfen. Sie hat mich ein bisschen an Garp erinnert, obwohl der ja eine Behinderung hatte und Julia nicht.
Ihre Eltern sind manchmal sehr anstrengend. Während ihr Vater immer weg ist und das ist mir nicht geheuer, ist ihre Mutter sehr, sehr leidend. Als ob die ganze Welt nur sie bestrafen wolle. Da bewundere ich Julia, die das alles mit einer Leichtigkeit versteht und händelt, die ich vielleicht nicht aufbringen würde.
Die Randfiguren sind alle recht seltsam, geben der Geschichte aber einen skurrilen Touch, sodass ich gut mit ihnen leben kann. Seltsam ist, dass ich noch nie eine Nebenfigur so sehr gemocht habe, um sie dann fünfzig Seiten später, so sehr zu hassen. Eine ganz neue Erfahrung für mich.
Es gibt Bücher, die trifft man ganz unverhofft und dann öffnen sie das Herz und man seufzt, wenn der Buchdeckel geschlossen wird. So ein Buch ist “Ein Jahr voller Wunder” für mich. In mein Leben getreten, weil ich den Klang des Titels mochte und etwas anderes dahinter vermutete, hat es mich nun überrascht und ist auf jeden Fall eine Rezension wert.
Knapp ein Jahr darf ich die Welt begleitet, die langsamer wird. Erst sind es nur Minuten, dann Stunden und bald ist es soweit, dass es über 30 Stunden sind bis die Sonne wieder untergeht. Manchmal wünschen wir uns, dass der Tag mehr als 24 Stunden hat. Es ist ein frommer Wunsch ohne Hintergedanken, aber Julia erlebt, wie es sein kann, wenn die Sonne nicht mehr nachts untergeht.
Viele Probleme, die die Welt bekommt, wären mir im Leben nicht eingefallen. Klar denke ich daran, dass Pflanzen schlecht wachsen können, wenn die Sonne so lange scheint. Oder das wir schneller Sonnenbrand bekommen würden. Letzteres passiert bei mir sowieso ständig! Aber so simple Sachen wie Schlafen, die Stromversorgung oder Schneefall, habe ich nicht bedacht. Jedes noch so winzige Detail hat mich neugierig auf Neues gemacht und war interessant. Dabei erzählt Julia alles sehr monoton, mit einem geklärten Blick auf das wesentliche.
Man könnte meinen, dass sie in diesem Jahr erwachsener wird und schiebt es auf die Veränderungen in der Welt. Aber in Wirklichkeit ist es nur ihr normales Leben, dass sie versucht so normal wie es geht, weiterzuleben. Ihre nüchterne Art und ihr Blick auf Kleinigkeiten hat dieses Buch zu etwas besonderem gemacht.
Ich würde es jedem empfehlen, der ohne großen Krach und viele Verwicklungen, einen dennoch wichtigen Roman lesen möchte. Ich wünschte mir, dass das Buch noch einige Leser findet.
Der Titel ist dem Original sehr treu geblieben, trotzdem mag ich ihn nicht. Er suggeriert etwas, was das Buch nur in Ansätzen liefert und liefern kann. Etwas weniger pathetisches hätte es auch getan. Dafür mag ich die Farbe sehr.
Ein großer Seufzer, ein Platz in meinem Regal auf Lebenszeit? Was will das Buch mehr? Ich hoffe, es lassen sich noch einige Menschen zum Lesen hinreißen. Es ist zwar keine Geschichte, die aufregend ist, aber die mit sehr leisen Tönen zeigt, was im Leben und im Untergang wirklich wichtig ist.