In der Artikelserie Anti-Leinenrüpel-Guide stellen wir Möglichkeiten vor, die die Leinenaggression eines Hundes positiv beeinflussen können – 10 Wege zum entspannteren Hund.
Oft wird bei einer Leinenaggression eines Hundes nicht bedacht, dass noch viele andere Faktoren eine Rolle spielen, auch außerhalb vom Grundproblem. Auch die Lebensumstände spielen z.B. eine große Rolle, wenn es um Verhaltensprobleme geht.
Hündischer Lebenswandel
Fangen wir mal mit einem ganz simplen Beispiel an, das auf jeden Fall jedem einleuchten wird: Stress und Hektik im täglichen Leben machen krank! Auch einen Hund! Das ist jetzt so logisch, dass du wahrscheinlich denkst:
“dafür muss ich jetzt aber nicht einen langen Artikel lesen, um das zu wissen!”
Nein, stimmt, das musst du auch nicht. Aber vielleicht darüber, wie Stress bei einem Hund aussehen kann, bzw. was alles Stressauslöser sein können, für einen Hund.
Mythos – der Hund MUSS ausgepowert werden
Es ist ja in aller Munde, dass es elementar wichtig ist, seinen Hund auszulasten und dafür zu sorgen, dass ihm bloooooß nicht langweilig wird. Immer wieder wird davor gewarnt, dass zu wenig Beschäftigung zu Verhaltensproblemen führen kann. Leider wird viel zu selten darauf aufmerksam gemacht, dass zuviel Beschäftigung ebenfalls zu Verhaltensproblemen führen kann.
Immer wieder sieht man die Leute, die permanent meinen, dafür sorgen zu müssen, dass ihr Hund 50 mal das Bällchen holt, das macht ihn ja müde. Und 3 mal die Woche zum Hundesport rennen, das lastet ja den Hund aus. Zuhause dann noch 5 Suchspiele, 3 Intelligenzspiele für Hunde, Toberunde mit dem Hundefreund.
“Hach, wieder mal alles richtig gemacht”
…denken sie, wenn der Hund Abends müde in sein Körbchen fällt. Super!! Wirklich??
Nein! Weniger ist hier ganz klar mehr. Ein Hund z.B., der ständig hinter seinem Ball herrennen möchte, den nennt man nicht aus Jux “Balljunkie”, dieser Hund IST ein Junkie. Er legt ein Suchtverhalten an den Tag und Sucht bedeutet Stress!
Übrigens kann ein Tennisball (die ja gerne als Hundespielzeug genutzt werden) schlimme Zahnschäden hervorrufen. Das Oberflächenmaterial wirkt nämlich wie Schmirgelpapier auf die Zähne.
Das Ruhebedürfnis
Hunde haben ein sehr hohes Ruhebedürfnis. Das liegt bei Hunden so um die 20 Stunden täglich. Ja, richtig gelesen, um die 20 Stunden am Tag hat ein Hund das natürliche Bedürfnis zu ruhen. Es gibt natürlich individuelle Unterschiede, wie beim Mensch auch. Trotzdem ist das natürliche Schlafbedürfnis von Hunden ziemlich hoch.
Das Problem ist nur, viele Hunde haben verlernt, diesem Bedürfnis selber nachzukommen. Von klein auf daran gewöhnt, quasi dauerbespaßt zu werden, können sie gar nicht mehr alleine in einen natürlichen Rhythmus finden. Das Ergebnis ist, sie wirken wie ein ständig aufgezogener Kreisel. Und der Halter meint wohlmöglich: “Verflixt, diesen Hund kriegt einfach keiner müde!”. Dabei ist es im Endeffekt wie bei kleinen Kindern, die zur Bettzeit erst recht richtig aufdrehen, weil schlafen ist ja doof.
Sehr häufig wird der Grundstein für diese Überbelastung schon im zarten Welpenalter gelegt und führt dann zu einem unruhigen erwachsenen Hund, der diese Dauerbeschäftigung ständig einfordert. Entsprechend ist sein Gemüt eher ein “hochfahrendes“.
Struktur im Lebenswandel
Genau wie bei Kindern ist ein strukturierter, von Ritualen geprägter Tagesablauf etwas, das für Ruhe sorgt. Besonders wichtig ist das bei Hunden, die mit Unsicherheiten “zu kämpfen” haben. So eine Struktur gibt Sicherheit, ist vorhersehbar. Sie sorgt für eine entspannte Grundstimmung. Auch ein Hund merkt sich z.B., dass mittags erst die große Gassirunde ansteht und kann sich so sparen, um 9 Uhr morgens in einer Erwartungshaltung zu sein. Regelmäßige, zeitlich fixierte Mahlzeiten sparen ihm zwischendurch angespannt auf Futter zu warten.
Sogar seine Körperfunktionen stellen sich darauf ein. Er gewöhnt sich mehr oder weniger an seine festen “Pippizeiten”, kann in Zeiten, in denen “nichts ansteht”, ganz entspannt dösen. Er fühlt sich sicher und gut aufgehoben, seine Bedürfnisse werden erfüllt, jedes zu seiner Zeit.
Der Spielplatz
Stell dir folgendes Szenario vor: In einer Stadt gibt es einen Kindertreffpunkt. Das ist eine große Wiese, da findet täglich den ganzen Tag Kindertreffen statt. Kinder jeden Alters kommen dort hin und toben zusammen auf der Wiese. Sie rennen zusammen um die Wette, wälzen sich rangelnd auf dem Boden, haben viel “Spaß” zusammen. Große 10-jährige dürfen kleine 3-jährige im vorbeilaufen mal eben umschubsen. Immer mal wieder überschlägt sich so ein kleiner, wenn er im vorbeilaufen geschubst wird und umfällt. Aus allen möglichen Ecken hört man Kinder “Mama” rufen, schön dass sie nicht vergessen, zu wem sie gehören. Dass ihre Stimme mitunter verzweifelt beim Rufen klingt, ist sicher Einbildung und kann getrost überhört werden.
Oft werden einzelne schwächere Kinder von Horden Halbstarker gejagt und in die Enge getrieben. Dann stehen sie da und sind umringt von diesen Halbstarken, die sie bedrohlich anstarren oder sogar anbrüllen: “Hey du kleiner Scheißer, was willst du eigentlich hier?”. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Kind von einem anderen eine runtergehauen bekommt. Macht nix, da muss das Kind durch. Das regeln die schließlich unter sich. Sie klauen sich auch gegenseitig ihr Spielzeug. Aber das ist nicht schlimm, wenn man was in eine Gruppe mitbringt, gehört das ja schließlich allen. Am Rand der Wiese stehen die Eltern der Kinder und freuen sich, dass ihre Kinder so schön miteinander spielen …
Du meinst, das ist jetzt Quatsch, sowas macht kein Mensch mit seinen Kindern? Ja, stimmt. Aber mit Hunden. Weil die brauchen das ja. Toben mit Artgenossen. Das brauchen Hunde! Brauchen Hunde das wirklich??? Nee, so etwas wie oben beschrieben, das braucht kein Hund! Aber genau das findet tagtäglich statt, auf sogenannten Hundewiesen. Nur merken die Hundehalter das meist nicht, weil sie nicht richtig hinschauen. Die spielen doch so schön …
Das Ergebnis sind Hunde, die ihrem Halter nicht mehr zutrauen, sich vernünftig um sie zu kümmern. Sie sind daran gewöhnt: Selber regeln ist angesagt.
“Der ist aber süß!”
Vielleicht kennst du auch dieses Szenario: Du gehst mit deinem Hund an der Leine Gassi und dir kommt ein freundlich wirkendes älteres Paar entgegen. Als sie deinen Hund erblicken, der mit seinen braunen Knopfaugen, mittelgroß, plüschiges Fell, wirklich allerliebst aussieht, bleiben sie stehen und rufen aus:
“NEIN, was für ein hübscher Hund! Der ist aber süß! Jaaaaa wer bist denn du??? Komm doch mal her!!!”
Und Schwups, beugen sie sich über ihn und er wird “zwangsgestreichelt”. Der Hund, der ja ein freundliches Wesen hat, steht still und wedelt leicht mit dem Schwanz …
Hunde senden ganz feine Signale aus. Es kann sein, dass diese Situation für den Hund völlig ok ist. Es kann aber ebenfalls sein, dass er das überhaupt nicht toll findet und ruhig stehen bleibt und mit dem Schwanz wedelt, weil er die Situation bedrohlich findet und sie mit seinem Verhalten versucht zu “entspannen”.
Dieses Verhalten, das für Menschen als normal und freundlich gilt, nämlich z.B. sich jemand nähern, in die Augen blicken, anfassen (Hand geben), über jemand beugen, sind alles Verhaltensweisen, die in der Hundewelt als Bedrohung gelten. Natürlich kannst du nicht erwarten, dass Menschen, die nicht viel “Hundewissen” haben, sich darüber im klaren sind!
Fahrplan Hundealltag
Wie du siehst, gibt es so einiges im Alltag, das auf die Gefühlsbasis deines Hundes Einfluss haben kann. Was also kannst du tun, um dafür zu sorgen, dass dein Hund durch seinen Alltag “entspannt” und “stressresistenter” wird?
- Sorge für Struktur. Gib eurem alltäglichen Leben ein paar Fixpunkte und Rituale. So unterstützt du, dass dein Hund sich bei dir sicher und gut aufgehoben fühlt.
- Sorge für ausreichende Ruhezeiten. Ist dein Hund selber nicht mehr in der Lage, diese Ruhezeiten selber einzufordern, bist du gefragt. Verordne deinem Hund feste Ruhezeiten, während denen NICHTS passiert. Anfangs kannst du deinen Hund ruhig immer wieder auf seinen Ruheplatz schicken. Wähle dafür ein Wort, dass du dann immer benutzen kannst, z.B. “geh schlafen” und führe ihn zum Platz. Halte dich während dieser Ruhezeiten selber ruhig, indem du ruhigen Tätigkeiten nachgehst und deinen Hund nicht beachtest (außer beim “zum schlafen schicken”). In hartnäckigen Fällen kann es sehr hilfreich sein, wenn du dich ebenfalls hinlegst.
- Halte ein gesundes Maß an Action ein. Natürlich kannst du ruhig Hundesport mit deinem Hund machen, ja auch hin und wieder Bällchen werfen (außer beim Balljunkie) oder auch Suchspiele machen. Aber das richtige Maß ist hier gefragt. Ausgedehnte und entspannte Spaziergänge, bei denen der Hund sich durch freies Schnüffeln “verausgaben” darf, sind für viele Hunde eine sehr gut auslastende und ermüdende Tätigkeit. Statt immer wieder zu sprinten wird so eher Ausdauersport betrieben.
- Meide “Hundespielplätze”! Wie schon oben gesagt, das braucht kein Hund! Natürlich ist Kontakt mit Artgenossen wichtig. Allerdings kann das pauschal auch nicht gesagt werden. Es gibt auch viele Hunde, die wollen gar keinen näheren Kontakt zu fremden Hunden. Viel besser als Hunde in solchen “Spielgruppen” wahllos aufeinander loszulassen, sind regelmäßige Kontakte mit einigen wenigen “Hundefreunden”.
- Gib deinem Hund eine sichere Basis, indem du ihn vor “Übergriffen” durch fremde Menschen schützt. Dein Hund darf selber entscheiden, wer ihn anfasst und wer nicht. Ein Hund sollte nur angefasst werden, wenn er den Kontakt von sich aus sucht und herstellt. Bleibt er in Distanz, sollte man ihn da auch lassen. Das kannst du anderen auch ruhig freundlich mitteilen, indem du einfach sagst: “Mein Hund mag nicht gerne von Fremden angefasst werden”. Manchmal hilft es auch, das näher zu erklären, z.B. dass es für Hunde bedrohlich wirkt, wenn man sich über sie beugt. Viele Menschen wissen das nicht und handeln in guter Absicht!
Im 5. Teil werden wir die Sache “von Innen” betrachten und dir ein paar Nahrungsergänzungen vorstellen, die dir Unterstützung geben können, damit dein Hund eine entspanntere Grundhaltung einnimmt.
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Wir hoffen, der Beitrag hat dir gefallen und sagen bis zum nächsten mal.
Bis dahin wünschen wir dir und deinem Hund eine schöne Zeit, macht es gut …
Herzliche Pfotengrüße
Lucy und Anke
Dieser Artikel ist Teil der Artikel-Serie “Anti-Leinenrüpel-Guide”.