Je näher jedoch die Konsultativabstimmung über Mühleberg II rückte, desto optimistischer blickten die Gegnerinnen und Gegner in die Welt, unterlief doch den Befürwortern ein PR-Fauxpas nach dem andern. Erst zeigten Reportagen in der «Rundschau» und im «Beobachter», dass mindestens vier Schweizer AKWs Brennelemente mit Uran aus dem russischen Atomkomplex Majak beziehen – die Legende vom «sauberen» Atomstrom hatte einen ernsthaften Kratzer.
Dann deckte der «Beobachter» kurz vor Weihnachten auf, dass beim AKW Mühleberg II auch ein Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle entstehen soll (was, wie die «SonntagsZeitung» nachdoppelte, nicht im Abstimmungsbüchlein erwähnt war). Dann vermeldete die BKW Anfang Januar ohne Not, sie reduziere ihr Ziel für den Ausbau von erneuerbaren Energien um 40 Prozent – angeblich wegen bürokratischen Hindernissen und zunehmender Opposition. Und schliesslich zeigte sich Tag für Tag in den grossen Berner Zeitungen, dass eine Abstimmungskampagne nicht zwingend gut sein muss, bloss weil sie ein paar hunderttausend Franken gekostet hat.
Allerdings zeigte sich auf der Gegenseite – wenn auch mit einem wesentlich kleineren Budget – etwas ganz Ähnliches. Der Slogan «Radioaktive Strahlung zerstört Zukunft!», sollte wohl Emotionen wecken – hinterliess aber vor allem Ratlosigkeit. Was das Bild eines kranken Säuglings mit Atomenergie zu tun hat, erschloss sich dem Betrachter auch beim zigten Anschauen nicht. Daran änderten auch die eilends nachgedruckten Plakate mit dem Schriftzug «Kein Atomlager» nur bedingt etwas.
Stattdessen wurden Komitees gegründet, was das Zeugs hielt: KMU-Vertreter gegen Mühleberg, Landwirte gegen Mühleberg, Anwohner gegen Mühleberg, Ärzte – alles schön und gut, aber völlig konzeptlos. Wie überhaupt die gesamte Anti-Mühleberg-Bewegung den Charme des Chaotischen ausstrahlte: Wenig schien koordiniert, die meisten Trümpfe – das Fehlen den Endlagers im Abstimmungsbüchlein oder der BKW-Rückzieher bei den erneuerbaren Energien – fielen den Mühleberg-Gegnern mehr zufällig in die Hände.
Wollen sie in zwei Jahren, wenn es auf eidgenössischer Ebene um den definitiven Entscheid für oder gegen neue AKWs geht, auf der Gewinnerseite stehen, dann haben sie noch viel Arbeit vor sich. Denn eines zeigt die Konsultativabstimmung im Kanton Bern überdeutlich: In den Städten lassen sich Mehrheiten gegen Atomstrom relativ einfach holen. Bern mit einem Nein-Stimmenanteil von 65 Prozent und Biel mit 61 Prozent Nein haben das bewiesen. Auf dem Land hingegen sieht es für die AKW-Gegner zappenduster aus. Dort, weit weg vom nächsten Atommeiler, ist die Botschaft, dass die Zukunft bei den erneuerbaren Energien liegt, schlicht nicht angekommen. Die AKW-Gegner sind deshalb gut beraten, in zwei Jahren auch Orte zu besuchen, wo «linksgrün» immer noch ein Schimpfwort und Atomenergie scheinbar die Zukunft ist: Finsterhennen etwa (67,7 Prozent pro Mühleberg), Wachseldorn (73 Prozent) oder Malleray (85,6 Prozent). Es werden sich, davon ist auszugehen, auch ausserhalb des Kantons Bern solche Orte finden lassen. Zuhauf.