Das Kriegsgefühl im Körper

Er ist ein Raum, der vielerlei anzubieten hat. Unterhaltung, Langeweile, Emotionen, Nachdenklichkeit. Aber auch ein Raum, der oft Experimentelles beherbergt. Die Halle G im Museumsquartier, im Untergeschoss der ehemaligen Reithalle, hält für sein Publikum eine große Bandbreite an Erfahrungen bereit, wenn sie vom Tanzquartier bespielt wird.

Ende Jänner beherbergte sie Paul Wenninger und sein Kabinett Ad Co. mit der Performance „uncanny valley“. Der Titel des Stückes referiert eine Beobachtung des japanischen Wissenschaftlers Masahiri Mori. Er fasste damit in den 70er Jahren ein Phänomen zusammen, bei welchem die Akzeptanz von Figuren eines Computerspiels bei deren Benützern nicht linear mit der Zunahme des Antropomorphismus der animierten Akteure steigt. In gewissen Weise war der Titel Programm. Denn Wenniger beschäftigt sich in dieser Arbeit nicht nur mit den Grauen des Ersten Weltkrieges. Vielmehr experimentiert er darin mit der Wahrnehmung des Publikums und kommt dabei zu verblüffenden Ergebnissen. Wenngleich diese neurowissenschaftlich bereits untermauert wurden, ist es doch noch etwas Besonderes, wenn Empirie auch körperlich spürbar wird.

Ein Setting wie bei Filmaufnahmen

Das Setting ist ganz und gar nicht einfach erklärt. Zwei junge Tänzer tragen Uniformen, wie sie im Ersten Weltkrieg verwendet wurden. Ausgestattet mit Helm, Wickelgamaschen, Tarnhose und -jacke sowie umgehängten Gewehren bewegen sie sich an und in unterschiedlichen, abgezirkelten Settings, wie sie auch für Filmaufnahmen immer wieder genutzt werden. Ein Lehmfeld, auf das der Regen niederprasselt und aus dem Versatzstücke von menschlichen Leibern ragen. Ein Stacheldrahtverhau über sandigem Gelände. Ein kleiner Bunker mit einem Sehschlitz vor einer per Video projizierten hügeligen Landschaft aus der beständig Rauchschwaden emporsteigen. Ein aus Sandsäcken gebauter Unterschlupf, sowie ein Diorama, in welchem eine Winterlandschaft mit militärischen Versatzstücken zu sehen ist. In jedem dieser nur wenige Quadratmeter großen räumlichen Installationen bewegten sich die beiden Soldaten in derart langsamen Bewegungen, dass das Auge zeitweise Mühe hatte, diese wahrzunehmen. Jede Situation war von Dramatik gekennzeichnet und wurde zugleich von einem Stab von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begleitet, die für verschiedene technische Effekte sorgten. Und das sichtbar.

Dadurch machte Wenninger klar, dass hier nicht Realität suggeriert werden sollte, sondern dass es sich um den Nachbau von Szenen handelte, die vielleicht so oder so ähnlich stattgefunden haben könnten. Der zusätzliche Einsatz von Videoaufnahmen, die sowohl gleichzeitig projiziert als auch bereits vorgefertigt eingespielt wurden und der Einsatz von Geräuschen und Musik, die Peter Jakober beisteuerte, lieferten zusätzliche Ebenen. Einerseits unterstützten sie emotional das, was dem Auge geboten wurde, andererseits fanden auch hier durch den Einsatz von Loops zeitliche Verschiebungen statt, sodass die Parallelität des Geschehens nicht durchgehend gewährleistet war.

Zeitverschiebungen im real life

Jan Jakubal und Raul Maia, die beiden Protagonisten, welche die beiden Kameraden im Feld gaben, lieferten mit dieser Extremperformance ein Meisterstück ab. Was so unglaublich leicht aussah, ist Schwerstarbeit. Das sekundenlange Halten von Bewegungen und der Fortgang derselben im Mikrobereich erfordert nicht nur jede Menge Kraft, sondern auch eine enorme Konzentrationsfähigkeit. Was ihnen dank der vorgegebenen Choreografie gelang, war mehr als verblüffend. Brannten sich doch ihre langsamen Aktionen förmlich in die Netzhaut ein und begannen Gefühle zu suggerieren, die körperlich spür- und erfahrbar wurden. Als die auf Fäden wie in Ultra-Sow-Motion bewegten Gewehrkugeln auf sie zusteuerten und die beiden Soldaten versuchten, sich vor ihnen zu ducken, übertrug sich diese Ausweichbewegung auf die Zusehenden selbst. Ebenso wie das Gefühl des mühsamen Vorankommens in morastigem Gelände, in dem jeder einzelne Schritt zu einer enormen Qual wird. Diese Rückkoppelung zwischen Bild und Gefühl entsteht immer dann, wenn eine Verlangsamung des Geschehens eintritt. Dies bewirkt, dass das Gefühl, welches üblicherweise den Bildern hinterherhinkt und immer erst mit der Reflexion des Gesehenen einsetzt, sich schon während der einzelnen Aktionen einstellen konnte.

Menschen, die in ihrem Leben schon Dramatisches mitgemacht haben, kennen dieses Gefühl ebenso aus lebensbedrohlichen Situationen. Während eines Autounfalles zum Beispiel, tritt bei vielen ein Slow-Motion-Effekt ein, in welchem das Geschehen in einer gefühlten Zeitdehnung miterlebt wird.

Das Gedenkjahr 2014 brachte eine ganze Reihe von Veranstaltungen, die sich reflexiv, musikalisch, dramatisch oder in anderer Weise mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzten. Wenningers Verdienst, abseits seiner beinahe wissenschaftlichen Versuchsanordnung, ist, dass man während des Zusehens seines Plots intensive Gefühle verspürte, die ein direkt-indirektes emotionales Nachempfinden des grauenhaften Geschehens ermöglichten.

„Uncanny valley“ – besser hätte Wenninger sein Stück nicht übertiteln können. Trotz aller unterschiedlichen sichtbaren Versuche, das Gezeigte zu nivellieren und das Artifizielle des Geschehens durch Sichtbarkeit aller Aktionen zu unterstreichen, ergab die Performance eine höchst intensive Akzeptanz des Sichtbaren. Dass wie nebenbei Grundsatzfragen über den Krieg aber auch medientheoretische Fragestellungen mitverhandelt und aufgeworfen wurden macht deutlich, wie verzahnt und wie vielschichtig dieses Stück ist. Mehr kann von experimentellen Stücken wahrlich nicht verlangt werden.


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