29.2.2012 – Am Ende jeden Monats gegen die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesarbeitsministerium die aktuellen Arbeitslosenzahlen heraus. Die Meldung selber beschränkt sich dabei meist auf die Zahl der Arbeitslosen und die aktuelle Arbeitslosenquote. Für den Februar 2012 liegen diese bei 3,11 Millionen bzw. 7,4 Prozent.
Der vollständige Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit umfasst dagegen 82 eng beschriebene Seiten. In dem wohl nur selten vollständig gelesenen Werk verbergen sich die Werte, die das tatsächliche Ausmaß von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in Deutschland beschreiben.
„Arbeitsmarkt bleibt in Fahrt“
“Der Arbeitsmarkt steht auch im Februar grundsolide da. Der geringfügige absolute Zuwachs ist dem sibirischen Winterwetter Anfang des Monats zuzuschreiben. Der ungewöhnlich harte Frost hat weite Teile der Grünberufe sowie der Bauwirtschaft zum Stillstand gebracht.
Insgesamt gilt jedoch, dass die Gesamtlage stabil und erfreulich bleibt. Der Markt ist trotz der Krise im Euroraum aufnahmefähig wie selten.“
So heißt es in der heutigen Presseerklärung von Ursula von der Leyen. Die Bundesarbeitsministerin freut sich an einem grundsoliden Arbeitsmarkt und gibt sich und ihrem Ministerium gute Noten. Ihre positive Einschätzung und ihr Optimismus basieren auf den aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Diese sind dem Monatsbericht 2012 zu entnehmen.
Das Werk umfasst insgesamt 82 Seiten. In unverständlicher und komplizierter Sprache werden hier nicht nur die konkreten Werte diverser Erhebungen am Arbeitsmarkt vermittelt und interpretiert. Der Bericht enthält darüber hinaus Informationen über die statistischen Verfahren, Korrekturen und saisonalen Bereinigungen und liefert auch die Zahlen, die in den Erfolgsmeldungen nicht auftauchen.
Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos
Zugegeben: Die aktuellen Arbeitslosenzahlen für den Februar 2012 klingen gut. 3,11 Millionen Menschen waren in diesem Monat von Arbeitslosigkeit betroffen. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent. Im Vergleich zum Februar 2011 ging die Arbeitslosigkeit somit um 203.000 zurück und erreicht damit die niedrigste Arbeitslosigkeit in einem Februar seit 21 Jahren.
Soweit die offizielle Seite der deutschen Arbeitslosenstatistik. Um herauszufinden, wie es tatsächlich um den Arbeitsmarkt bestellt ist, muss man zunächst einen Blick darauf werfen, wie die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitslosigkeit definiert. Die Statistik enthält nämlich nur einen Teil der erwerbsfähigen Menschen in Deutschland, die nicht oder nicht hinreichend beschäftigt sind.
Diese statistische Darstellung gelingt dadurch, dass man die Gesamtzahl der Arbeitslosen in vier verschiedene Gruppen einteilt. Neben den eigentlichen Arbeitslosen, hierbei handelt es sich um die Gruppe, die in der offiziellen Statistik auch tatsächlich mit 3,11 Millionen beziffert wird, unterscheiden Bundesagentur und Arbeitsministerium nämlich zwischen Arbeitslosen „im weiteren Sinne“, Unterbeschäftigen „im engeren Sinne“ und Unterbeschäftigten.
Arbeitslos sind nach dieser Differenzierung lediglich diejenigen, die sich vorrübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, die auf der Suche nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung sind und der Arbeitsagentur zur Vermittlung zur Verfügung stehen und die sich bei einer Arbeitsagentur oder einem Jobcenter arbeitslos gemeldet haben.
Als nicht arbeitslos gelten dagegen die Teilnehmer an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme, Menschen, die zwar mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten, aufgrund zu geringer Einkünfte allerdings dennoch bedürftig sind, Personen, denen Arbeit aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse oder Lebenssituation nicht zugemutet werden kann und Menschen nach der Vollendung des 58. Lebensjahres, die in den letzten 12 Monaten Leistungen bezogen haben und denen in dieser Zeit kein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis angeboten werden konnte.
Aus der Berücksichtigung der genannten Gruppen ergeben sich folgende Zahlen:
Arbeitslos „im weiteren Sinne“, hierzu zählen, neben den bereits im Rahmen der offiziellen Arbeitslosenzahl bezifferten Personen, Menschen über 58 Jahren und Teilnehmer an bestimmten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, waren im Februar 2012 insgesamt 3,36 Millionen Personen.
Unterbeschäftigt „im engeren Sinne“, hierzu zählen bereits genannten Gruppen und zusätzlich Personen, die zeitweise arbeitsunfähig sind oder sich in anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden, waren im Februar 2012 insgesamt 3,95 Millionen Menschen.
Unterbeschäftigt, neben den bereits erwähnten Gruppen, kommen jetzt noch Personen in geförderter Selbständigkeit und in Altersteilzeit hinzu, waren im Februar 2012 insgesamt 4,15 Millionen Menschen. Die Unterbeschäftigungsquote liegt somit bei 9,7 Prozent, während die offizielle Arbeitslosenquote lediglich 7,4 Prozent beträgt.
Statistische Verfahren
Wir haben bisher gesehen, dass die Bezifferung der offiziellen Arbeitslosenzahlen vor allem davon abhängt, wie man Arbeitslosigkeit definiert. Zwischen denjenigen, die es in die offizielle Statistik bringen und denjenigen, die aufgrund der statistischen Definition nicht dort auftauchen, liegen mehr als eine Million Menschen.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Anzahl derjenigen Erwerbsfähigen in Deutschland, die im Februar Leistungen durch die Arbeitsagenturen erhalten haben, bei 5,37 Millionen lag. Hier ergibt sich also zwischen den 3,11 Millionen offiziellen Arbeitslosen und denen, die tatsächlich auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, bereits eine Abweichung in Höhe von 2,26 Millionen Menschen.
Die Bundesagentur für Arbeit setzt aber noch weitere Verfahren ein, um die Arbeitsmarktzahlen zu gestalten. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte „Saisonbereinigung“. Diese sorgt dafür, dass die konkreten Arbeitslosenzahlen eines Monats nicht absolut genannt werden sondern zuvor einem komplizierten Berechnungsverfahren unterworfen sind, dass die saisonalen Charakteristika des betreffenden Monats ausfiltert. Konkret konnten so für den Februar 2012 rund 30.000 Leistungsempfänger komplett aus der Statistik gestrichen werden, da die Beschäftigungszahlen in diesem Monat traditionell geringer sind als in anderen Monaten.
Ebenfalls interessant ist die Berechnung der Arbeitslosenquote. Diese liegt nach der Meldung von Arbeitsagentur und Arbeitsministerium für den Februar 2012 bei 7,4 Prozent und wird im Verhältnis zu den sogenannten „zivilen Erwerbspersonen“ berechnet. Hierunter fallen allerdings auch Selbständige und mithelfende Familienangehörige. Berechnet man die Arbeitslosenquote stattdessen im Verhältnis zu den „abhängigen zivilen Erwerbspersonen“, also denen, die dem Arbeitsmarkt auch tatsächlich zur Verfügung stehen, dann erreicht die Arbeitslosenquote anstelle von 7,4 Prozent deutlich höhere 8,2 Prozent.
Eigenlob und Ausgrenzung
Wenn immer man sich kritisch mit der Beschaffenheit der deutschen Arbeitslosenstatistik auseinandersetzt, dann folgt kurz darauf der Einwand, dass diese Art der statistischen Praxis bereits seit langer Zeit in identischer Form betrieben wird. Kritiker einer substantiierten Beschäftigung mit diesem Thema sind der Auffassung, dass in es Bezug auf die Beobachtung von Veränderungen am Arbeitsmarkt keine Rolle spielt, wie „Arbeitslosigkeit“ genau definiert wird.
In gewisser Weise haben sie damit Recht. Wenn man die offiziellen Zahlen ausschließlich dazu verwendet, sich über Veränderungen im Vergleich zum Vormonat oder zum Vorjahr zu orientieren und wenn sich das statische Verfahren während dieser Zeitspanne nicht verändert hat, dann spielt das Ergebungsverfahren selber eine untergeordnete Rolle.
Will man allerdings wissen, in welcher Weise die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit von arbeitsmarktpolitischen Problemen betroffen ist, dann führt kein Weg daran vorbei, die offiziellen statischen Definitionen aufzulösen und ihnen die absolute Zahl der tatsächlich Betroffenen entgegenzustellen.
Mit vorteilhaft inszenierten Arbeitsmarktwerten geben sich die Arbeitsagenturen und das Arbeitsministerium selber gute Zensuren. Die Ministerin stellt die Ergebnisse ihrer Arbeit deutlich positiver dar, wenn sie von 3,11 Millionen Arbeitslosen und einer Quote von 7,4 Prozent spricht, als wenn sie erwähnen würde, dass die Unterbeschäftigungsquote bei 9,7 Prozent (im Osten sogar bei 15,4 Prozent) liegt oder dass in Deutschland mehr als 5,37 Millionen Erwerbsfähige auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, weil sie entweder unbeschäftigt sind oder vom Ergebnis ihrer Arbeit nicht leben können.
So gesehen dienen beschönigte Erfolgsmeldungen vom Arbeitsmarkt immer auch der Ausgrenzung von Menschen, die nicht zu den „Wohlstandsgewinnern“ unserer Gesellschaft zählen. Ihnen wird durch die Relativierung der tatsächlichen Zahlen suggeriert, zu einer Minderheit zu gehören. Gleichzeitig konfrontiert die Betonung eines „grundsoliden Arbeitsmarktes“ mit guten Erfolgsaussichten die Betroffenen mit dem Vorwurf der eigenen vermeintlichen Unfähigkeit.
Diejenigen, die sich selber nicht betroffen fühlen, erhalten den Eindruck, es handle sich um ein vergleichsweise kleines Problem. Die Folgen sind Entsolidarisierung und Ausgrenzung gegenüber von Millionen Menschen, die nicht von den angeblich guten Arbeitsmarktbedingungen profitieren können und die entweder bereits in Armut leben oder von akuter Armut bedroht sind.
Wer die Nachrichten und Presseartikel der nächsten Tage verfolgt, der wird feststellen, dass sich die Meldungen in der Regel auf den „Erfolgswert“ von 3,11 Arbeitslosen und eine geringe Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent beschränken. Diese verkürzte Darstellung bestätigt Regierung und Arbeitsministerium in ihrem Kurs, verbessert deren Imagewerte und drängt Millionen Menschen noch weiter an den Rand der Gesellschaft.