Das Kirchlein von Cresta (Widmer schwärmt)

Von Wanderwidmer



Als ich gestern die Kirche von Cresta (Ferrera, GR) erblickte, war ich, jawohl, ergriffen. Es ist die Klippe, die Kante, an der sie steht, hoch über dem Tal des Ferrera-Rheins, es präsidierend - diese Lage ist existenziell, dramatisch, Notfall. Und auch der Bau selber packt. Um 1200 errichtet, ist das Gotteshäuslein noch von der Romanik geprägt. Gedrungen ist es, trutzig und trotzig und wehrhaft, freilich so klein, dass jeder Eroberer es verlachen würde. Im Inneren mochte ich dann die Schlichtheit sehr und erlitt, obwohl ich eigentlich für den Katholizismus schwärme, für dessen Bilderfülle und Sinnenhaftigkeit, einen wunderschönen Rückfall in meinen Kindheits-Protestantismus: Doch, die Bilderlosigkeit, die totale Reduktion, das Alles-raus, die Unaffektiertheit hat vieles für sich. In diesem Raum, ausgestattet nur mit einem Taufstein, einem simplen Holzgestühl und einem ohne Elektrizität funktionierenden Harmonium, ist Versenkung, Abtauchen, Innerlichkeit möglich. Einst war die Kirche von Cresta die Kirche der ganzen Talschaft Avers. Doch seit die Niederungen mehr gelten als die Höhen, weil eine Gegend an der Strasse mehr wert ist als eine grüne, schwer zu erreichende Viehterrasse, seit Cresta eine nur noch sommers bewohnte Siedlung ist, gibt es hier noch genau einen Gottesdienst pro Jahr. Ein bejahrter Bauer, kaugummikauend, braun wie ein Appenzeller Biber, erzählte mir folgendes: Damals, als die alten Walserhäuser rundum verlassen waren, aber noch nicht als Ferienhäuser in Beschlag genommen, da war auch die Kirche von Cresta auf dem Tiefpunkt. Ein Bauer hielt in ihr Geissen, nutzte sie als Stall. Der Geissdreck habe ihm bis an die Knöchel gereicht, schilderte mir der Mann. Unglaublich!