Das journalistische Jahrhundert ist vorbei

Das journalistische Jahrhundert ist vorbeiEs liegt an den persönlichen Eigenschaften, wenn man arbeitslos wird, nicht wahr? Bezwecken niedrige Steuern für Millionäre wirklich ein Hausse des allgemeinen Wohlstandes? Überwachung ist doch gleich Sicherheit? Bedingt die »Jahrhundertreform« Hartz IV nicht folgerichtig einen hohen DAX? Ist Homosexualität denn etwa nicht die Ursache für Geburtenrückgang und den demographischen Wandel? Oder liegt es am Rückgang der Störchepopulation? Ist blond gleich blöd? Was A und B eigentlich jeweils miteinander zu tun haben? Wenig bis gar nichts. So wenig wie die Anschläge von Paris am vergangenen Wochenende mit den Flüchtlingen, die nach Europa strömen. Aber dass man A sagt und B meint oder schlussfolgert, obgleich beide Buchstaben nichts miteinander zu tun haben, obwohl das eine ein Vokal und das andere ein Konsonant ist, ist in diesem Land schon lange zu einer Regelmäßigkeit geworden. Konklusion bedeutet hierzulande, dass man wild Dinge miteinander vermischt, die nur recht dürftig in Relation stehen.

Man konkludiert und deduziert, leitet her und ab, kombiniert und folgert, zieht Schlüsse und Quintessenzen, präsentiert Resultate und Ergebnisse und verbandelt dabei Prämissen, die gar nichts miteinander zu tun haben. Das ist die traurige Wirklichkeit, in der sich die Logik dieser Tage befindet. So haben also Terroristen, die sich vermutlich auf den Islam beziehen, einen Massenmord verwirklicht. Prompt zieht man den Schluss, dass das die bitteren Folgen der Flüchtlingspolitik seien. Damit müsse es nun ein Ende haben, damit Europas Städte sicherer werden. Weil man sie hereinlässt und nicht mit Waffengewalt raushält, kam es also zu diesen Anschlägen in Paris. Logik ist eine kühle Angelegenheit, man sondiert die Prämissen, prüft ihren Gehalt. Taugen sie zum Syllogismus? Oder sind sie eher was für Stochastik? Kann man die Voraussetzungen und Annahmen in Relation setzen oder kollidieren zwei Sachverhalte, weil sie sich nicht auf einen Wesenskern reduzieren lassen? Da muss man schon Analyst sein, cool bleiben. Am Wochenende war mal wieder keiner cool. Alle waren sie aufgeschreckt, emotional durch und durch, voller Betroffenheitsrhetorik. Ob Zeitungen und TV-Sender: Gefühle allerorten. Dabei gilt: Gefühle zu ihrer Zeit, die Logik braucht aber ein anderes Zeitempfinden, ein anderes Milieu.
Und dann kommen eben »logische Schlüsse« heraus, die nichts Logisches in sich bergen. Was haben Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil ihnen Elend oder gar der Tod droht, mit den Terroristen zu tun, die den Tod bringen? Oder anders gesagt: Diese IS-Soldaten sind ein Grund, wieso Menschen aus Syrien fliehen. Wer A und B in einem Satz nennt, kommt nicht automatisch auf das gesamte Alphabet. Er zeigt letztlich nur, dass er die ersten Buchstaben beherrscht. Den Rest aber offenbar nicht. Denn unter den vielen anderen Buchstaben, unter die man allerlei Vordersätze zur logischen Ableitung ordnet, die dann zu Vollendung eines Schlusses benötigt werden, steht eben geschrieben, dass die Flüchtlinge nicht die Terroristen bewirken, sondern vor eben jenen getürmt sind. Aber wer eben nicht kühl an die Logik geht, wer in Wallung ist, der übersieht eben Dinge. Dieses philosophische Fach sollte eben nicht mit Tränen in den Augen praktiziert werden. Und auch nicht mit Speichel in den Mundwinkeln. Journalisten sollten daher die Tränendrüse nicht drücken und sich mit einem Taschentuch die Lippen abtupfen. Damit sie logisch bleiben können.
Aber wir kennen das ja. Es ist ja nichts Neues. Jetzt eben die Anschläge von Paris. Im Kleinen und im Großen kennen wir aber emotionalisierte Logik, die Prämissen verbindet, die sich gar nicht logisch ergründen lassen. Dass beispielsweise nicht angetastete Millionenvermögen uns allen zu Gute kommen, ist eine beliebte Sentenz unserer Zeit. Wenn A reich bleibt, geht es auch B gut. Das ist die einfache Induktion. Ob das logisch haltbar ist, kann allerdings nur der kühle Kopf ergründen. Aber da Medien und Politik dauernd überhitzt sind, nie cooldownen, wie man das heute nennt, kommen eben verquere Theorien dabei heraus. Auch dass Hartz IV der Schlüssel zur niedrigen Arbeitslosigkeit ist und demnach dem DAX nutze, stimmt so ja nicht. Aber die Logiker des Systems sagen es genau so.
Natürlich haben Flüchtlinge und Terroristen schon etwas, was sie verbindet. Wie oben beschrieben. Flüchtlinge sind nicht die Ursache, sie sind die Wirkung, die die Gewaltbereitschaft erzeugt. Man ist in einem Verhältnis aus Furcht verbunden. Nicht aus Überzeugung und Komplizenschaft. So ist es ja mit Hartz IV und dem DAX auch. Deutsche Exportunternehmen wachsen und gedeihen, weil die Löhne stagnieren und daran hat auch Hartz IV mitgewirkt. Hartz IV ist nicht die Ursache. Sie erzielt Wirkung auf dem Rücken derer, die sich nicht wehren können. Überwachung und Sicherheit haben auch was miteinander zu tun. Nur nicht das, was man allgemein als logische Beschaffenheit behauptet. Man überwacht nicht und flugs ist alles sicherer. Man überwacht und prüft die Sicherheit, damit man noch mehr überwacht, weil man immer noch ein Loch, noch eine durchlässige Stelle findet. Es ist eine Tautologie großer Bruderschaft.

Wir sind es in dieser Mediokratie so gewohnt, einfach mal A und B in einen Satz zu vermengen und dies schon als die logische Schlussformel zu verwenden, dass wir nach Paris als Gesellschaft gar nicht mehr fähig sind, die Prämissen zu prüfen. Man hat uns das Prüfen abgewöhnt. Die Medien und die Politik sind Stichwortgeber und Prämissensetzer. Sie werden es schon geprüft haben. Man muss ja zugeben, der Mensch war nie anders. Schon vorher war er ein schlechter Logiker in seinem Alltag. Dass der Jude schuld sei, dass Deutschland den ersten großen Krieg verloren habe, war so ein Beispiel undurchdachter Logik. Dass die Frau, die gut mit Kräutern heilen konnte, ja irgendwie teuflische Mächte im Bund hatte, war ein Vorläufer dieser Unlogik. Aber mit den Massenmedien innerhalb einer Demokratie und den professionellen Journalismus meinte man irgendwann mal, dass man diese Haltung abschaffen oder wenigstens eindämmen könnte. Wenn jemand kühlen Kopf bewahrt, wo die Masse mit Wut, Hass und Tränen aufwartet und die Politik mit Machtwillen, dann musste doch die Vernunft und die Logik zu ihrem Recht kommen. Der Journalist sollte diese Aufgabe übernehmen. Die vierte Gewalt im Staate sein. Die Puplikative. Die entemotionalisierte Instanz, die sich philosophischer Mittel bedient und der Ratio zur Durchsetzungskraft verhilft. Aber irgendwie kam alles anders.
Der heutige Journalismus ist fast nur eine emotionale Angelegenheit. Kühl schreibt keiner mehr. Man macht sich mit der Betroffenheit gemein, weil man so die Auflage steigert. Und weil man keinen Shitstorm auslösen will. Zwischen den Zeilen gibt es sicher Kommentatoren, die es geraderücken wollen, die Kolumnen schreiben und wie Pluralismus wirken innerhalb des Chores der Unlogiker. Aber was Logiker in einer Meute von Gefühlsmenschen sind, weiß man gemeinhin: Sie werden als kalte Mitmenschen deklariert, die nicht weinen, wo man weinen sollte. Die nur konkludieren und induzieren und dabei so unterkühlt wirken, dass es einem fröstelt. Man will es aber schön warm haben. Dass Coolness die eigentliche Aufgabe des journalistischen Metiers wäre, haben wir verdrängt. Wir wollen so sein wie die Hexenverfolger. A und B sagen und im Recht sein. Auf die Logik sei geschissen. Das hier ist das postjournalistische Zeitalter, indem es unlogisch zugeht.
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