Das Jahr 2010 in zwölf Worten

Zehn davon hat die Gesellschaft für deutsche Sprache schon festgelegt; ich erlaube mir, diese Worte noch mit „Schneechaos“ und „Kriegsweihnacht“ zu ergänzen. Denn die Berichterstattung der letzten Tage, ja Wochen wurde von diesen beiden Begriffen dominiert.

Geradezu feierlich zeigten die Nachrichtensendungen, dass zumindest die Feldpost funktioniert und unsere tapferen Soldaten in Afghanistan mit ermutigenden Worten und von lieben Kindern gemalten Weihnachtsbildern förmlich überschüttet werden. Die Soldaten Kai, Hans und Michael freuen sich: „Das geht ans Herz!“

Ganz anders dagegen im tiefverschneiten Deutschland, obwohl in den vergangenen Tagen durchaus auch der Erwähnung wert war, dass die Bahn inzwischen gelegentlich „fast störungsfrei“ funktioniert habe. Ganz ehrlich: Mit dieser Deutschen Bahn kann man keinen Krieg gewinnen. Aber das ist vielleicht auch ganz gut so.

Aber Kriege werden neuerdings auch im Internet geführt, wie der Top-Ten-Begriff Nummer 4 „Cyberkrieg“ nahelegt. Der hat sich sogar noch um eine Position an „WikiLeaks“ vorbeigeschoben. Wobei die Leckstelle im Internet derzeit ja deutlich weniger Aufmerksamkeit erfährt als der Urheber derselben. Julian Assange hat immerhin einen Millionen-Vertrag für seine Autobiografie abschließen können, das wird wohl reichen, um sich schlagkräftigen Rechtsbeistand gegen die Vorwürfe von Vergewaltigung und sexueller Belästigung in Schweden einzukaufen.

Dass man auch mit einem Buch, in dem kein Sex vor kommt, Millionär werden kann, hat Thilo Sarrazin mit seinem langweiligen Käse aus abgedroschenen Vorurteilen bewiesen, den er auch noch großzügig mit öder Statistik garniert hat. Irgendwie geht es darin zwar auch um Gene und um Fortpflanzung oder eben einen Mangel davon bei den eigentlich dafür tauglichen Leuten, aber sexy ist das alles nicht. Trotzdem hat das „Sarrazin-Gen“ es auf den dritten Platz der Wörter des Jahres 2010 geschafft.

Mir bislang völlig unbekannt war übrigens das Wort auf Rang 9: „Femitainment“. Aber wie ich festgestellt habe, kennt auch sonst keiner diesen Begriff. Dank Wikipedia weiß ich nun, dass in der Berliner Zeitung vom 17. November ein Artikel war, in dem dieses Wort benutzt wurde, wie auch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 14. November. Nun ja, wenns in der Zeitung stand, dann muss es das Wort wohl geben. Warum können nicht interessante Wörter wie „Schmirgelmürgel“ oder „Humpfenschlumpf“ Wörter des Jahres werden? Die kennt auch keiner, dafür sind sie wenigstens lustig. An dieser Stelle will auch auch Wort Nummer 8 „Vuvuzela“ abhaken. Dank des afrikanischen Getrötes habe ich überhaupt mitgekriegt, dass Fußball-Weltmeisterschaft war. Okay, die ganzen Open-Air-Fernseher waren auch so nicht zu übersehen, aber der markante Geräuschteppich während der Spiele hat wenigstens von dem enervierenden Fußballgelaber abgelenkt. Insofern geht „Vuvuzela“ als Top-Ten-Begriff der Wörter im Jahr 2010 für mich völlig in Ordnung.

Auch die „Aschewolke“ finde ich total okay, sie hat uns im Frühjahr immerhin ein Wochenende mit einem wunderbar kondensstreifenfreien Himmel beschert. Dafür hätte sie eigentlich eine bessere Platzierung verdient. Auf meiner persönlichen Bestenliste käme sie sogar noch vor dem Schneechaos. Das haben wir gefühlt fast jedes Jahr, die Aschewolke aber bekommt noch einen Originalitätspunkt extra.

Beim Wort Nummer 6 „schottern“ bin ich mit etwas unsicher, ist das nun ein originelles Wort oder nicht? Besonders gut geklappt hat es ja nicht mit dem Schottern – die Castoren sind trotzdem in Gorleben angekommen. Wobei auch den Schotterern selbst klar war, dass das passieren würde. Ich finde es, bei aller Vergeblichkeit dieser Proteste, trotzdem wichtig, dass protestiert wird, gerade gegen Atomkraft und alles was daran hängt. Insofern ist der Platz auf der Wort-des-Jahres-Liste berechtigt. Als Protestform gegen Atomenergie dagegen ist schottern wenig tauglich – da müsste man schon diesen ganzen Staat schottern, der den Betrieb von Atomanlagen also so wichtig und richtig ansieht, dass er ihn mit Gewalt durchsetzt.

Damit komme ich zu den Worten ganz ohne Originalitätspunkte. Die da wären „unter den Eurorettungsschirm schlüpfen“. Rettungsschirm an sich hätte es doch auch getan. Es wurden dermaßen inflationär Rettungschirme aufgespannt, dass man sich schon wundert, dass es nicht den Rettungsschirm-Rettungsschirm gibt. Auch der Fallschirmspringer hat doch immer noch einen Ersatzschirm. Aber wenn auch der versagt – siehe Möllemann. Nein, ich sag jetzt weiter nichts über die FDP. Dafür komme ich zu Stuttgart 21 und den Wutbürgern.

Tja, Stuttgart 21. Selbst Bahnchef Rüdiger Grube hat eingeräumt, dass Stuttgart 21 nicht gerade das bestgeplante Bahnprojekt aller Zeiten sei und die Kommunikation zu dem Projekt seitens der Bahn auch sehr schlecht gelaufen sei. Aber es ist halt nicht nur ein Kommunikationsproblem. Die Leute haben geschnallt, dass es nur in zweiter Linie um neue Bahninfrastruktur geht und in erster Linie um ein dickes Geschäft rund um die Neuverwertung der Flächen, auf denen sich derzeit noch alte Bahninfrastruktur befindet. Ich persönlich finde es gar nicht schlecht, wenn in Bahninfrastruktur investiert wird. Ich hätte gern eine gut ausgestattete, zuverlässig funktionierende Bahn. Ob man die dafür tieferlegen muss oder nicht.

Ich finde übrigens auch schade, wenn alte Bäume abgeholzt werden. Aber man kann neue pflanzen. Als die prächtigen alten Parks angelegt wurden, in denen heute die jahrhundertealten Bäume zu bewundern sind, haben die Planer weiter gedacht. Heute geht es immer nur um das, das grade da ist. Im Grunde ist alles, was heute angelegt wird, Zwischennutzungsprojekt, bis einer mit einer besseren Geschäftsidee kommt. So sehen die heute gestalteten Plätze und Grünanlagen auch aus. So hässlich und öde, dass man sie getrost wieder planieren kann, für den Bau des nächsten Möbelhauses oder Schnellrestaurants.

Damit komme ich zum Wutbürger. Der ist keine besonders symphatische Figur. Der Wutbürger regt sich auf, wenn ihm was nicht passt, das kann ein neuer Bahnhof oder eine neue Schulform sein. Der Wutbürger wird wütend, wenn ihm etwas weggenommen wird, worauf ein ein Recht zu haben meint. Er mag Neues nicht. Immer hat er Angst, dass er zu kurz kommt. Ich sehe „die neue Protestkultur“ nicht, die man in den Medien im Umfeld des Wutbürgers findet. Was soll denn daran neu sein? Und erstrecht nicht neu ist, dass der Wutbürger schön zuhause bleibt, wenn es an die Substanz geht. Wo sind die Massenproteste gegen fortschreitende Verarmung durch sinkende Löhne und steigende Lebenshaltungskosten? Wo sind die Massendemonstrationen gegen die Demontage des Gesundheitssystems? Fehlanzeige! Bei „Wutbürger“ sehe ich Arnulf Baring, Henrik M. Broder und Thilo Sarrazin gemeinsam wie Rumpelstilzchen im Kreis herum tanzen. Neue Protestkultur, ich lach mich tot.



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