6.2.2012 – Viele Zeitungen titeln heute mit Aufmachern wie „Zahl linker Gewalttaten deutlich gestiegen“ oder „Linke Gewalttaten: Zahl offenbar sprunghaft gestiegen“. Die Blätter berufen sich dabei auf einen Bericht der „Bild-Zeitung“, die angibt, exklusiv über Zahlen aus dem Bundesinnenministerium zu verfügen.
Die Zahlen im Einzelnen
Die „Bild-Zeitung“ berichtet heute über Zahlen zu politisch motivierten Straf- und Gewalttaten des Jahres 2011 aus dem Innenministerium, die ihr exklusiv vorliegen würden. Demnach sei die Zahl linksmotivierter Gewalttaten von 916 Fällen im Jahr 2010 auf 1.160 Fälle im Jahr 2011 angestiegen. Auch in Bezug auf linksmotivierte Straftaten wird ein Anstieg von 4,928 Fällen im Jahr 2010 auf 5.839 Fälle im Jahr 2011 ausgewiesen.
Im Gegensatz dazu hätte sich die Zahl rechtsmotivierter Gewalttaten leicht rückläufig, von 597 Fällen im Jahr 2010 auf 579 Fälle im Jahr 2011, entwickelt. Hinsichtlich rechtsmotivierter Straftaten sei dagegen ebenfalls ein Anstieg festzustellen. Hier werden für 2010 insgesamt 12.262 Fälle und für 2011 12.381 Fälle ausgewiesen.
Eines vorab: Straftaten und erst recht Gewalttaten sind, gleichgültig wodurch sie motiviert sind, nicht akzeptabel. Darüber muss man nicht sprechen und exakt hierfür haben wir Strafverfolgungsbehörden, Gesetze und Gerichte. In Bezug auf die Zählweise der polizeilichen Statistiker haben uns die aktuellen Erfahrungen mit der rechten Szene jedoch eines gelehrt:
Bevor eine Straftat in Deutschland als rechtsmotiviert eingestuft wird, dies gilt sogar für Tötungsdelikte, muss der Täter während der Tat schon „Sieg Heil“ gerufen oder ein Bekennerschreiben und Nazi-Insignien hinterlassen haben. Um dagegen eine Straf- oder Gewalttat als linksmotiviert einzustufen, reicht es den Behörden meist aus, dass es sich um eine Tat handelt, die man mit der linken Szene assoziiert.
So wird das Anzünden von Fahrzeugen, unabhängig vom tatsächlichen Tatmotiv, gerne als linksmotivierte Straftat gewertet, während die eingeschlagene Scheibe eines Büros der Linkspartei, Angriffe auf Menschen mit ausländischen Wurzeln, auf Homosexuelle oder auf Linke in der Regel nicht automatisch dem rechten Spektrum zugeordnet werden.
Hinzu kommt, dass sich ein Großteil der erfassten Straf- und Gewalttaten mit linker Motivation im direkten Zusammenhang mit dem Widerstand gegen Nazi-Aufmärsche und rechtsextreme Demonstrationen ereignet. Wenngleich auch in diesem Fall die Anwendung von Gewalt sicher das falsche Mittel ist, so muss man entsprechende Delikte doch anders bewerten, als wenn eine rechte Kameradschaft zur systematischen Gewalt gegen politische Gegner, Einwanderer oder Homosexuelle aufruft.
In diesem Zusammenhang muss man einmal mehr darauf verweisen, dass die Bundesregierung bis heute angibt, dass sich zwischen 1990 und 2010 in Deutschland insgesamt 47 Mordanschläge und Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund ereignet hätten. Eine gemeinsame Recherche von „ZEIT“ und „Tagesspiegel“ nennt stattdessen bereits 137 Fälle, ohne hierbei die zehn Morde der Zwickauer Terrorzelle zu berücksichtigen.
Ein interessanter Zeitpunkt
Es ist interessant, dass die veröffentlichten Zahlen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit dringen, zu dem Bundesregierung, Innenministerium, Verfassungsschutz und Polizei dem Vorwurf ausgesetzt sind, die Bekämpfung von rechter Kriminalität deutlich weniger ernst zu nehmen als die Verfolgung linksmotivierter Straftaten.
Die Tatsache, dass ausgerechnet die „Bild-Zeitung“ exklusive Zahlen aus dem Bundesinnenministerium erhalten hat, verleiht der Veröffentlichung zusätzlich einen eigenartigen Beigeschmack. Die ausführliche Version der Polizeiliche Kriminalstatistik in Buchform erscheint erst in der zweiten Jahreshälfte des jeweiligen Folgejahres. Selbst einen entsprechenden Kurzbericht, mit Auszügen aus den Ergebnissen, legte das BKA in den Jahren 2010 und 2011 erst im Frühsommer der Folgejahre vor. Wenn jetzt Zahlen, die einen bedrohlichen Anstieg der linken Kriminalität belegen sollen, bereits Anfang Februar lanciert werden, dann muss man von einer politischen Motivation ausgehen.
Befremdlich wirkt in diesem Zusammenhang die Art und Weise, wie verschiedene Zeitungen die genannten Zahlen aufbereiten. Exemplarisch sei hier auf die heutige Berichterstattung der Rheinischen Post verwiesen:
Screenshot Rheinische Post Online, 6. Februar 2012
Unter der Rubrik „Mehr zum Thema“ wird hier neben den Zahlen über linksmotivierte Straftaten das Feature „Das Wichtigste aus dem Programm der Linken“ und ein Bild von Oskar Lafontaine eingeblendet. Neben den Zahlen über rechtsmotivierte Straftaten findet sich das Feature „Neonazi-Terror: Die Chronologie der Morde“.
Hier muss man sich ernsthaft fragen, welche Assoziationen der verantwortliche Redakteur der Rheinischen Post bei den Lesern erzeugen will. Selbst wenn sich die Hardliner innerhalb von CDU und CSU in den letzten Wochen für eine Ausdehnung der Beobachtung linker Abgeordneter durch den Inlandsgeheimdienst eingesetzt und dabei selbst ein Parteiverbot gegen DIE LINKE gefordert haben:
Die Linkspartei lehnt Gewalt als politisches Mittel konsequent ab. Sie beteiligt sich weder an Straftaten noch ruft sie zu solchen auf oder solidarisiert sich mit Tätern. Unter der Überschrift „linke Gewalttaten“ einen Zusammenhang mit der Linkspartei herzustellen, entspricht eher einem propagandistischen Ansatz als einer neutralen und seriösen Berichterstattung.