Das Ich und das Du, oder doch nur das Ich?

Eine der letzten Festwochen-Produktionen wurde von Dimitris Papaioannou bestritten. Der Grieche ist ein unglaubliches Multitalent. Als Crossover-Künstler kann er wie kein Zweiter zwischen den unterschiedlichsten Kunstgattungen switchen. Obwohl seine künstlerischen Wurzeln in der bildenden Kunst liegen – was der Produktion, die er in Wien zeigte, auch deutlich anzusehen war – wechselte er in die Performance – sowohl als Choreograf, als auch als aktiver Teilnehmer. Seine letzte große, international bekannte Arbeit war die künstlerische Gestaltung der Europazeremonie der ersten Europaspiele in Baku 2015.

Primal Matter (c) Nikos Nikolopoulos

Mit „Primal Matter“ brachte er eine Tanzshow mit zwei Personen in die Halle E ins Museumsquartier, die dort drei umjubelte Vorstellungen erlebte. Erarbeitet und uraufgeführt wurde sie von ihm bereits 2012 für das Athens Festival, aufgeführt bis jetzt darüber hinaus auch in New York, Moskau und Vicenza.

Obwohl Papaioannou, der auch einer der beiden Protagonisten auf der Bühne selbst war, keine Handlung mit einem Erzählstrang entwarf, bot er dennoch einen roten Faden. Das Ich und sein Alter Ego standen im Zentrum der Aufführung, die vor neuen Bewegungsmomenten und großartigen Bildern nur so strotzte. Dabei performte Papaioannou in einem schwarzen Anzug, mit schwarzem Hemd, währenddessen sein Alter Ego von Beginn an nackt agierte. Michalis Theophanous gab ein wunderbares Spiegelbild, an dem nur auffiel, dass es selbst etwas jünger und etwas muskulöser gebaut war als der Mann im schwarzen Anzug. Papaioannou hatte sich bewusst einen „Gegenpart“ ausgesucht, der ihm so ähnlich wie möglich sah. Nur dadurch gelang das Spiel mit der Idee eines zweiten, eines anderen Ich.

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In einem fulminanten Beginn versuchten beide, jeweils in den anderen hinein- beziehungsweise durch ihn hindurchzuschlüpfen. Auf lange Strecken bedingten sich ihre Bewegungen gegenseitig, ganze Schrittpassagen wurden synchron durchgeführt. Eine rechteckige, helle Sperrholzplatte und eine schmälere, längere Holzplatte, mit schwarzem Stoff überzogen, fungierten dabei nicht nur als Requisiten, mit denen gearbeitet wurde, sondern auch als Statthalter der beiden Personen. Es waren aber nicht nur jene Szenen, in welchen vermeintliche Schattenwürfe oder Spiegelbilder von den beiden Körpern nachgestellt wurden, die ein Fest für die Augen bereiteten. Fantastisch und beeindruckend, wie sich Papaioannou dafür an einer Stelle am Boden fortbewegte, währenddessen Theophanous nur auf dessen Füßen stehend Platz fand und dabei im Seitwärtsgang die halbe Bühnenlänge abschritt. Nicht nur, dass diese Bewegungsmomente ganz außergewöhnlich waren, die Assoziation zum Schattenwurf eines Körpers auf dem Boden funktionierte unglaublich gut.

Die Produktion benötigte nicht viel mehr als ein langes, durch mehrere Tische zusammengestelltes Podest, sowie einen Sessel und die bereits beschriebenen zwei Holzplatten. Es waren auch immer wieder Momente, in welchen Theophanous in die Rolle eines Kunstwerks schlüpfte, die unglaublich bezauberten, aber auch erheiterten. Dabei ließ er sich dann ausgiebig von Papaionnaou betrachten, der meist auf einem Sessel vor ihm Platz nahm. Wie witzig und einfach er durch eine optische Täuschung antike, griechische Jünglingsskulpturen visualisierte oder die Kreuzabnahme von Jesus Christus beinahe en passant nachspielte, hatte einfach ganz große Klasse. Dass er kurz danach auch eine Fußwaschung vornahm, mit dem Endergebnis, dass auf dem dafür verwendeten Tuch der Abdruck von zwei schwarzen Füßen zu sehen war, unschwer als humoristisches Schweißtuch-Zitat zu erkennen, erheiterte das Publikum ungemein. Szenen wie diese zeigten, dass der Choreograf sein eigenes Tun mit einer gehörigen Prise Humor versehen kann, ohne jedoch dabei je platt zu werden. An zentraler Stelle ließ er Theophanous als Kouros auftreten, der, in der Frühzeit der Kunstgeschichte, noch ohne Stand- und Spielbein mit zwei durchgedrückten Beinen festen Stand auf seiner Holzplatte fand. Unter ihr drehte Papionnaou, am Rücken liegend, mit seiner Muskelkraft den nackten Mann auf dem Podest über ihm im Kreis, um ihn dem Publikum von all seinen Seiten zu präsentieren.

Abseits all der kunsthistorischen Bezüge durfte man auch in ganz triviale Beschäftigungen mit dem Körper, der an einer Stelle auch einmal defäktiert, der geduscht, gewaschen und abgetrocknet werden muss und zwischendurch auch an einer Karotte knabbern darf, eintauchten. Aber auch dabei blieb es, gerade weil die Aktionen hier nicht synchron geführt wurden, spannend. Der Blick auf historische Bilder, in denen das Schönheitsideal eines nackten Mannes bis heute tradiert wird, machte klar, wie sehr unser Körperverständnis von der eurozentristisch tradierten Bilderwelt geprägt ist.

Was passiert, wenn einem seinen Alter Ego abhandenkommt, auch das wurde thematisiert und in einem grandiosen Finale, in dem die beiden Körper schließlich zu einem einzigen verschmolzen, aufgelöst. „Primal Matter“ ist ein geglücktes Beispiel für die Verschmelzung von Ideen, Kunstgattungen und ihrer perfekten performativen Umsetzung. Dass sich dabei sowohl Spaß, als auch ein intellektueller Anspruch die Waage halten, macht die Inszenierung beinahe schon zu einem Vorzeigeprojekt für zeitgenössisches Tanztheater.


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