Dieses Meer taugte fast als Metapher, wenn es nicht tatsächlich ein Massengrab darstellte. Denn wir stehen alle im selben Gewässer. In der Welt gibt es keine isolierten Bereiche oder Regionen. Alles was geschieht, spielt eine globale Rolle. Das Meer, das tötet, ist ja auch dasselbe Meer, das Urlaubskarten gebiert, nahtlose Bräune und erholsame Wochen erschafft. Wir Europäer können also nicht so tun, als gehe uns das dauernde Ertrinken nichts an. Wir stehen im selben Wasser. Hin und wieder spült es Leichen an europäische Strände. Dann wird weggeschaut. Es ist doch Urlaub, wir wollen uns nicht sorgen. Und der arme Kerl da, der hat doch auch keine Sorgen mehr.
Heraklit soll mal gesagt haben, dass man niemals zweimal in denselben Fluß steige. Denn es »fließt anderes und wieder anderes Wasser zu«. Die Europäer scheinen ihren Heraklit respektive Platon gut gelesen zu haben. Wenn sie denn überhaupt noch solche Sachen lesen. Aber sie benehmen sich so. Sie tun so, als sei das Wasser ihrer Urlaubsfreude nicht in demselben interkontinentalen Bottich, in dem Frauen und Männer und Kinder jämmerlich absaufen und mit ihnen ihre Hoffnung, doch nochmal etwas zu haben, was an ein halbwegs würdevolles Leben erinnert. Ohne Hunger, Not, Verfolgung und die Aussicht, in jungen Jahren an eigentlich heilbaren Erkrankungen zu sterben.
Kritiker warfen der deutschen Öffentlichkeit neulich vor, dass der Abgang eines Bundesligatrainers mehr Interesse zeitigte, als die fast zeitgleich geschehene Katastrophe im Mittelmeer. Es ist aber mitnichten so, dass die Deutschen nicht auch auf das Mittelmeer schauen würden. Sie haben Interesse daran. Sie blättern hübsch in Katalogen und suchen sich schöne Strände und Unterkünfte aus. Oh, ist das Wasser nicht herrlich blau, Schatz! Ein Paradies. Dabei war das Paradies mal als der Ort beschrieben worden, wo es kein Leid und kein Elend mehr gibt. Kann es sein, dass die Hölle manchmal paradiesisch aussieht?
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