«Das Grubenunglück von Soma, darf nicht das Schicksal unser Jugend werden«

Von Jacqueline Jane Bartels @by_JJ_Bartels

Da wo Yener Barut (25) zu Hause ist, herrscht Arbeitslosigkeit, Verzweiflung, Ohnmacht und viel Wut. Sein Onkel ist nur einer von 301 Bergmännern, die am 14. Mai 2014 beim bisher größten Türkei-Grubenunglück in Soma ums Leben kamen. Yener Barut hatte Glück im Unglück. Eine Woche zuvor wurde dem jungen Elektriker sein Job im Bergwerk gekündigt.

2.831 Bergmännern wurden gefeuert!

Im Dezember 2014 trennte sich das Unternehmen Soma Kömür İşletmeleri A.Ş., ein türkisches Kohlebergbauunternehmen mit Hauptsitz in Istanbulund einer der größten Kohleproduzenten in der Region, von weiteren 2.831 Bergmännern. Für eine Kleinstadt wie Soma bei Manisa mit rund 76'000 Einwohnern eine schwierige Situation. Jobs sind eine Rarität. Ausbildungsplätze? Hoffnungslos. Heute sagt Yener Barut: „Mein sehnlichster Wunsch geht in Erfüllung. Ich darf eine Lehre als Koch absolvieren."
Tatsächlich ein kleines Wunder, wenn man weiß, dass 84,2 Prozent in der Hotel- und Gastronomie-Branche keinerlei Ausbildung in der Türkei besitzen!

Seine Freude teilt Yener Barut jetzt mit 39 weiteren Auszubildenden in Bodrum an der Ägäis im Boutique Hotel Temenos, das rund 351 Kilometer von Soma entfernt ist. Möglich machte das vor allem der deutsch -türkischeHotelier Ibrahim Doğan, der sein Hotel in Ortakent Bodrum spontan dem BOYD, Bodrum Profesyonel Otel Yöneticileri Derneğir, Bodrums Professionelle Hotelmanager Vereinigung, und der Hotelfachschule T.C MEB Bomek, als Ausbildungsstätte kostenlos zur Verfügung stellte. Tarık Demir, General Manager der Hotelfachschule Bomek sagt: „Ohne Ibrahim Doğans Zusage, wäre unser Hilfs-Projekt gescheitert."

Tarık Demir, General Manager der Hotelfachschule Bombek in Bodrom

Interview mit dem Hotelier Ibrahim Doğan

Wie erfuhren Sie, von dem Hilfsprojekt "Somas Grubenunglück, darf nicht das Schicksal unserer Jugend werden"?

Tarık Demir, General Manager der Hotelfachschule begeisterte mich mit der Idee, junge Menschen in den Berufen Koch, Rezeptionist, Bar-Mann/-Frau, Housemaid und Room-Services professionell und unentgeltlich auszubilden. Nach der dreimonatigen Lehrzeit werden Mitarbeiter des Tourismusverbands unsere Auszubildenden prüfen. Wer besteht, bekommt ein Zeugnis und Zertifikat mit dem er die Garantie erwirbt, einen unbefristeten Arbeitsvertrag in einem der Vorzeige-Hotels Bodrums zu erhalten. Ich möchte am liebsten 20 bis 25 der Absolventen dauerhaft in meinem Hotel zu übernehmen. Mal schauen, wie viele ich tatsächlich einstellen werde.

Was beinhaltet die Ausbildung?

Wir konnten sieben Lehrer wie Serdar Çakman, Tarık Demir, Melike Arice, Neriman Erdemir, Aysun Simsek, Yılmaz Boran und Hakkan Şamhal als ehrenamtliche Lehrer für dieses Projekt engagieren. Die Hotelfachschule Bombek hat einen Stundenplan erarbeitet. Der Unterricht beginnt montags bis samstags morgens um 6.30 Uhr und endet abends um 20 Uhr. Die Absolventen werden in allen Bereichen geschult. Auch Englischunterricht gehört dazu. Referendare wie der populäre Schauspieler Neçat İşler (TV-Serie "Saygı", "Respekt", die Redaktion), der bekannte Journalist Tayfun Talipoğlu (Nachtrag: Ṫ 2017 in Izmir, die Redaktion) oder der beliebte Sänger Alı Şen halten Vorträge. Unsere Schützlinge müssen täglich mündliche und schriftliche Tests absolvieren. Die Ergebnisse hängen für alle sichtbar aus. Nachmittags durchlaufen die Absolventen alle Stationen eines Hotelbetriebes angefangen bei der: Küche, über Room-Services, Rezeption, Restaurant und der Bar.

Was kostet die Ausbildung pro Auszubildenden für die drei Monate?

Für Lernmaterialien fallen rund 2.400 TL, ca. 800 € (Stand: 2015, die Redaktion), pro Schüler in den drei Monaten an. Die Verpflegungskosten sponsert das Windmühlen-Unternehmen Rüzgar Enerji, Herr Bertan Korkmaz. Die Reisekosten mit dem Bus übernimmt die Stadt Soma. Außerdem erhalten die Jugendlichen ein monatliches Taschengeld in Höhe von 600 TL, das sind aktuell rund 200 €. Unsere ehrenamtlichen Lehrer stellen ihre Freizeit zur Verfügung.

Wie fühlen Sie sich in Ihrem Hotel jetzt, das zurzeit einer Hotelfachschule gleichkommt?

Es vergeht kein Tag an dem ich nicht gerührt bin. Diese jungen Menschen sind so liebenswert, bescheiden, unerfahren aber gleichzeitig voller Neugierde und hochmotiviert. Ich empfinde es als Pflicht ein Stück von meinem Wissen und von meiner Begeisterung für den Beruf des Hoteliers weitergeben zu können. Aber sprechen Sie doch nach unserem Interview selbst, mit unseren Schützlingen, Frau Bartels.

Warum sagten Sie spontan Ihre Unterstützung zu, Herr Doğan?

Das Hilfsprojekt "Somas Grubenunglück darf nicht das Schicksal unserer Jugend werden" berührt mich. Mustafa Kemal Atatürk lehrte uns: „Unsere Zukunft sind unsere Kinder!" Ich bin Vater einer 24-jährigen Tochter, der ich in Deutschland die beste Ausbildung mit auf dem Weg geben konnte. Ich weiß, wie schwer es unsere Jugend immer noch hat, vor allem in ländlichen Regionen, einen guten Ausbildungsplatz zu finden. Ich freue mich, etwas dazu beitragen zu können, einigen jungen Menschen aus Soma eine Perspektive zu geben.

Wie erfuhren Somas Jugendliche von diesem Projekt?

BOYD und Bomek wandten sich an Somas Landtagsabgeordneten, der das Projekt genehmigte. Er beauftragte das Arbeitsamt und lokale Zeitungen, offizielle Ausschreibungen zu machen. Es bewarben sich innerhalb weniger Tage spontan mehr als einhundert Jugendliche.

Nach welchen Kriterien wurden die Jugendlichen ausgesucht?

Dem BOYD und Bomek war es vor allem wichtig, dass die Jugendlichen bereits Erfahrungen in der Gastronomie oder im Hotelwesen vorweisen konnten.

Wie alt sind die Auszubildenden und mussten sie ihre Eltern um Erlaubnis fragen, die kostenlose Ausbildung annehmen zu dürfen?

Die Jüngste ist 17 und der Älteste ist 25 Jahre jung. Das ist eine Frage des Respekts. Selbstverständlich müssen die Jugendlichen ihre Eltern um Erlaubnis fragen, auch wenn sie schon volljährig sein sollten. Die meisten Eltern haben allerdings sofort und überzeugt zugestimmt, eben weil die Arbeitslosigkeit in Soma so hoch ist.

Leiden die Auszubildenden an Heimweh?

Das kam in den ersten zehn Tagen tatsächlich vor. Drei unserer Schützlinge plagte das Heimweh so sehr, dass wir sie nach Hause schicken mussten. Allerdings gaben wir drei anderen Bewerben, die zuvor eine Ablehnung erhalten hatten, die Möglichkeit, doch noch in unserem Ausbildungsprojekt nachzurücken.

Fatma Gül Ay (22) studierte zwei Jahre lang Tourismus in Uşak, das an der Grenze zwischen der Ägäis Region und Zentralanatolien liegt. Anschließend arbeitete sie vier Monate als Kellnerin in einem Café in Fethiye .

Eine faire Chance für eine gesicherte berufliche Zukunft

40 junge Menschen aus Soma werden schon bald mit einer abgeschlossenen Ausbildung ud entsprechendem Zertifikat, einen festen Arbeitsvertrag unterschreiben dürfen. Die Hotels in Bodrum profitieren von geschulten Mitarbeitern. Die Gäste geniessen einen professionelleren Service. Eine Win-Win-Situation für den Tourismus an der Ägäis, das Schule machen sollte.

Nachtrag:

Am 11. Juli 2018 wurden 3 Verantwortliche zu längjährigen Haftstrafen verurteilt, der Werksdirektor zu 22 Jahren und 6 Monaten, der Geschäftsführer Can Gürkan zu 15 und der Betriebsführer zu 18 Jahren und 9 Monaten Haft.

Info: Von Oktober 2015 bis zum Mai 2016 arbeitete ich als Chefredakteurin bei dem deutsch-türkischen Freundschaft- & Kulturmagazin Harmoni-e.

In der kurzen Zeit meiner Tätigkeit als Chefredakteurin, realisierte ich zahlreiche journalistische Beiträge für das Magazin Harmoni-e. Eine davon: "Das Grubenunglück in Soma, darf nicht das Schicksal unserer Jugend werden. Den Bericht kannst du in türkischer Sprache hier noch einmal nachlesen.

4. Ausgabe von Harmoni-e, 7. Februar 2016, Seite 46-51