„Ein Spiegelei, ein Spiegelei! Kannst du dir das vorstellen! Das mach ich nicht. Ich nicht, nie und nimmer!“ Der Schauspieler Peter, der diese Sätze immer und immer wieder entrüstet seinem Kollegen entgegenschleudert, ahnt sein zukünftiges Schicksal. Seit sechs Jahren spielt er in einer Produktion, die bis auf sonntags täglich, manches Mal sogar zweimal täglich gegeben wird, einen Löwen. „Das Reich der Tiere“, so heißt das Stück im Stück von Roland Schimmelpfennig, einem der meist gespielten zeitgenössischen Dramatiker auf den deutschsprachigen Bühnen, das am Akademietheater seine österreichische Uraufführung erlebte.
Johann Adam Oest verkörpert darin nicht nur Peter und den Löwen, sondern schließlich auch jenes Spiegelei, das er unter keinen Umständen spielen wollte. Das Spiel im Spiel, bei dem man in der ersten Hälfte des Geschehens am liebsten seine Kinder oder Enkelkinder dabei gehabt hätte, ist eine beißende Satire auf den Betrieb hinter der Bühne. Wenngleich der Biss nicht wirklich schmerzend, sondern mit eher geschliffenen Zähnchen erfolgt. Denn der Witz und die komödiantischen Einlagen überwiegen die gesellschaftliche Anklage bei Weitem. Und das liegt nicht allein an der fulminanten schauspielerischen Darbietung des Ensembles.
Ein absurdes, neues Stück als Bedrohung einer laufenden, erfolgreichen Produktion
Die Tierparabel, in der es darum geht, wer denn im Tierreich der beste König sei – das friedliebende, unbändigbare und weise Zebra, oder der fleischfressende und sozial wie ein Berufspolitiker agierende Löwe – droht nach sechs Jahren Laufzeit abgesetzt zu werden. Was kommt, ist ein inhaltloses Stück eines Jungdramatikers, der damit einen Preis gewonnen hat.
Philipp Hauß mimt einen cholerischen Erfolgsautor, der meint, ausgezeichnet worden zu sein, „weil die Leute es nicht verstanden haben, sich aber nicht zuzugeben trauen, es nicht verstanden zu haben“. Und so ganz von der Hand zu weisen ist seine ätzende Diagnose nicht. Denn der Auftritt eines Spiegeleis, eines Toastbrotes, einer Pfeffermühle und einer Ketchup-Flasche ist sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch wahrlich keine Glanzleistung. Dennoch ist er es, der mit seiner Art den Spielbetrieb auf die Schaufel zu nehmen, noch am besten und finanziell erfolgreichsten aussteigt. Alle anderen, Peter Knaack als täglich neu gefiedertes Marabu, dessen Rücken eitert, Caroline Peters als Ginsterkatze mit blutigem Fuss und abgefallenem Zehennagel, Sabine Haupt als Antilope und Jungmutter, um die sich kein Mensch in der Theatertruppe kümmert, Johann Adam Oest mit überdimensionaler Löwenmähne und mit Erdfarbe gepudertem Körper, sowie Oliver Stokowski als Zebra und Freundfeind von Peter, leben mit der existentiellen Bedrohung, nach der laufenden Produktion ohne Job dazustehen. Sie repräsentieren eine Gemeinschaft, in der nicht einmal eine reale Bedrohung den Ausschlag gibt, einen Zusammenhalt zu schaffen. „Die verhandeln nicht, aber die verhandeln doch“ wird zum Stehsatz, in dem sich die allgemeine Angst am Ende als Verlierer in der Neubesetzung dazustehen, manifestiert.
„Ihr müsst euch selbständig machen, euch vernetzen!“, ist der gut gemeinte Ratschlag, den der Autor Frankie, dem Darsteller des Zebras, macht. Eine im Turbokapitalismus leider allgemeingültige Aussage, die weit mehr Berufe betrifft als nur jene am Theater. Und ein Ratschlag, den nur die allerwenigsten in die Tat umsetzen können. Frankie ist der einzige, der es durch eine List schafft, aus dem bedrohlich gewordenen Alltagstrott auszubrechen, um eine Karriere als Schauspieler in einem Werbespot in Amerika anzustreben. Besser von Millionen während weniger Sekunden gesehen, als hinter einem Zebrakostüm jahrelang zu einem Niemand zu verkommen.
Ein Stück, das auch mit wenig Tiefgang einen prallen Theaterabend bietet
Schimmelpfennig, der den Abend auch selbst inszenierte, setzt darin vor allem auf pralles Theatergehabe. Das Umkleiden und Schminken des Ensembles gerät zu Beginn zu einem visuellen Sinnenrausch. Die Einschübe der Tierszenen leben von den gezierten Bewegungen, die Sabine Haupt als grazile, hoch gewachsene Antilope vollführt und den hinreißenden Mienenspielen zwischen den Rivalen Oest und Stokowski. Aber auch von dem auditiven Layer, der von den Darstellenden zum größten Teil selbst erzeugt wird. Nicht zuletzt von den absurden, grellen Kostümen, in denen das Ensemble am Schluss jedwede Persönlichkeit verliert. Als Toastbrot, Spiegelei, Pfeffermühle und Ketchup-Flaschen mit Sehschlitzen bleiben ihnen einzig – wenn überhaupt – noch ihre Arme oder Hände als Ausdrucksmittel. Der schrille Klamauk, unterlegt mit dem Donauwalzer, der sich in eine ohrenbetäubende Lautstärke hochschraubt, reizt dennoch die Lachmuskeln.
Der nun bereits 85-Jährige Wilfried Minks zeichnet für ein sehr offenes, aber cleveres Bühnenbild verantwortlich, in dem die Bühne auf der Bühne, aber auch die Umkleiden und Duschen des Ensembles sichtbar werden. Die innere Öde und Ausgelaugtheit der Personen findet ihre Entsprechung in der Präsentation des kahlen Bühnenraumes, dem nur teilweise von oben Plexiglaselemente eingeschoben werden, um ein Vor und ein Hinter der Bühne zu markieren.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass zeitgenössisches Theater keineswegs nur hoch intellektuell ausstaffiert sein muss, sondern dass dabei auch gelacht werden darf. Die Frage jedoch steht im Raum, ob es unbedingt an jenen Bühnen gespielt werden muss, deren Publikum für gewöhnlich anspruchsvollere Kost verträgt.