Ines hat einen ausführlichen Gastbeitrag zur aktuellen Blogparade: „Eltern in der (Auf)-Opferungsrolle – elterliche Grenzen vs. kindliche Bedürfnisbefriedigung“ verfasst.
Sie ist Mutter eines High-Need-Kindes und war der Überzeugung, dass ihre gute Vorbereitung und ein bedürfnisorientierter Umgang mit dem Kind alles in die richtigen Bahnen leiten würde. Die Realität war dann leider eine etwas andere….
Ich habe die Diskussion bei Twitter mitbekommen und bei mir hat das ganz gemischte Gefühle ausgelöst….. daher möchte ich gerne meine Sicht der Dinge teilen.
Schon bevor ich schwanger wurde, war mir klar, dass wir unser Kind bedürfnisgerecht erziehen wollen. Ich wollte natürlich gebären, stillen, tragen, familienbetten (wobei ich mir das anders vorgestellt habe, als es letztendlich läuft), immer für mein Kind da sein, mein Kind lieb haben…. und fand es gut und beruhigend, dass das Internet voll ist mit Leuten, die es genauso sehen, die Anregungen und Tipps geben können. Die habe ich in meiner näheren Umgebung nämlich nicht.
Rückblickend würde ich sagen, dass ich dabei ziemlich naiv war, denn ich ging davon aus, dass mein Kind ein zufriedenes, ausgeglichenes Kind sein würde, wenn ich mich denn an all die „Anweisungen“ hielt. Dafür kann und will ich niemandem außer mir selbst einen Vorwurf machen. Das betonte ich deshalb, weil ich denke, dass es – zumindest im Internet, auf Blogs und in Büchern – häufig die (unbewusst?) aufgestellte Behauptung gibt, wenn man alles das bedenkt und sich danach richtet, das Kind eben ganz entspannt und friedlich ist. Vermutlich meinen die wenigen das ernsthaft so, aber ich bin da einfach von ausgegangen. Hey, alle sagen, wenn man das Kind immer trägt, dann ist es ausgeglichen und schreit weniger! Wenn man im Familienbett schläft, ist die Störung der Nachtruhe viel geringer! BLW macht viel mehr Spaß als Brei!
Ein schlimmer Start für Mutter und Kind
Es lief bereits vor der Geburt anders als geplant: Aufgrund einer sich fulminant innerhalb von drei Tagen entwickelnden Präeklampsie, die passenderweise bei der Vorsorgeuntersuchung in einen Krampfanfall mündete, wurde unsere Tochter zwei Monate zu früh per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Ich habe von alledem nichts mitbekommen, da ich erst drei Tage später wieder zu Bewusstsein kam und nicht auf Anhieb begriff, warum man mich beglückwünschte.
Da sie als Frühchen galt, mussten wir lange im Krankenhaus bleiben. Für das Stillen hatte nie jemand Zeit, schlimmer noch, als wir bereits in der Kinderklinik waren und den ganzen Tag Zeit für sie hatten, da hieß es, wenn sie schläft, sollen wir sie nicht nehmen, sie brauche den Schlaf für die Hirnentwicklung und das dürfe man nicht stören. Also saß ich neben ihrem Bett, habe wie verrückt Milch abgepumpt, aber mich nicht getraut, mein Kind in den Arm zu nehmen.
Als wir endlich nach Hause kamen, konnte und wollte ich dort alles anders machen. Vermutlich hätte ich auch keine Wahl gehabt, denn meine Tochter entschied dann: Sie schlief nur, wenn einer von uns sie am Körper trug. Obwohl wir etliche Male davor gewarnt worden waren, ließ ich sie nachts mit ihrem Bauch auf meinem Bauch schlafen. Tagsüber das gleiche, nur dass ich dabei dann auf dem Sofa lag. Wir brachten uns das Stillen letztendlich selber bei, weil die Hebamme meinte, das würde eh nicht mehr funktionieren.
Dass das Kind irgendwann zu schreien begann, überraschte mich nicht. Schließlich war am Anfang alles falsch gelaufen. Die Situation beruhigte sich um den 4. Lebensmonat herum etwas. Bis sie anfing, mobiler zu werden. Sie begann nachts im Stundenrhythmus wach zu werden und zu schreien. Tagsüber wollte sie nicht mehr schlafen und schrie nur noch.
Wenn die Phase zum Dauerzustand wird
Anfangs trösteten wir uns damit, dass es sicherlich nur
eine Phase sei und wieder vorbei gehe. Wir haben weiter gestillt, getragen, gefamilienbettet. Nichts half.
Jetzt ist sie 13 Monate alt und immer noch eine unglaublich schlechte Schläferin. Sie wacht nachts alle 60 Minuten auf; tagsüber ist an Schlafen kaum zu denken, es sei denn, Mama setzt sich aufs Bett und man kann auf ihren Schoß. Ich war zwischendurch oft verzweifelt, habe die Schuld bei mir gesucht, sagte mir, dass es an meinem Versagen liegen MUSS, denn alles drumherum habe ich ja „richtig“ gemacht. Zweimal war ich so am Ende, dass ich vorschlug, sie zur Adoption freizugeben, weil ich es ja offensichtlich nicht hinbekomme, sie so zu versorgen, dass es ihr gut geht – was in meinen Augen dann der Fall gewesen wäre, wenn sie weniger geschrien und besser geschlafen hätte.
Die Wahrnehmung der persönlichen Grenzen
Wenn ich dann solche Diskussionen mitbekomme, frage ich mich sofort, was denn gemeint ist, seine eigenen Bedürfnisse über die des Kindes zu stellen. Ich fühle mich ertappt und schuldig, weil ich mich jedes Mal freute, wenn mein Mann unsere Tochter für einen zweistündigen Spaziergang mit nach draußen nahm, und ich endlich mal Ruhe hatte.
Bedeutete das nicht schon, dass ich mich selber wichtiger nahm als sie? Neuerdings geht es mir nachts so: Wir schlafen inzwischen getrennt. Wenn unsere Tochter eine schlechte Nacht hat, was meistens bedeutet, dass es ihr nicht gelingt, mit meiner Hilfe wieder einzuschlafen, und dass meine Brustwarzen nach kurzer Zeit dazu tendieren, blutig zu werden, dann bringe ich sie meinem Mann. Dort schläft sie interessanterweise oftmals recht schnell wieder ein, manchmal protestiert sie ein wenig. Und ich liege hinterher oft wach, weil ich mich frage, ob das nun wieder Ausdruck meines Egoismus ist. Was mir bei Lichte betrachtet Blödsinn scheint, denn sie schläft bei ihrem Papa ja mindestens genauso gut.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich glaube, dass diese Diskussion schon alleine deswegen schwierig ist, weil sie so subjektiv ist. Was meint denn nun, dass ich meine Bedürfnisse über die des Kindes stelle? Wäre es dann überhaupt erlaubt, sich eine Atempause zu nehmen? Oder bedeutet das direkt, dass mir mein Kind nicht wichtig ist? Diese Absolutheit scheint mir – wenigstens für mich – problematisch.
Problematisch ist für mich persönlich außerdem der Gedanke, dass es sich für mich sichtbar auswirkt, wenn ich meinem Kind bedürfnisorientiert begegne. Möglicherweise tut es das, irgendwann – aber ich weiß nicht wann und in der Zwischenzeit kann eine solche Sichtweise arg frustrieren (meinem Mann ging es zwischendurch so, dass er sich aufregte, unser Kind sei undankbar, sie dürfe bei und mit uns schlafen und sei trotzdem nur am Schreien, während andere Kinder das alles nicht hätten und trotzdem zufrieden wirkten).
In der Zwischenzeit mag es so wirken, als würde unser Kind, obwohl wir es so „verwöhnen“ (Zitat der Hebamme) häufig unausgeglichen und unzufrieden sein, während andere Kinder, die (scheinbar) weniger bedürfnisorientiert aufwachsen, ausgeglichen und fröhlich zu sein scheinen. Ich kann in niemanden reinschauen, daher weiß ich nicht, wie es tatsächlich ist.
Ich weiß, dass ich den Weg, den wir angefangen haben, für uns für richtig und gut halte, und dass wir ihn deswegen weiter gehen werden. Ich habe auch gelernt, dass so etwas für jeden etwas anderes bedeutet. Aus meiner eigenen (Kranken-)Geschichte weiß ich, dass es weder mir noch sonst irgendwem etwas nützt, wenn ich meine Kraft dauerhaft überstrapaziere. Deswegen habe ich mein Kind nicht weniger lieb. Ich werde möglicherweise niemals wissen, ob unser Kind nicht der gleiche Mensch geworden wäre, wenn wir etwas anders gemacht hätten – und gleichzeitig denke ich,
dass es egal ist, wie wir die Dinge machen, solange wir unserem Kind respektvoll begegnen.
Liebe Ines, vielen Dank für deinen ausführlichen und sehr emotionalen Artikel. Ich finde diesen Erfahrungsbericht sehr wichtig, denn es kann diejenigen sensibilisieren, die sich ein Leben unter Dauerstress nicht vorstellen können.
Ich finde euch als Familie unglaublich stark und hoffe, dass ihr euren Weg weiter gehen werdet.
Ihr könnt Ines auf Twitter folgen (hier!)und mit ihr über ihren Beitrag diskutieren. Alle weiteren Beiträge der Blogparade findet ihr im Beitrag im Linkverzeichnis: Hier geht es zum Beitrag der Blogparade!
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