Das Glück mancher Linker; zweiter Teil

Rainer Langhans, der unerklärlicherweise zur Ikone von 1968 erklärt wird, während er das Dschungelgetier mit seiner Esoterik molestiert, lebt noch - wäre er beizeiten abgetreten, vielleicht wäre er heute wirklich eine wahrhaftige Ikone, vielleicht hätten Pudding-Attentat, Kommune I und die vermutliche Defloration der Obermaier, tatsächlich historische Gewichtung erlangt. Andere starben früh und wurden zu Göttergestalten für allerlei Linke. Kürzlich wurde Ulrike Meinhof wiedererweckt, nun folgt der fiktiven Götzendämmerung zweiter Teil...

Heute: Rudi Dutschke

Wir fänden ihn heute sicherlich nicht im Dschungel, dazu wäre Dutschke auch heute noch zu seriös, zu professoral und im Duktus des Bildungsbürgers verfangen. Nein, sein Metier wäre der politische Schlagabtausch, der sich heute im plumpen Talk ergießt; das Tingeln durch die Institutionen des gepflegten (partei-)politischen Quatschens: das würde ihm die Zeit vertreiben, nachdem er politisch mittlerweile ohne Einfluss wäre. Möglich auch, dass Dutschke selbst Moderator eines so gearteten Sendekonzeptes würde, vielleicht im Verbund mit einem konservativen Kollegen. Dutschke & Geißler wäre das Zugpferd bei N24 oder NTV - drüben der ehemalige Generalsekretär der Union, hüben der ehemalige Bundestagsabgeordnete für die SPD: beide im eloquenten Disput; der eine bibelgewandt, der andere marxophil.

Dutschke würde stets als Feind sozialstaatlicher Reformen aufgetreten sein; jetzt, da er sein Mandat verloren hatte ohnehin. Parteilinker wäre er neben Nahles und Schreiner gewesen, jemand der dem Seeheimer Kreis ablehnte. Dutschke, ein richtiger Sozi sei das noch, grölte der Stammtisch, auch wenn er ja eigentlich gar keiner war von Anfang an. Innerhalb der Sozialdemokratie dagegen zu sein, so würde er mal gesagt haben, ist der beste Weg durch die Institutionen; innerparteilich Gegenpositionen beziehen und sich gegen eine Politik stemmen, die vom Kapital oktroyiert wird, das habe Zukunft. Dass Dutschke damals, zögerlich und beschämt zwar, die Hand gehoben hat, als es um die Verabschiedung der Agenda 2010 ging (sonst hätte Kanzler Schröder einen Rückzieher gemacht und die SPD hätte den Kampf gegen das Kapital erstmal auf Eis legen müssen!), dass er sie hob, als man dem "internationalen Terrorismus" den Krieg erklärte, dass er sie hob, als Milliardenpakete an Banken verteilt wurden: das wäre alles aus dem Blickfeld verschwunden, weil Dutschke stets präsent gewesen wäre mit seiner Betroffenheitsmiene, die er in Kameras gehalten hätte um zu verkünden, dass er sich die Entscheidung nicht einfach machen würde.

Er würde stets vorgestellt als das linke Gewissen der Sozialdemokratie; als einer, der nicht einfach abnickt, der hinterfragt, kritisiert, sich auflehnt - und am Ende dann doch einsieht, was das Gebot der Stunde ist. Dutschke ein Dagegen-Politiker mit Vernunft! Die Gesellschaft, so würde er mehrmals verkünden, habe sich seit damals positiv entwickelt; das Engagement der damaligen Studenten münde nun in einer Gesellschaft, die sich aufgeklärt und emanzipiert gegenüber den Kapitaleignern gibt. Weiter gäbe er kund, dass der Sozialismus nicht gescheitert sei, er hieße nun Sozialstaat und würde auch in Reformen wie Hartz IV oder der Pflegeversicherung wirken. Dutschke, der Visionär und der ewige Linke! Dutschke, der Vermittler zwischen studentischen Idealen aus den Sechzigern und der erwachsenen Vernunft von heute!

Er gälte als der Bewahrer sozialdemokratischer Ideen, als Sozi, der sein Herz weiter am linken Fleck trägt, sich aber dennoch nicht vor Verantwortung drückt. Kai Diekmann, Chefredakteur der BILD-Zeitung, inszenierte eine Aussöhnungskampagne. Dutschke erschiene dabei wie immer, links gekleidet, das heißt in Jeans, Hemd und Sakko, ließe sich dabei ablichten, wie er Diekmann die Hand schüttelt und ihm die Schulter klopft. "Nach vierzig Jahren endlich Aussöhnung!" läse man als Aufmacher - und weiter: "Der BILD wurde damals die Schuld für das Attentat auf Rudi Dutschke gegeben. Dutschke sagt im Interview mit Kai Diekmann dazu: Alles Quatsch! Die BILD hat damals scharf berichtet, aber eine Demokratie braucht mutige Zeitungen, die kein Blatt vor den Mund nehmen!" Gewinner des Tages natürlich: Rudi Dutschke! "Weil er endlich der Wahrheit in die Schuhe half und BILD entlastete. Wir sagen: ein Linker mit Verstand!" Ohne BILD, das hätte auch Dutschke mittlerweile gewusst, ist man hierzulande als Person der Öffentlichkeit, eine arme Sau - gerade wenn man durch die Institutionen marschieren will oder in ihnen festklebt.


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