Das Glück mancher Linker; vierter und letzter Teil

Meinhof, Dutschke und Böll erlebten hier bereits ihre Demontage in einer ihnen geschenkten Zukunft, die es für sie nie gegeben hat. Linke Koryphäen, fast schon Heiligengestalten, die einfach mal unbedarft und im literarischen Geplänkel hinterfragt wurden, um die Vergänglichkeit auch der Linien- und Prinzipientreue zu dokumentieren. Keine der drei Figuren bundesrepublikanischer Geschichte hätte dort landen müssen, wo sie im Eifer fiktiver Spielerei hineingeschrieben wurden; vielleicht wäre Meinhof auch Ordensschwester und Dutschke doch noch Sportreporter (was er in der Jugend anstrebte) geworden - möglich, dass Böll wortgewaltig gegen die neoliberale Brut aufgestanden wäre. Demgemäß könnte die folgende Gestalt zur Ironie seiner Kritiker so enden, wie gleich beschrieben - oder doch ganz anders?
Heute: Roberto J. De Lapuente
Lange Jahre linker Standfestigkeit werden ihn in den Ruf bringen, eine Art Institution zu sein, der man Gehör und sein lesendes Auge schenken sollte. Etwaige Ausbrüche vereinzelter Wutbürger wird er nutzen, um dort seine Texte und Gedanken unter die Wutentbrannten zu werfen. Peu a peu wird seine Berühmtheit steigen und er zum gern gesehenen Gast bei politischen Veranstaltungen. Nach einigen Jahren, da er durch die Öffentlichkeit hetzte, wird die Bertelsmann Stiftung, die sich auf die Fahnen schrieb, die unbeugsamen Stimmen der Wutbürgerschaft zu bändigen, indem sie sie prämiert und finanziell ausstattet, auf ihn zukommen. Man wird sein Engagement auszeichnen wollen, das er im Internet und realen Leben an den Tag legte. De Lapuente und ad sinistram wären dann eine der ersten Preisträger der Stiftung: "Für einen, der sich nicht verbiegen läßt", wird die Laudatio künden.

Der Plattform werden sich auch künftig Bücher hinzugesellen, die mal mehr oder minder erfolgreich Anklang finden. Kleinere Literaturpreise werden hierfür geerntet werden - und in den Dankesreden fehlt nie die aufrichtige Dankbarkeit der Bertelsmann Stiftung gegenüber, die De Lapuente nun auch als Botschafter durch die Lande ziehen läßt. Er wird zu Zivilcourage sprechen, einige Zeilen zur Chance der privaten Rentenversicherung fallenlassen, nachdem der neue Bertelsmann-Partner Allianz ihm einem augenöffnenden Crashkurs in diesem Metier unterzogen hat - und am Ende wird er zur Bildungsmisere sprechen. Bildung sei Chance und Zukunft, wird er sagen - und der Staat böte ja auch Bildungsmittel an, doch leider habe sich in den unteren Nischen der Gesellschaft eine Ablehnungs- und Verweigerungshaltung zur Neugier entwickelt, die ja Grundlage des Lernens sei. Ohne Bildung kein sozialer Aufstieg - er habe dies schon immer erkannt und thematisiert. Bertelsmann gehe mit seiner Stiftung einen vorbildlichen Weg, wird De Lapuente schließen, wir brauchen mehr Konzerne, die stiften gehen, um das Allgemeinwohl zu stärken.
Einige Jahre später wird De Lapuente mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Bundespräsidentin Ursula von der Leyen wird ihm die Auszeichnung übergeben und einige lobende Worte erwähnen. "Wehrhafter Demokrat", "unbeugsamer Streiter für Gerechtigkeit" und das "Motiv Nächstenliebe" fallen als Begriffe. Er wird sich bedanken und eine kurze Ansprache halten, in der er die deutsche Gesellschaft lobt, in der jeder aufsteigen kann, wenn er nur aus zähem Holz geschnitzt ist - "wer in Deutschland an sich glaubt, der kommt weit!", ruft er pathetisch aus und übergibt "der lieben Freundin", wie er die Bundespräsidentin nennt, abermals das Wort. Auf kritische Fragen, dass es ihm seit Jahrzehnten schon an Wortgewalt mangele, wird er entgegnen, dass er die infantile Phase seiner Anfangszeit überbrückt habe - er habe irgendwann kapiert, dass man sich zurücknehmen muß, wenn man die Gesellschaft prägen will. Wie er sie geprägt habe?, wird es aus dem Mund des kritischen Reporters schallen. Ich habe Bücher geschrieben und Texte unter die Leute gebracht; ist das etwa nichts?, wird De Lapuente antworten. Außerdem sei er mittlerweile überall ein willkommener Gast; bei Bundespräsidenten wie Arbeitslosenverbänden, bei Wirtschaftsbossen wie Arbeitnehmerorganisationen, unter Nationalen wie Ausländergruppen - wenn man allseits geliebt wird, wird er rhetorisch fragen, hat man dann die Gesellschaft nicht geprägt, hat man es da nicht richtig gemacht?
In der letzten Dekade seines Lebens werden sich Preise häufen. Ein Bambi soll ihm für sein Lebenswerk, dass ja auch in die TV-Landschaft hineingestrahlt hat, verliehen werden. Einige ungestüme junge Linke werden laut und frech Kritik üben; nun sei der alte Mann endgültig in der Trivialität des Medienalltags angekommen. Einen solchen Preis müsse er geradewegs ablehnen. De Lapuente wird Stellung beziehen und erklären, dass er es seinen Anhängern und Lesern schuldig sei, auch solche Preise in Empfang zu nehmen. Und überhaupt sei nichts Schlechtes dran, wenn auch mal einer wie er, ein bekennender Linker, konservativ unterhöhlte Preise erhalte. Nachdem ein junger Idealist den alten Mann mit Eiern bewerfen und ihn einen Maxim Gorki nennen wird, wird De Lapuente besonnen erklären, dass er heute mehr und mehr den Eindruck habe, es gäbe zu viel arbeitsscheues Gesindel und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen seien deswegen dringlicher denn je - "holt die jungen Idealisten von der Straße und gebt ihnen Arbeit und Perspektive - vorallem Arbeit!" Früher, als er noch jünger war, so wird er später sagen, habe es so ein Unbenehmen nicht gegeben; als er zu seiner Karriere ansetzte, musste man es noch mit Benehmen und guten Manieren schaffen...

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