Das Gespenst des Linksextremismus

Unsere liebe Bundesrepublik begreift sich als wehrhafte Demokratie, die mit Zähnen und Klauen gegen alle kämpfen muss, die daran zweifeln, dass unser System das beste aller denkbaren sei. Damit die Bürgerinnen und Bürger nicht vergessen, dass wir zwar einerseits seit gefühlten Ewigkeiten in paradiesischen Zuständen, andererseits aber auch in ständiger Bedrohung leben, werden Flüchtlinge und Asylsuchende immer energischer vor die Tür gesetzt und regelmäßig Verfassungsschutzberichte veröffentlicht. Der Verfassungsschutz ist eine Art West-Stasi. Sie beobachtet Abweichler, Staatsfeinde und Radikale aller Art. Denn auch die Demokratie hat viele Feinde. Linke, Rechte, und neuerdings auch Islamisten.

Vor ein paar Tagen wurde der jährliche Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorgelegt, dem unter anderem zu entnehmen ist, dass die Anzahl extremistischer Taten zurück gegangen ist – das gilt sowohl für rechts- als auch für linksextremistisch motivierte Straftaten. So etwas kann man natürlich nicht verkaufen – die Schlagzeilen in den einschlägigen Medien fielen auch ganz anders aus:

Gefahr einer Gewaltspirale von Links und Rechts
Friedrich warnt vor zunehmend gewaltbereiten Extremisten
Verfassungsschutzbericht: „Stehen an der Schwelle zu neuem Linksterrorismus“
Innenminister warnt vor linker Gewaltwelle

Das ist schon interessant. Warum diese Angst vor den Linksextremisten? Gut, der Fairness halber muss gesagt werden, dass unser Innenminister Hans-Peter Friedrich auch vor Neonazis in Designer-Klamotten gewarnt hat. Die sind gefährlicher als die mit Glatze und Bomberjacke, weil man die nicht gleich erkennt. Gemein ist natürlich auch, dass sich die Rechten inzwischen genau wie die Linken mit schwarzen Kapuzenpullis tarnen, so dass man erst an den Parolen im Begleitgebrüll erkennen kann, ob da ein Neonazi oder ein Autonomer mit Steinen oder Flaschen schmeißt.

Aber zurück zum medialen Bedrohungsszenario, das einem aus den Siebziger Jahren bekannt vor kommt, als es tatsächlich so etwas wie eine organisierte linksradikale Szene in Deutschland gab, von der ein erhebliches Maß an Gewalt ausging. Die Zeichen und Signale der RAF, etwa das Victory-Zeichen, sind mittlerweile in der Alltagskultur angekommen – man denke nur an den berühmten Schnappschuss von Josef Ackermann vor dem Mannesmann-Prozess. Der hielt so feist wie einst nur ein RAF-Terrorist seine gespreizten Finger in die Kamera.

Subkultur allein ist noch keine Kritik

Linkes Denken dagegen findet man kaum noch, nicht einmal in der Programm-Debatte der Linken. Nun will ich durchaus keine Lanze für die Linksextremisten brechen – diese ganze autonome Szene hält sich zwar unreflektiert für total links, vertritt aber dabei oft sehr eigenartige Positionen. Irgendwie alternatives Gedankengut gibt es an jeder Ecke: Sogar die CDU hat kapiert, dass es Alternativen zum Atomstrom gibt. Was fehlt, ist eine fundierte Kritik an den herrschenden Zuständen, die dazu führt, dass man überhaupt einen tragfähigen Gegenentwurf entwickeln kann. Es reicht halt nicht, das vorgefundene System irgendwie ungemütlich zu finden und es deshalb abschaffen zu wollen. Natürlich ist dieses System tatsächlich total ungemütlich und keineswegs gut für die Mehrzahl der darin lebenden Menschen. Aber man muss doch erstmal kapieren, warum das so ist, bevor man es abschaffen und ein anderes System aufbauen kann. Sonst wird es nicht besser, sondern schlechter. Ist durchaus schon vorgekommen.

Ich sehe auch nicht, inwiefern das Abfackeln von parkenden Autos (und insbesondere die Luxusschlitten dürften gut versichert sein) oder das Einschmeißen von Schaufensterscheiben zu weniger Herrschaft und einer sozialeren Gesellschaft führen sollten. Klar finde ich das Abfackeln von Dönerbuden und Asylantenheimen noch viel schlimmer. Aber die Ewiggestrigen vom rechten Rand wollen ja tatsächlich in erster Linie Angst machen, vor allem denen, die ihrer Meinung nach nicht hier her gehören. Und sie haben auch nichts gegen Herrschaft an sich, im Gegenteil, die wollen eine ordentliche Herrschaft, die auch mal richtig durchgreifen soll. Weg mit der Demokratie, weg mit dem Pluralismus, her mit einer übersichtlichen Welt und einem starken Führer. Alles den Deutschen und den anderen nichts. Männer machen Krieg und Kinder, Frauen kümmern sich drum.

Mit den Linken ist das weniger übersichtlich, die einen wollen die totale Basisdemokratie, die anderen eher eine Räterepublik, manche wollen gar keine Herrschaft und wieder welche bloß keinen Polizei- und Überwachungsstaat, aber schon irgendwie Demokratie oder so. Und dann soll es gerecht in der Welt zu gehen, manche finden sogar, dass man den Tieren gegenüber noch gerechter sein muss als den Menschen gegenüber und man eigentlich auch keine Pflanzen töten darf, bloß um seine eigene Existenz zu unterhalten. Ja, auch militante Tier- und Naturschützer können unangenehme Zeitgenossen sein – aber sie werden sich keine Bombengürtel umschnallen und sich vor der Fleischtheke im Supermarkt in die Luft sprengen.

Dass in den ersten Monaten dieses Jahres mehr Straftaten aus dem linksextremen Spektrum registriert wurden, dürfte vor allem der Hausräumung in der Liebigstraße in Berlin oder der Anti-Nazi-Demo in Dresden geschuldet sein, bei der es ganz nebenbei eine rechtsstaatlich höchst bedenkliche massenweise Erhebungen von Handydaten gab und bundesweit Busunternehmen aufgefordert wurden, die von ihnen transportieren Demonstranten auszuspionieren. Die Original-Stasi würde vor Neid verrückt werden, wenn es sie denn noch gäbe – Wahnsinn, jetzt stecken sich alle Menschen freiwillig eine Ortungswanze in die Tasche, total freiwillig! Und man kann sie ausspionieren, dass es die reine Freude ist, und das nicht zur zuhause, sondern überall! Aber ich schweife schon wieder ab.

Vermutlich entspringt die Warnung vor dem Linksterrorismus dem Wunschdenken der deutschen Politiker, die dringend nach Themen suchen, mit denen die Bürger von den anstehenden Grausamkeiten abgelenkt werden können. Denn bei aller Euphorie über das derzeitige Wirtschaftswachstum ist klar, dass die nächste Krise kommen wird. Und dann wird es wie immer spürbare Einschnitte geben. Die Rente wird sinken, das Rentenalter steigen, die Gesundheitsausgaben werden steigen, genau wie die Versicherungsbeiträge, die Grundversorgung wird aber schlechter, die Kosten für den Lebensunterhalt steigen sowieso immer, genau wie die Löhne weiter gedrückt werden und die internationale Sicherheitslage wird mit jedem weiteren Krieg, der angezettelt wird, bedrohlicher – was natürlich auch wieder kostet. Von weiteren Maßnahmen zur Euro- Banken- Marktrettung noch gar nicht zu reden. Das alles schreit doch schier nach einer neuen RAF!

Ich wünsche mir allerdings sehr, dass es heute weniger linksextremistische Möchtegern-Weltverbesserer und mehr reflektierte linke Aufklärer geben möge, so dass die Rechnung „mehr Krise, mehr Gewalt, mehr vom Rest der Bürger akzeptierte Repression“ nicht mehr aufgehen wird.



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