Und wieder eine Wikileaks-Geschichte. Eine, die bei uns in Deutschland gar keinen Eindruck machen wird. Eine, die in den Niederlanden eine öffentliche Diskussion anregen wird, denn Geert Wilders lässt keine Gelegenheit aus, Öl ins Feuer zu gießen. Aber es könnte tatsächlich sein, dass man mal wieder einen Blick hinter den Schleier des bestgehütetsten Geheimnisses des Landes werfen kann, des Geheimnisses von Noordeinde.Alle paar Jahre wechseln die Länder ihre Botschafter in anderen Ländern aus. So geschah es auch im August 2009, als Fay Hartog Levin die neue Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika in den Niederlanden wurde. Das erste, was ein neuer Botschafter tut, wenn er oder sie in seinem oder ihrem Gastland ankommt, ist die Übergabe des akkreditierungsschreibens an das Staatsoberhaupt des entsprechenden Landes. Dabei geht es nicht darum, mit der mächtigsten Person des Gastlandes zusammen zu kommen, sondern es geht darum, sich offiziell anzumelden und offiziell als Vertreter des Landes vom Gastland anerkannt zu werden. Es handelt sich dabei um einen formalen Akt, und es ist in der Regel eine Zeremonie, die dem Staatsoberhaupt vorbehalten ist, auch wenn dieses Staatsoberhaupt in der Politik nichts zu sagen hat. Ein solches Staatsoberhaupt ist Beatrix I., von Gottes Gnaden königin der Niederlande, Prinzessin von Oranien-Nassau und so weiter und so fort. Am 19. August 2009 empfing sie Levin zum Antrittsbesuch im Palast Noordeinde in den Haag, dem Arbeitspalast des Staatsoberhauptes.
Tja, und wenn das Staatsoberhaupt gar nicht viel politisch zu melden hat, worüber spricht man dann die ganze Zeit, in der man sich trifft? Nun: Natürlich kommt man an den Gegenseitigen Beziehungen nicht vorbei. Sicher könnte man sich auch über das Wetter unterhalten, aber die niederländische Königin ist dafür bekannt, dass sie regen Anteil an der Tagespolitik nimmt.
Offiziell ist die Königin ein Teil, ja sogar die Vorsitzende, der Regierung, so regelt es die Verfassung. Die Hauptaufgabe des Regierens hat aber schon lange der Vorsitzende des Ministerrats, der Ministerpräsident, übernommen. Einmal pro Woche unterrichtet er allerdings die Königin über aktuelle Ereignisse und politische Überlegungen. Die Königin selbst kann im persönlichen Gespräch natürlich ihre Meinung sagen, aber über diese Gespräche dringt nie etwas nach außen. In der Tagespolitik nämlich hat die Meinung der undemokratisch erkorenen Monarchin nichts zu suchen. Die Königin ist laut Verfassung unantastbar, und sie ist immun, für ihre Äußerungen sind immer die Minister verantwortlich. Das heißt, wenn die Monarchin etwas sagt, dann muss der Ministerrat dafür die Verantwortung in der öffentlichkeit tragen, nicht die Königin. Deshalb lässt man sie lieber so gut wie nichts politisches sagen. Denn man weiß, dass sie durchaus ihre Meinung hat, und dass sie in persönlichen Gesprächen auch nicht damit hinter dem Berg hält. Als ausgebildete Völkerrechtlerin ist sie sehr gut auch in Rechtsfragen informiert, und alle Politiker, die bei ihr waren, berichten, dass sie jedes Gespräch mitstenographiert und sich ihre persönlichen Notizen macht, auf die sie später zurückgreifen kann.
An diesem 19. August 2009 war also Fay Hartog Levin bei der Königin. Man sprach über die gegenseitigen Beziehungen und über aktuelle Probleme. Eines dieser Probleme war die Mission der Niederländer in Afghanistan. Sie waren und sind vor allem in der Provinz Urusgan stationiert und sollen dort für Stabilität und Infrastruktur sorgen. In der Bevölkerung war diese Mission stark umstritten, und darum war sie auch bis Ende 2010 begrenzt. Damals herrschte in den Niederlanden eine sogenannte große Koalition aus Christlichen Parteien und Sozialdemokraten. Der Führer der Sozialdemokraten, Wouter Bos, wusste, dass seine Partei in den Umfragen schlecht abschnitt. Er wollte sich profilieren und bestand, als die christlichen Parteien über eine Verlängerung des Mandats nachzudenken begannen, auf einem Rückzug 2010, wie es ausgemacht war. Das machte den amerikanischen Verbündeten Sorgen, und Präsident Obama versuchte, die Niederländer zum Bleiben zu überreden. Ministerpräsident Balkenende wollte wohl, aber er wollte die Regierung auch nicht über dieser Frage zerbrechen lassen, denn das hätte, wie es später dann auch geschah, der rechtspopulistischen Freiheitspartei von Geert Wilders nur mehr Aufschwung beschert. Über diese Schwierigkeiten klärte die Königin die neue Botschafterin wohl ganz im Vertrauen auf, um sie in die Probleme des Landes einzuführen. Bis hierhin handelte es sich um eine von der Verfassung durchaus gedeckte Beschreibung eines gegenwärtigen Zustandes. Nun aber sagte die Königin mehr. so kabelte die Botschaft nach Washington: “Königin Beatrix merkte gegenüber der Botschafterin während ihres Beglaubigungsbesuchs am 19. August an, dass es schwierig sei, politisch im Bezug auf Afghanistan eine Lösung zu finden, dass es aber gelingen müsse.” Die Botschafterin verstand die Anmerkung so, dass die Königin eine Fortsetzung der niederländischen Mission in Urusgan befürworte, denn sie schrieb, dass sie sich im Einklang mit führenden Vertretern der Regierung befinde.
Dieses Kabel, Sie werden es erraten haben, wurde am 14. Januar 2011 in den Niederlanden veröffentlicht, obwohl es noch nicht Teil der offiziellen Wikileaks-Cables ist. Der Erste, der sich sofort meldete, war Geert Wilders. “Ihre Majestät darf sich nicht mit der Frage einer Mission in Afghanistan befassen. Wenn es wahr ist, dass sie das tatsächlich getan hat, ist das sehr unangemessen”, twitterte der Rechtspopulist. Für ihn hat die Königin ihre Befugnisse übertreten, und er wird alles versuchen, dies für seine Wahlkämpfe auszunutzen. Nur die Tatsache, dass er die Regierung toleriert und auch weiterhin Einfluss haben will, könnte ihn zu einer Mäßigung bewegen.
“Das Geheimnis von Noordeinde” ist immer ein gutes Thema für Spekulationen und Verschwörungstheorien. Hat die Königin das Abhören ihrer Nichte und deren halbseidenen Lebensgefährten angeordnet, angeregt oder zumindest gut geheißen? Hat die Königin 1994 eigenmächtig dafür gesorgt, dass eine Regierung aus Sozialdemokraten, Links- und Rechtsliberalen zustande kam? Hat die Königin Einfluss auf die Ernennung von Botschaftern genommen? Immer wieder werden solche Fragen gestellt, doch die Politiker, die laut Verfassung die Verantwortung für die Äußerungen der Königin tragen müssten, halten sich zurück, ganz im Gegensatz zu ihren sonstigen Gewohnheiten. Über das Geheimnis der Gespräche zwischen Regierung und Monarchin dringt nichts nach außen. Vermutlich ist es so, und durchaus auch so gewollt, dass Königin Beatrix der Regierung ihre Meinung mitteilt, ohne Einfluss darauf zu nehmen, was die Regierenden daraus machen. Ich nehme an, dass sie Ihre Arbeit in einer Art Beratung sieht. Einige Politiker haben angegeben, Königin Beatrix stelle so intelligente Fragen bei den Informationsgesprächen, dass einem dadurch manchmal die Komplexität eines Themas selbst erst klar werde. Da die Königin diese Äußerungen nicht in der Öffentlichkeit tut, und weil Ihre Meinung von den Politikern nicht veröffentlicht wird, verletzt sie nicht die Verfassung und bringt die Politiker auch nicht in Probleme. Was nun geschehen ist, war unvorhergesehen. Auch das Gespräch zwischen der Königin und der Botschafterin der USA war natürlich vertraulich und eher privat. Die Presse war nicht anwesend, die Zusammenkunft war nicht öffentlich, man lernte sich einfach kennen. Die Königin sprach frei. Wikileaks hat veröffentlicht, was die Botschaft der US-Regierung mitteilte, darunter dieser Satz, von dem die Botschafterin vermutlich nicht einmal wusste, wie explosiv er war.
Geert Wilders gehört zu den Leuten, die der Königin am liebsten jede Beteiligung an den Staatsgeschäften abnehmen würden. Bis jetzt ist es noch so, dass sie nach Rücksprache mit ihren Beratern nach Wahlen eine Sondierung für eine bestimmte Koalition anordnen kann. Da sie offiziell Mitglied der Regierung ist, muss sie über die Staatsgeschäfte auf dem Laufenden gehalten werden. Wilders und auch andere Parteien wollen die Rolle der Monarchin strikt auf Repräsentation begrenzen, wenn man die Monarchie schon nicht abschaffen kann. Meiner Ansicht nach ist das der falsche Weg. Will man wirklich eine pure Repräsentationsfigur an der Spitze, der nicht einmal das Wort verbleibt, dann kann man auch für ein paar Jahre einen Präsidenten wählen, der muss sich dann wenigstens nicht sein ganzes Leben langweilen. Der Vorteil der Königin in den Niederlanden ist ja eben, dass sie nicht im politischen Tagesgeschäft steht, dass um ihre Ernennung nicht geschachert wird, wie um den Bundespräsidenten in Deutschland. Sie gilt als integre Persönlichkeit, sieht man von den Verschwörungstheoretikern ab. Die Niederlande, die mir wie ein schlingerndes Schiff in stürmischer See vorkommen, seit vor 9 Jahren Pim Fortuyn politisch aktiv wurde, brauchen eine feste Größe, die den Überblick behält, aber nicht die Macht hat, das Tagesgeschäft der Politik durch mehr als weise Worte zu beeinflussen. Worte, die aus der Seele des Volkes kommen und nicht aus der notwendigkeit der Vorbereitung auf die nächsten Wahlen.