Meine Füße schmerzen, ich strecke sie, blicke aus dem Fenster, eines der wenigen Fenster, das wir noch nicht geputzt haben, Else, Monika und ich, die wir jeden Abend durch dieses Gebäude geistern, nahezu unsichtbare Geschöpfe, die niemand kennt, denn wer will in einem solchen Haus schon etwas mit den Putzfrauen zu tun haben, denke ich, während Else und Monika vor der Tür eine Zigarette rauchen und ich aus dem Fenster auf die Brücke sehe, die sich in den Nebel frisst, der mir langsam Sorgen macht, weil ich bei diesen Witterungsverhältnissen nicht mit dem Auto fahren will.
Ich würde jetzt auch gerne eine Zigarette rauchen, ich habe nämlich mal geraucht, aber ich habe es mir vor Jahren abgewöhnt, zu teuer, hat Helmut gesagt, zu teuer, er hat es mir abgewöhnt, so wie er mir alles abgewöhnt hat. Das Lachen hat er mir abgewöhnt und die Lust; die Lust auf Pralinen und die Lust auf einen Abend am See. Die Lust auf die Lust, die hat er mir auch abgewöhnt.
Er hat mich nie geschlagen, denn so etwas würde ein Helmut nicht tun, er hat mir die Dinge durch sein Schweigen abgewöhnt. Hatte ich Lust auf einen Abend mit ihm im Kino, dann schwieg er sich aus dem Abend heraus, hatte ich Lust auf einen Spaziergang, dann schwieg er mir Schmerzen in die Füße, denn er hatte Schmerzen, er knurrte und murrte, sprach sonst nichts, rieb sich den Knöchel und schüttelte einfach den Kopf, bis ich ihm sagte, es sei schon gut, ich hätte ebenfalls Schmerzen im Fuß, denn ich wollte ihn ja stets entlasten, meinen Helmut, und damit ihn kein schlechtes Gewissen plagte, beklagte ich mich halt mit ihm. Helmut, der große Schweiger, der mich schweigsam im Badezimmer fickt, hart und schnell, damit ich auch dort ja keine Lust verspüre.
Auf dem Brückengeländer regt sich etwas, da ist jemand, da steht eine Person, ich bin mir sicher, fast sicher, denn der Nebel trübt den Blick natürlich. Also stehe ich auf, ich könnte Monika und Else rufen, aber der Anblick des Selbstmörders, denn um einen solchen muss es sich ja handeln, bannt mich. Ich könnte die Polizei verständigen, ich könnte Helmut anrufen, könnte sagen, hier passiert etwas, Helmut, aber er würde mich nur wieder ausschweigen, also was sollte ich mit ihm, nein, nein, jetzt, ja, jetzt springt das Ding, jetzt stürzt sich das Wesen ins Wasser hinab.
Schon ist es in der Nacht entschwunden. Ein Traum, ein Gespenst wie wir Putzfrauen in diesem Haus. Eine abwesende Anwesenheit, ein Geheimnis, dem ich vielleicht morgen in der Zeitung auf die Spur kommen werde.
Ich schweige, ich werde nichts darüber erzählen, werde nicht von der Aufregung berichten, die mich beim Sprung erfasste. Es durchfährt mich, meine Körperhärchen haben sich wie abschussbreite Raketen gestellt, ich spüre eine Lust wie schon lange nicht mehr.
Monika und Else kommen zurück, sie lachen mich an oder aus, so richtig kann ich das nicht sagen. Sie setzen sich schwatzend an den Tisch.
Was ist mit dir, fragt Monika, die mein Lächeln bemerkt, ach, nichts, nichts, sage ich rasch, denn ich will nicht, dass sie meinem Geheimnis auf die Spur kommen, dem tiefen Geheimnis tiefster Lust, die mich bei dem Gedanken erfasste, einen Menschen leibhaftig beim Sterben beobachtet zu haben.