Die sonnigen Frühlingstage müssen genutzt werden im Land des Nieselregens und der Wetterlaunigkeit. Und dieser Samstag scheint vielversprechend. Es ist mal wieder Zeit für ein echtes Abenteuer. Also machen wir uns auf ins Outdoor-Paradies der Yorkshire Dales. Wir packen unsere Siebensachen und wagen die Bezwingung des Pen-Y-Ghent, mit seinen 694 Metern einer der höchsten Berge hier in Nordengland. Die Herkunft des seltsamen Namens ist bisher nicht eindeutig geklärt. Er stammt wohl aus einem alten cumbrischen Dialekt und bedeutet entweder “Berg an der Grenze” oder “Kopf des Windes”, vielleicht je nachdem, ob man es poetisch mag oder eher nüchtern betrachtet. Der Pen-Y-Ghent ist der kleinste der Three Peaks, der drei Gipfel Yorkshires, zu denen noch der Ingleborough mit 723 Metern und der Whernside mit 736 Metern gehören. Sie alle liegen in der Nähe des Flusses Ribble und werden von Bergsteigwütigen regelmäßig als Challenge an einem Tag genommen. Der Pen-Y-Ghent verdankt seine stufenartige Form der abwechselnden Aufeinanderschichtung verschiedener Kalk- und Sandsteinarten. Von Berg zu sprechen ist vielleicht etwas ambitioniert, aber als das Ungetüm erstmals in seiner ganzen Pracht vor mir aufragt, weigere ich mich, den Koloss als Hügel anzuerkennen.
Alles eine Frage der Vorbereitung
Dennoch, die Engländer nehmen es ernst und rüsten sich mit den professionellsten Hiking- und Outdoorklamotten aus, die auf dem Markt erhältlich sind. Auch wenn der Weg auf den Gipfel nur wenige Meilen ausmacht, so wird die Besteigung dennoch aufs Minuziöseste geplant und für alle Notfälle vorgesorgt. Und so staune ich nicht schlecht, als mein Engländer am Samstagmorgen damit beginnt, eifrig Wechselsocken- und Schuhe in meinen Rucksack zu stopfen und mich darüber aufklärt, dass die Jeans, die ich tragen will, ja wohl wenig klettertauglich sei. Dann begutachtet er mein Polo-Shirt und fragt mich, ob das alles sei, was ich unter meiner Jacke zu tragen beabsichtige und ich schnappe mir kompromissbereit eben noch ein dünnes Strickjäckchen. Als ich im Bad schnell etwas Rouge auflege, um meinem blassen Gesicht, das sich immerhin schon um 6 Uhr morgens aus dem Bett quälen musste, etwas Farbe zu verleihen, bekomme ich gleich die nächste Rüge: “Makeup brauchst du nicht. Wir gehen bergsteigen.” Ehrlich gesagt nehme ich das Ganze nicht halb so ernst, denn ich rechne eher mit einer längeren Wanderung auf einem leichten Hügelanstieg, den ich auch habe, wenn ich vom Aldi nach Hause gehe, nur eben kürzer. Also trage ich auch meine ganz normalen Alltagsklamotten, ein geblümtes Tuch, hochgestecktes Haar und eben mein Make-up.
Mein Engländer schmeißt sich in Treckinghosen, teure Sportschuhe, füllt meinen Rucksack bis an den Rand mit Wollmütze, Halstuch, Notfalljacke, Snacks und Wasserflaschen. Gut, gegen die Snacks ist nun wirklich nichts einzuwenden. Ich lasse ihn mal machen und freue mich schmunzelnd auf das Abenteuer. Doch es wird noch weitaus interessanter, denn der Vater meines Engländers begleitet uns und setzt noch einen oben drauf: Sonnencreme, Pflaster, Sonnenhut lässt er in seinem Treckingrucksack verschwinden. Ich komme mir jetzt doch etwas amateurhaft vor angesichts dieser Ernsthaftigkeit. Doch ich bin immernoch davon überzeugt, dass es eher ein Spaziergang wird. Ich meine, hey, englische Berge (!). Doch ich ahne nicht: Alles soll ganz anders kommen …
Der Pen-Y-Ghent ragt in der Ferne auf.
Voller Vorfreude hüpfen wir drei also ins Auto und fahren von Bradford aus Richtung Nord Yorkshire. In einem kleinen Dörfchen namens Horton im malerischen Ribbledale endet unsere Reise. Hier beginnt das Abenteuer Pen-Y-Ghent. Als ich aus dem Auto steige, lächle ich noch zuversichtlich, dann erblicke ich vor uns den Berg und mir wird schlecht. Die mächtige Gestalt ragt wie ein monsterhaftes Ungetüm in der Ferne auf und wirft übermachtige Schatten ins Tal. Mein Übermut verfliegt augenblicklich und ich fühle mich zwergenhaft klein angesichts dieser wuchtigen Silhouette. “Wow! Da hab ich wohl mal den Mund zu voll genommen”, denke ich bei mir.
Vom Wege abgekommen
Mit wackeligen Beinen folge ich meinen zwei Bergführern durchs Gelände. Tiefe Zweifel fressen sich in meinen Bauch. Unmöglich! Nie im Leben! Doch dann erblicke ich massenhaft Mitstreiter jeden Alters, die ausgerüstet mit Wanderstöcken, Trinkflaschen und regenfester Kleidung lächelnd Richtung Berg marschieren. Das lässt mich etwas Hoffnung schöpfen, dass man es zumindest auf einen Versuch ankommen lassen sollte. Ich wundere mich nur, warum meine zwei Begleiter etwas unsicher genau in die entgegengesetzte Richtung laufen. “Sollten wir nicht den Leuten einfach folgen?”, frage ich ungeniert und bekomme prompt die Rechnung serviert: “Das geht auf keinen Fall. Das ist eine Frage der Ehre.” Ah ja. Nun, die beiden haben gerade noch eine Landkarte studiert und sich womöglich entschieden, den ausgetrampelten Touripfad zu verschmähen und eigene Wege zu beschreiten. Ich halte mal mein berlinerisches Besserwissermäulchen und stapfe mit den beiden gemeinsam los. Es ist gerade mal zehn Uhr und die Sonne leuchtet golden und warm vom Horizont herab und lässt die Landschaft smaragdgrün funkeln.
Nach einer guten Viertelstunde auf einem einsamen Pfad entlang von Trockenmauern und Schafswiesen, gerät unser Trupp plötzlich ins Stocken. Jetzt steht eine ernsthafte Frage im Raum: “Wieso entfernen wir uns eigentlich kontinuierlich vom Berg, anstatt ihm näherzukommen?” Tja. Verwirrt blicken sich die Engländer an und drehen sich Rat suchend im Kreis. Nun, ich halte mich da mal geflissentlich raus und lausche verschmitzt dem Knistern des Papiers, als die beiden Ahnungslosen die Landkarte abermals auseinanderfalten. “Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wir müssen den hier nehmen.” “Ach was!”, denke ich nur und bleibe ganz gelassen, als wir den Rücktritt antreten, schließlich ist mir augenblicklich noch jeder Moment lieb, den ich auf flachem Gelände zubringen kann.
Dem Berg entgegen
Der nächste Versuch glückt und wir schlendern schließlich in die gewünschte Richtung, vor und hinter uns Gleichgesinnte. Als ich die vorbeihuschenden Hiker so betrachte, in ihren bunten Outdoorklamotten, den hübschen Stirnbändern und Oversize-Sonnenbrillen, fühle ich mich etwas underdressed. Gut, meine vom letzten Wanderausflug noch moddrigen Winterstiefel zeugen zumindest etwas von im Außengelände erprobter Kleidung. Der Rest ist eben fürs Foto gut.
Bis zum Fuß des Berges ist es ein ziemlich weiter, durchaus steiler Weg, der mehr und mehr ansteigt. Gut eine Stunde brauchen wir dahin. Schon auf der ersten Anstiege gerate ich mächtig außer Puste und ich frage mich, wie ich das ganze Unterfangen bewältigen soll, aber aufgeben kommt ja nun schon garnicht in die Tüte. Also kämpfe ich mich schnaufend, mit sengender Sonne im Gesicht, von Erhebung zu Erhebung, setze einen Fuß nach dem anderen auf steile Kieswege, erklimme Steinstufe um Steinstufe. Ich bin komplett außer Atem und wir haben noch nicht mal den Berg erreicht. Nun ja, dass es mit meiner Kondition nicht zum Besten bestellt ist, war ja vorher klar, aber ich beiße die Zähne zusammen, denn ich fürchte nichts mehr als den fiesen Spott der Engländer am Ende des Tages und den Gefallen tue ich heute ganz gewiss nicht.
“Jetzt nimm ihr doch mal den schweren Rucksack ab!”, ruft der Vater meinem Engländer zu. Doch eh der etwas erwidern kann, lenke ich ein: “Nee, den trag ich selber. Das macht mich ja am Ende stärker“, verkünde ich stolz. Na soweit kommt das noch. In diesen Zeiten trägt die Frau ihre Lasten ganz selbstbewusst alleine.
Als wir den Fuß des Pen-Y-Ghent erreichen, lassen wir uns im Schatten eines Felsens zu einem kleinen Picknick nieder, knabbern Chips und Schokoriegel und verschnaufen ein wenig. Jetzt endlich kann ich einen Blick auf den zurückliegenden Weg erhaschen und sehe, dass wir bereits jetzt ziemlich an Höhe gewonnen haben. Die Landschaft, die uns umgibt, ist sagenhaft schön, kaum in Worte zu fassen. Die Sonne kitzelt auf unseren Nasen, Gänsehaut stellt sich ein. Meine Augen tasten die Umgebung ab und ich versuche mit meinem Herzen Bilder zu knipsen, die ich für immer darin aufbewahren kann. Hier draußen ist alles so unglaublich friedlich und ich fühle mich so nah an der Welt, dass ich meine, sie in ihrem urinnersten Wesen erfassen und in mich hineinatmen zu können. Ein sagenhaftes Gefühl.
Die Bezwingung des Ungetüms
Mit gestärktem Magen geht es weiter. Ich zaudere, als ich gewahr werde, wie steil nun alles werden wird. Als ich am Berg hinaufblicke, sehe ich Menschen ameisenklein die Felsen hinaufklettern. Für einen Moment verharre ich in Demut vor dieser Naturgewalt und ich kann mir gut vorstellen, warum Menschen in früherer Zeit Berge als Götter verehrten und ihnen Opfer darbrachten. Für mich ist der Pen-Y-Ghent an diesem Tag lebendig und ich vernehme sein eigentümliches Flüstern, geformt aus Erde und Wind.
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