Ben Stiller läuft als Walter Mitty seinem erstaunlichem Leben entgegen
Es gibt Tatsachen, die man erst einmal realisieren muss. Ben Stiller der Schauspieler, er steht für herkömmlichen Familienhumor, den er in Filmreihen wie Meet the Fockers (zu deutsch: Meine Braut, ihr Vater und ich) oder Nachts im Museum auslebt. Eine feste Größe im Comdey-Fach ist er sicherlich seit er Verrückt nach Mary war. Aber der Mann birgt ein Geheimnis: In ihm steckt ein talentierter Regisseur. Das hat er bereits 1994 mit Reality Bites bewiesen, bevor er sich im – wenn auch durchaus amüsanten – Slapstick-Übermaß verloren hat: Zoolander, Tropic Thunder, auch der minder erfolgreiche Cable Guy mit Jim Carrey stammt von Stiller. Nun kommt Das Erstaunliche Leben des Walter Mitty daher – von und mit Ben Stiller – und zeigt was er alles seit 1994 gelernt hat. Wunderschöne Landschaftsbilder, eine verträumt schöne Handlung, gar kein Slapstick, nur ganz ruhige Momente, die dennoch lustig sein können. Ein grandioser Film.
Walter Mitty (Ben Stiller) wirkt verloren in seinem Leben
Zugleich ein Film, der die Übernahme durch Dot.com-Firmen und einer schnelllebigen Gesellschaft kritisiert. Also wieder einmal ein Regisseur, der sich nicht der aufkommenden Übermodernisierung hingeben möchte. Ben Stiller spielt Walter Mitty, ein verunsicherter Tagträumer, der seit vielen Jahren im Keller der Zeitschrift Life! arbeitet, im Fotoarchiv, wo er Millionen von Fotos entwickelt hat, viele von ihnen von dem berühmten Fotografen Sean O’Connell (Sean Penn) geschossen, der sich in jede erdenkliche waghalsige Situation begibt, nur um die atemberaubendsten Naturaufnahmen zu schießen. Mittys Alltag ist dagegen grau, dunkel und langweilig, weswegen er sich immer wieder in seinen Tagträumen verliert, in denen er ebenso heldenhaft und mutig erscheint, wie sein Vorbild O’Connell. In seinen Träumen ist er der Mann an der Seite seiner Kollegin Cheryl (Kristen Wiig), die neu in der Firma ist und den Träumer sofort auch zum Schwärmer hat werden lassen.
Doch dann kommt der Schlag mitten ins Gesicht: Life! wird zu Life! Online, zahlreiche Mitarbeiter werden entlassen, Walter Mitty wird Cheryl nicht einmal mehr aus der Ferne bewundern können. Dafür bekommt er den Auftrag, das Foto für die letzte Printausgabe des Magazins zu besorgen, natürlich von O’Connell geschossen. Doch das Bild ist unauffindbar. Und schon beginnt Walter Mittys ganz persönliches Abenteuer: Von Grönland bis Island, in den Himalaya und wieder zurück.
Eigentlich basiert die Story auf einer Kurzgeschichte des Schriftstellers James Thurber und ist schon mehr als siebzig Jahre alt (veröffentlicht am 18. März 1939 im The New Yorker). Eine erste Verfilmung gab es bereits 1947, produziert von Samuel Goldwyn, insofern interessant, da der Neu-Produzent des 2014er Films nun Samuel Goldwyn Jr. heißt. Ben Stiller hat sich allerdings einiges für seinen Film einfallen lassen, die Kurzgeschichte ist nun einmal kurz und hält nicht die vielen Reisen des Walter Mitty parat, beschreibt nur den Tagträumer, nicht aber sein unfreiwilliges Abenteuer in der Realität. Und dabei sind das die Bilder, die den Film tatsächlich so erstaunlich werden lassen. Wenn Ben Stiller über den Himalaya schreitet, im Helikopter über den Ozean fliegt, durch die gigantischen Landschaften schreitet oder vor einem Vulkanausbruch flüchtet, dann zeigt sich die atemberaubende Imposanz dieser Inszenierung, die man – zugegeben – Ben Stiller nicht zugetraut hätte.
Kristen Wiig als Cheryl, von Walter Mitty angehimmelt
Zu Beginn dieser Lebensgeschichte wirken die Bilder noch als haben sie eine feste Form. Alles ist genau komponiert. Walter Mitty wirkt verloren in einer Welt, die festen Strukturen folgt. Es scheint als sei das Leben choreographiert, man kommt nicht aus dem Spiel heraus. Nur die Tagträumerei entreißt dieser Realität. Das wird umso bestärkter gebrochen, wenn Mitty dann den Entschluss fasst, auf sein eigenes Abenteuer zu gehen, diesen Strukturen zu entfliehen und seinem Leben – oder dem Leben – eine neue Offenheit zu gewähren. Ben Stiller im isländischen Wollpulli, auf einem Skateboard eine meilenweite Straße herab skaten, langsam ist der Bart im Gesicht am sprießen – aus Walter Mitty wird der Abenteurer, den er selbst so sehr bewundert, ebenso wie man Stillers Regiearbeit hier bewundern darf.
Seine Regie hat aus der Kurzgeschichte nicht nur eine sehr schön erzählte Lebensweisheit gemacht, er führt vor, wie man trotz ruhiger Erzählweise spektakuläre Actionsequenzen einbauen und sie mit traumhaften Bildern vereinen kann. Zwei Männer spielen da Stiller sehr in die Hände: Theodore Shapiro unterstreicht gerade die monumentalen Naturbilder mit Gänsehaut erregender Musik, während Kameramann Stuart Dryburgh wahrlich meisterhaft seine Bilder einfängt. Wirft man einen Blick auf die Arbeiten beider Männer, dürfte sich Walter Mitty als ihre bisher spektakulärstes Werk herausstellen.
Wenn Ben Stillers Das Erstaunliche Leben des Walter Mitty eine Vorausschau auf das Kinojahr sein soll, dann erwarten den Kinogänger gar große Dinge. Kein Bombast-Schabernack, sondern ein Film mit viel Ruhe und Liebe inszeniert. Das hat schon Gravity zu einem Multiplex/Arthouse-Kino Doppelerfolg geleitet. Auch wenn 2014 gerade erst am Anfang stehen mag, wird es schwer werden diese Regiearbeit zu toppen.
“Das Erstaunliche Leben des Walter Mitty“
Originaltitel: The Secret Life of Walter Mitty
Altersfreigabe: ab 6 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 115 Minuten
Regie: Ben Stiller
Darsteller: Ben Stiller, Kristen Wiig, Adam Scott, Shirley McLaine, Sean Penn, Patton Oswalt
Kinostart: 1. Januar 2014
Im Netz: walermitty-derfilm.de