Swans „The Seer“ (Young God)
Was soll man sagen? Es ist das und etwas mehr, was von Michael Gira zu erwarten war – eins obendrauf auf das letzte Epos „My Father Will Guide Me...“, maßlos, gigantisch, ein grimmiges Ungetüm von Rockoper, Giras „The Wall“, besser: seine „Metal Machine Music“. Oder so. Furchteinflößende 01:59:06, gezwungen in zweimal Plastik und dreimal Vinyl. Eine Herausforderung. Und jeder der behauptet, das Anhören bereite neben dem unbestrittenen Genuss keine Mühe, besitzt entweder ein beneidenswert kindliches Gemüt, alle Zeit der Welt oder den Hang zur Selbstverleugnung. Zwei Stunden, in denen sich Gira samt Band und Gastpersonal zum Seher geriert und durch die Apokalypse führt – seltsamerweise wünscht man sich als Zuhörer recht bald die eine oder andere zusätzliche Dimension hinzu. Nicht deshalb, weil das Akustische nicht genügend Anspruch böte, sondern um die chaotischen Bilder im Kopf zu einer Inszenierung zu ordnen – den Stoff also, aus dem die Albträume sind.
Eine Studioplatte im Live-Format, nicht weniger. „Lunacy“, das Gira mit Alan Sparhawk und Mimi Parker von Low zur Eröffnung bringt, hält sich noch zurück, aber schon „Mother Of The World“ im Anschluss, zehn lange Minuten, bringt das große, weltumspannende Drama zur Aufführung: Ausbeutung der Erde, irrsinniger Raubbau: „And where are you now, oh mother earth, and we feed of your hands and we drink your filth and you oil – in and out and in and out again…“, eine gewaltige Anklage. Mit dem Titelstück „The Seer“, sagenhafte zweiunddreißig Minuten, lässt Gira endgültig alle Zurückhaltung fahren – begonnen als orchestrale Disharmonie, setzt nach ein paar Minuten ein schleppender Beat ein, der nach und nach immer variantenreicher wird, um in einer wilden Gitarrenorgie zu münden – dann fade out, den vorläufigen Punkt setzt ein wirrer Teufelsgesang.
Des Sehers Rückkehr erscheint gegen dieses Monument fast konventionell, dafür gibt es im folgenden „93 Ave. Blues“ allerlei grelles, atonales Pfeifen und Quietschen. Den zweiten Teil leitet Karen O (Yeah Yeah Yeahs) und ihr „Song For The Warrior“ ein, auch dieser ist eher liedhaft strukturiert und soll wohl die Neuordnung aka. Hoffnung nach dem zwangsläufigen Zusammenbruch thematisieren: „Some people say God is long dead, but I heard something inside you with my head to your chest … Use your sword, use your voice and destroy. Then begin again.” Es bleibt natürlich groß, das mantraartige Spiel mit dem Licht bei “Avatar” zwischen marschierenden Drums und finalem Getöse, danach mit knapp zwanzig Minuten “A Piece Of The Sky”, das Stück, auf das viele sehnsüchtig gewartet haben, sollte doch Jarboe, kultisch verehrte Ex-Sängerin der Band, mit von der Partie sein.
Letztendlich belassen es Gira und seine frühere Partnerin bei einer kurzen Stimmcollage, das Stück ist auch sonst schon beeindruckend genug, manchmal sogar humorvoll: “In the then that was now, in the now that is not, in our names we forgot, in a thought we just lost, we become what we choose, we are stumbling fools, who are not there?” Abschließend stampft und wummert sich mit gleicher Spieldauer noch “Apostate” seinen Weg, da wird es noch mal schnell, da dreht sich im ohnehin schon tauben Kopf noch mal alles von unten nach oben. “Get out of my mind” als Bitte, der dann tatsächlich entsprochen wird – es endet. Besser, es ruht, denn wenn Lars von Trier “The Seer” in die Hände bekommt, kann aus dem Wunsch nach Kulisse schnell Realität werden. Und wer weiß – vielleicht hat ja auch Frau Wagner am Grünen Hügel in Bayreuth noch ein Zeitfenster frei …? http://www.swans.pair.com/