Oder auch: Der Tag, an dem mir der Kragen platzte
Alles fing eigentlich mit der Tatsache an, dass unsere Kinder nicht gegen alle Kinderkrankheiten geimpft sind. Ja, wir lieben unsere Kinder! Ja, wir wissen, dass das ansteckend ist. Ja, wir sind gut darüber aufgeklärt und haben uns informiert.
Diese Antworten mussten wir schon das eine oder andere Mal zur Erklärung abgeben. Meist erntet man trotzdem abfällige Blicke, besonders an Universitätskliniken. Doch daran haben wir uns gewöhnt, wir sind auch keine absoluten Impfgegner, sonder denken, dass es nicht nötig ist, gegen alles zu impfen was möglich ist.
Hätte man mir aber vorher gesagt, dass Windpocken, die der Kleine aus Norwegen als Souvenir mitgebracht hat, so eine Auswirkung auf mein Stimmungsbarometer haben, hätte ich mich vielleicht anders entschieden.
Der Kleine bekam also plötzlich unvermittelt Fieber, zum ersten Mal. Danach so komischen Ausschlag. Und dann ein deutliches, mit klarer Flüssigkeit gefülltes Bläschen. Windpocken.
Zur genaueren Abklärung sind wir ,unter strengsten Isolationsmaßnahmen, zum Kinderarzt. Schon ganz nett, sofort ins Behandlungszimmer gebeten zu werden. So fühlen sich also Privatpatienten. Nach kurzem prüfendem Blick, die Gewissheit und eine verheerende Fehlinformation. Der Kleine ist hochgradig ansteckend, bis 7 Tage nach Auftreten des ersten Bläschens. Doch dann ist da noch der Große. Das Fatale bei Windpocken ist ja, dass die Infizierten schon ansteckend sind, bevor die erste Pocke zu sehen ist. Also meinte die Kinderärztin, auch der Große muss, bis zur Genesung, zu Hause bleiben.
Das hatte gesessen: Im schlimmsten Fall also 4 Wochen mit beiden Jungs zu Hause in der Wohnung unter strengen Isolationsmaßnahmen. Nicht, dass mich jemand falsch versteht, ich liebe meine Jungs und bin gerne mit ihnen zusammen, aber 4 Wochen ohne Bewegung im Freien? Ich sah vor meinem inneren Auge schon unsere Wohnung im sanierungsbedürftigen Zustand. Tapeten abgerissen, Laminat zerkratzt und alles geflutet. Und ich hatte mich mal darüber beschwert, dass die KiTa eine Woche zu hatte.
Nach ein paar Tagen mit den Jungs zu Hause, war ich echt fertig, nicht weil die Wohnung zerlegt wurde, sondern weil die Zeit so endlos erschien. Dem Kleinen merkte man seine Krankheit kaum an, bis auf die etwas entstellenden roten Wunschpunkte. Dafür litt der Große unter Bewegungsmangel, und zwar zunehmend. Ich war dann noch mal in der KiTa, um sein Regenzeug zu holen, und hatte eine kurze Unterhaltung mit der Leitung. Dieses rettete mir den Tag, denn Geschwisterkinder von Erkrankten dürfen in die KiTa. Nur wirklich schade, dass es ein Freitag war. So mussten wir alle bis Montag warten und hoffen, dass der Große nicht auch noch krank wurde.
Er wurde erst eine Woche später von den Pocken heimgesucht und bei ihm begann es wie beim Kleinen, erst Fieber dann Pocken. Beim Großen war es, bis auf ein wenig Juckreiz genauso unkompliziert. Doch für mich war es wieder enorm anstrengend. Wie erklärt man einem fast Dreijährigen, dass man bei strahlendem Sonnenschein nicht auf den Spielplatz oder in den Zoo gehen kann. Nur weil man so komische Punkte hat? Die Lebensenergie war nämlich von den Windpocken total unbeeindruckt, genau wie der Bewegungsdrang. Trotzdem blieb ich hart und versuchte Kontakt zu anderen Kindern und Schwangeren zu vermeiden. Und mit etwas Glück fand ich einen Spielplatz, der ziemlich ungenutzt in einem kleinen Wäldchen lag. Ideal für uns.
Nachdem nun alles überstanden ist und beide wieder punktfrei sind, schaue ich zurück und stelle fest, es war anstrengend. Sehr anstrengend! Ich war zwischenzeitlich auch echt fertig und mein Nervenkostüm war teilweise sehr dünn. Bestimmt bin ich auch mal laut geworden, obwohl es nicht nötig gewesen ist. Und wirklich zum ersten Mal fühlte sich meine Elternzeit nach richtiger Arbeit und nicht nach Urlaub an.