Das Drama im Atatürk: CL-Finale 2005

Von Wegggeblockt @weggeblockt

UEFA Champions-League Finale 2004/2005

Joe Baker hat genug gesehen. Kurz vor dem Halbzeitpfiff verlässt der Liverpool-Anhänger das Atatürk-Stadion in Istanbul. Seine Reds liegen im Champions-League-Finale mit 0:3 gegen AC Mailand in Rückstand. Mit dem Taxi fährt er ins Stadtzentrum, das eine Weile vom Stadion entfernt liegt. Im Taxi läuft das Radio mit der Liveübertragung des Spiels. Der Taxifahrer übersetzt Joe die Ausrufe des Kommentators: “Es ist unfassbar, es ist unfassbar! 3:3! 3:3!”

Mittwoch 25.Mai 2005

Es ist ein warmer Frühsommertag in Istanbul. Der perfekte Tag für ein Champions-League-Finale. Fans des AC Mailand und der Liverpooler tummeln sich tagsüber in Istanbul herum. Sie feiern ihre Teams und jedes Fanlager ist sicher: ihr Team holt den Champions-League-Pokal heute Abend. Gegen 17 Uhr machen sich die meisten Fans in Richtung Atatürk-Stadion auf. Es liegt etwas außerhalb der Innenstadt und die Fans werden mit den Bussen zum Stadion gefahren. Die Stimmung ist fantastisch. Alle Beteiligten wissen zu dieser Zeit noch nicht, dass sie Zeitzeugen eines historischen Spiels sein werden.

Die erste Halbzeit

Das Spiel startet erdenklich schlecht für die Reds. In der 52. Sekunde gehen die Italiener bereits mit 1:0 in Führung: Andrea Pirlo mit einem Freistoß von rechts, genau auf Maldini, der den Ball ins lange Eck setzt. Milans Dominanz war allzeit spürbar. Vor allem Pirlo treibt das Spiel der Mailänder unermüdlich nach vorne. In Minute 39 dann der zweite Schock für die Engländer: Kaka spielt Shevchenko frei, der legt auf Crespo quer. 2:0. Als alle schon überlegen, wie Liverpool diesen 2:0-Rückstand denn noch drehen soll, passiert noch schlimmeres. Wieder ist es Kaka der den Ball in der eigenen Hälfte bekommt. Er sieht Crespo starten und serviert ihm mit einem 50 Meter-Pass den Ball auf dem Silbertablett. Wiederrum verwandelt der Argentinier problemlos. Zum 3:0 Halbzeitstand.

Die Halbzeitpause

Die Liverpool-Spieler schleichen mit gesenkten Köpfen in die Kabine. Die erste Halbzeit war ein Desaster. Ausgerechnet im Finale liefert man eine solche Leistung ab. Doch ihr Trainer, Rafael Benitez, hat noch Hoffnung. Er sagt seinen Spielern, dass dieses Spiel noch nicht gelaufen ist. Dass ein frühes Tor alles möglich macht. Und: Er schafft es, seine Spieler zu motivieren. Alles zu geben um das Unmögliche noch zu schaffen. Es gibt diesen Mythos, der behauptet man habe in den Umkleidekabinen die Liverpool-Fans singen hören. Im Stadion sind die Engländer in der klaren Überzahl. Zu diesem Zeitpunkt glaubt kaum mehr ein Red-Anhänger an eine Aufholjagd. Zu dominant das Auftreten des Gegners, zu deutlich der Rückstand. Noch.

Die zweite Halbzeit

In der 54. Minute ist es der Liverpool-Anführer persönlich, der die Reds zurück ins Spiel bringt: Steven Gerrard nickt eine Flanke von Riise ins lange Eck. Nur noch 3:1. Geht da noch was? Ja. Smicer trifft in der 56. zum 2:3. Klasse Weitschuss! In der 60. Minute passiert, was Joe Baker im Radio mitbekommt: Xabi Alonso verwandelt den Elfmeter zum 3:3 im Nachschuss. Das ganze Spiel in 7 Minuten auf den Kopf gestellt. Nach dem 3:3 passierte nicht mehr viel. Konsequenz: Verlängerung!

Die Entscheidung

Psychologischer Vorteil für? Na ja. Milan in der Verlängerung die engagiertere Mannschaft. Sichtbar darum bemüht dieses Spiel doch wieder auf ihre Seite zu lenken. Warum Andrey Shevchenko kurz vor Schluss aus 2 Metern nicht verwandelt, sondern Dudek seinen Arm noch hochbekommt und der Ball übers Tor geht ist genauso unerklärlich und verrückt wie der ganze Abend überhaupt schon. Folglich kommt es zur Entscheidung am Punkt. Ein Herzschlagfinale. Auf Milan-Seite verschießen erst Serginho, dann Pirlo. Bei den Reds versagen nur John Arne Riise die Nerven. Und weil am Ende Shevchenko vergibt ist Liverpool der Gewinner des Spiels. Der Gewinner der Champions-League. Der Gewinner überhaupt.

Joe Baker hat seitdem nie wieder ein Fussballstadion frühzeitig verlassen. Die Mailänder wissen, dass sie sich ob des Triumphes bereits zu sicher waren und nicht an eine Rückkehr der Engländer glaubten. Und die Spieler von Liverpool werden gelernt haben, dass es sich zu kämpfen lohnt, auch wenn der Rückstand noch so groß ist. Irgendwie können wir alle lernen aus diesem Spiel am Mittwochabend, im Mai 2005.

 Titelfoto: Nuri Tirit  / pixelio.de