Die Zeitung “The Guardian” hat den Versuch unternommen den Briten den neuen Typ der Deutschen und das was ihm heutzutage wichtig ist, nahe zu bringen. Sicher wird manch ein Anhänger des alten Deutschlandbildes enttäuscht sein, dass in diesem Land keine Menschen mehr mit strengem Scheitel und gestutztem Schnauzer Sieg-Heil brüllend durchs Land laufen. Schließlich gehört es für traditionsbewusste Briten zum guten Ton, sich aus Spaß auch mal in Nazi-Uniform zu präsentieren und zu denken, dass das deutsch sei.
Jetzt sollen die Briten lernen, dass wir “Wutbürger” sind. “Anger citizens”, als deren Geburtsstunde der Kampf gegen den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof angegeben wird. Bemerkenswert sei, dass die soziale Mischung der Protestanten nicht mehr aus langhaarigen Jugendlichen oder Glatzköpfen bestehe, sondern eine bunte Mischung eher älterer Menschen. Aber sie wüten nicht nur über lokale Politik, sondern laut “Guardian” beklagen sie sich ebenfalls über faule Griechen, korrupte Bürokraten und Einwanderer, die ihren Kindern kein Deutsch beibringen.
Das nächste Stereotyp gilt dem Öko-Typ. Für den “Guardian” gehören sie zur “Organic bourgeoisie”. Mit Beginn der 80er Jahre habe man den Aufstieg des Öko-Typen, Strickpullover tragend, sein Müesli selbst zubereitend und gegen die Atomenergie protestierend, erlebt. Man kaufte “Dinkelbrot” (spelt bread) im Bioladen (organic food shop). Und jetzt sei diese Öko-Welle Allgemeingut geworden. Aus dieser sei jetzt ein neuer Typ von Öko-Anhänger geworden, den man auch “Bionade Biedermeier” in Anlehnung an eine ökologische Limonade nenne. Zu bewundern seien die Vertreter dieser Gattung zum Beispiel im Schanzenviertel von Hamburg, am Prenzlauer Berg in Berlin oder im Agnesviertel in Köln. Vorherrschend stehe bei ihnen der ethische Konsum und statt Politik der grüne Lebensstil (lifestyle) im Vordergrund. Sie sortierten ihren Müll, würden aber mehr als die Hälfte weniger für wohltätige Zwecke spenden wie ihre vergleichbaren britischen Genossen.
Der Deutsche werde auch zum “Piraten”. Zumindest gebe es eine kometenhaften Anstieg bei den “pirate voters”. Nur in Deutschland habe es diese Partei bisher in die Parlamente geschafft. Der typische Piraten-Wähler sei männlich, 18 – 29 Jahr alt und gut erzogen. In der Regel genieße er ein finanzielle Unterstützung durch seine Familie, weil er kein regelmäßiges Einkommen habe. Gewählt würden die Piraten von passiven Sozialromantikern (social romantic) oder aktiven Leistungsverweigerern (performance refusenik).
Eine weitere neudeutsche Gruppe sei der “Medien-Adel” (media aristocrats). Als Republik mit einer negativen monarchischen Erfahrung hätten die Blaublüter in Deutschland einen schweren Stand gehabt, aber der deutsche Bürger ergötze sich doch gerne an den “Oberklasse”-Geschichten (upper-class gossip). Als Beispiel wird der urinierende Prinz von Hannover oder der prolige Prinz (prole prince) Marcus von Anhalt erwähnt. Solche Typen treiben sich bei uns in der “Schickeria” (laut Guardian aus dem italienischen “sciccheria” = Eleganz) herum. Einen Schlag habe die Medien-Aristrokratie in ihrem Aufstieg allerdings auf Grund des durch Plagiat erworbenen Doktortitels des Ex-Verteidigungsministers Guttenberg bekommen.
Dann gibt es bei uns natürlich auch den “Menschen mit Migrationshintergrund” (person of migratory background), der inzwischen fest in der deutschen Gesellschaft verankert sei, auch wenn die Kanzlerin der “Multi-Kulti-Gesellschaft” schon mal das Todesglöcklein geläutet habe. Schließlich bestehe inzwischen ein Fünftel der deutschen Gesellschaft aus Menschen mit diesem Hintergrund. Es gebe Türken, die mit deutschem Akzent sprechen würden und oft ein teures deutsches Auto anmieten, um im Urlaub bei Verwandten angeben zu können.
Und natürlich dürfen auch die “Ossis” im neuen Deutschlandbild der Briten nicht fehlen. Warum der Guardian hier allerdings “Bossy Ossi” titelt ist mir nicht ganz aufgegangen. Auf jeden Fall werden die Briten aufgeklärt, dass es bei uns die “Besser-Wessi” (confident, patronising) und den “Jammer-Ossi” (passive) gebe. Aber 2012 klinge das zunehmend unglaubwürdig: “Mit Kanzlerin Angela Merkel und dem Bundespräsidenten Joachim Gauck haben zwei in der DDR geborene Politiker die wichtigsten Rollen im öffentlichen Leben Deutschlands übernommen und das nur 23 Jahre nach der Vereinigung. Im Vergleich: Das Vereinigte Königreich brauchte 55 Jahre um einen schottischen Premierminister zuzulassen.” Es gebe nicht nur die Pragmatikerin Merkel, sondern auch in der Linken Sahra Wagenknecht aus dem ehemaligen Osten, die für einen kreativen Sozialismus eintrete.
Was werden sich wohl die britischen Leser über dieses neue Deutschland denken?
Informationsquelle
Germany: the new stereotypes, from Anger Citizens to Bossy Ossis – The Guardian