Das CO2-Ziel 2020 wird wohl verfehlt

Auch wenn das Alpenland im Schnee versinkt, bei uns im Norden Bayerns gibt es bisher noch weniger Schnee als in den vergangenen Jahren. Nicht wegen ausbleibenden Niederschlägen, sondern weil es einfach zu warm ist. Der Klimawandel ist in aller Munde, doch beim Versuch ihn zu stoppen ist selbst Deutschland bisher kaum erfoglreich. Die Emissionen von Treibhausgasen sind seit 2009 kaum noch gesunken, wie die Bilanz des Umweltbundesamtes zum Jahr 2017 zeigt (neuere Daten gibt es noch nicht). 2009 lagen die Emissionen bei 908 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, 2017 waren es 905. Das ist zwar etwas weniger als 2016 (909 Millionen Tonnen), aber mehr als 2014 (903 Millionen Tonnen). Zurückgegangen ist außerdem lediglich der Ausstoß sonstiger Treibhausgase, CO2 im engeren Sinne wird sogar mehr freigesetzt als 2009, nämlich 797 statt 790 Millionen Tonnen.

Sehr befremdlich ist es da, wenn Henryk Marcin Broder bei seiner Rede vor der AfD-Fraktion im Bundestag die Überzeugung, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, mit einem religiösen Glauben vergleicht. Er zitiert dabei einen angeblich vom Father Brown Erfinder und bekennenden Katholiken Gilbert Keith Chesterton stammenden Spruch „Wenn die Menschen aufhören an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sie glauben an irgend etwas". Zunächst einmal stammt das Zitat wohl nicht von Chesterton selbst, sondern vom in Deutschland weitgehend unbekannten Émile Cammaerts, der es aus einem Ausspruch des (fiktiven) Father Brown ableitet.

Das ist aber nicht der wichtigste Punkt. Denn die These von der durch CO2 hervorgerufenen Klimaerwärmung ist ja kein Glaube wie der an Astrologie. Es ist keineswegs so, dass die Klimaforscher nur auf Basis der steigenden Durchschnittstemperaturen von einem Einfluss des Menschen ausgehen. Aber dass CO2 einen Treibhauseffekt hervorrufen kann wurde ja wissenschaftlich ausreichend untersucht. Auch ist Herrn Broder Einlassung, das Klima wandele sich ja ständig, wenig zielführend. Tatsächlich gab es schon viele Klimaveränderungen, aber nicht wenige hatten große Hungerkatastrophen, Kriege und den Zusammenbruch ganzer Reiche zur Folge. Das kann keiner wollen.

Leider ist es nicht sehr hilfreich, wenn auf der anderen Seite des politischen Spektrums die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn auf Twitter völlig unsinnige Kommentare von sich gibt, beispielsweise dass die aktuelle „Kälte-Welle" eine Folge des schwächer werdenden Golfstroms sei. Tatsächlich gibt es den Effekt, dass der Golfstrom warmes Wasser nach Europa bringt, was mit ein Grund ist warum es in Hamburg meist wärmer ist als in der deutlich südlich liegenden kanadisch Stadt Calgary (wobei Calgary natürlich auch insgesamt weiter vom Meer entfernt liegt, also kontinentaleres und damit extremes Wetter hat). Aber natürlich ist etwas Schnee noch kein Hinweis auf einen ausbleibenden Golfstrom, zumal auch dieser Winter vermutlich eher zu warm sein dürfte. Den Schweizer Metereologen Jörg Kachelmann veranlasste das, ebenfalls auf Twitter, zu heftigen Kommentaren:

Frau Höhn phantasiert frei von jeglicher Verbindung zur Wissenschaft. Es ist nicht wahr, dass die „Golfstrom-Heizung nicht mehr funktioniert". Es ist frei erfundener Blödsinn wie die vier Wochen „sibirische Kälte" an sich. Offensichtlich sind alle Dämme gebrochen. https://t.co/YLKYOq2dOy

- Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 20. Januar 2019

Frau Höhn verwechselt immer noch den Film „The Day after tomorrow" mit irgendwas aus der Wissenschaft. Jemand muss sie beiseite nehmen, sie aufs Sofa setzen, ihr den Computer entwinden und eine Tasse Tee einschenken. https://t.co/CbhuWsEUvO

- Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 20. Januar 2019

Zur Systematik

Aber ich will nicht politisieren, sondern mich lieber den Daten widmen. Wie sieht es da aus? Tatsächlich gehört Deutschland zu den wenigen Ländern, die gegenüber 1990 einen deutlichen Rückgang der Emissionen von Treibhausgasen vorweisen können. Meist setzt man diese Treibhausgase mit CO2 gleich, was nicht ganz stimmt. Allerdings spielt CO2 dabei eine große Rolle.

Die übrigen Treibhausgase wie Methan oder Schwefelhexaflourid werden entsprechend ihres Treibhauspotentials in CO2-Äquivalente umgerechnet. Weil Methan deutlich klimaschädlicher ist entspricht eine Tonne davon laut dem Kyoto-Protokoll 21 Tonnen CO2. Ein Staat der 100 Tonnen CO2 und eine Tonne Methan verursacht hat bekäme als 121 Tonnen CO2-Äquivaltente gutgeschrieben.

Viele Autofahrer kennen die Problematik vielleicht weil sie festgestellt habe, dass das Auffüllen ihrer Klimanlage mit Kühlmittel sehr teuer geworden ist. Das dort oft verwendete 1,1,1,2-Tetrafluorethan entspricht nämlich von der Klimawirkung dem tausendfachen der gleichen Menge CO2. Die unten stehene Tabelle zeigt die Entsprechung einer Tonne des Stoffes in CO2-Äquivalenten. Eine Tonne CO2 ist natürlich genau ein CO2-Äquivalent.

Die Angaben beziehen sich jeweils auf die Treibhauswirkung innerhalb von 100 Jahren. Der Sachstandbericht der Vereinten Nationen verwendet teilweise etwas andere Umrechnungsskalen und führt außerdem noch mehr Treibhausgase auf.

Ein Rückblick

Im Mittel der Jahre 2008 bis 2012 lag der Ausstoß rund 24 Prozent niedriger als 1990. Während viele Länder wie Österreich, die USA und Japan statt der versprochenen Einsparungen sogar mehr Treibhausgase ausstießen, übertraf Deutschlande also seine Ziele. Nur Großbritannien und Frankreich waren unter den klassischen Industrienationen ähnlich erfolgreich. Frankreich allerdings nur deshalb, weil sie sich keine Einsparung vorgenommen hatten, trotzdem aber 4,8 Prozent weniger Treibhausgase emittierten. Dänemark sparte zwar CO2 & Co, scheiterte aber an seinen hohen Zielen.

Eine deutliche Einsparung erreichten nur Deutschland und Großbritannien sowie zahlreiche osteuropäische Staaten (nicht in der obigen Grafik zu sehen). Leider ist der Erfolg dieser Staaten vor allem dem Zusammenbruch ihrer Industrien nach dem Ende des Sozialismus zu verdanken. In den baltischen Staaten oder Rumänien lies er die Emissionen um mehr als 50 Prozent zurück gehen. Auch die deutschen Erfolge sind zum großen Teil durch die Stilllegung oder Modernisierung von Industrieanlagen in der ehemaligen DDR bedingt. Danke, liebe Ostdeutsche.

In Großbritannien dürften die Gründe ähnlich sein, ein Großteil der britischen Industrie verschwand, während immer mehr Menschen in die Dienstleistungsbranche wechselten. Das ist eine Schwäche dieser Statistik, kauft ein Londoner Unternehmensberater einen in Deutschland gebauten Porsche, so wird das für die Herstellung nötige CO2 nicht dem britischen, sondern dem deutschen Konto gutschrieben.

Der Effekt, dass die Produktion teilweise ins Ausland verlagert wird, dürfte auch Deutschland etwas geholfen haben. Allerdings exportiert man hierzulande jetzt auch mehr, welcher Effekt stärker ist kann ich nicht beurteilen.

2020 werden die Ziele wohl verfehlt

Bis 2020 hat man sich in Berlin eine Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent vorgenommen. Gemessen am Kyoto-Ziel ist das eine weitere Einsparung um 19 Prozent des Ausstoßes von 1990, gemessen an den erreichten 24 Prozent immer noch 16 Prozent. Dabei muss man jetzt ohne die Extrahilfe aus Ostdeutschland auskommen. Der Ausstieg aus der Kernkraft erhöht die Treibhausgas-Emission sogar, weil die relativ CO2-freie Energiequelle durch Kohle und Erdgas ersetzt werden muss.

Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass das Ziel einer Reduktion um 40 Prozent gegenüber 1990 bis zum nächsten Jahr noch erreicht werden kann. Bis 2017 betrug der Rückgang insgesamt nur 27 Prozent gegenüber 1990. Bedenkt man, dass bereits im Mittel der Jahre 2008 bis 2012 ein Minus von 24 Prozent erreicht war ist also kaum noch eine zusätzliche Einsparung erzielt worden. Selbst die optimistischsten Prognosen erwarten maximal einen Rückgang von 35 Prozent gegenüber 1990, was aber in meinen Augen sehr unrelistisch ist.

Warum der Schein trügt

Dass Deutschland seine Ziele für 2020 verfehlen wird, nachdem es bisher der Musterschüler war, liegt also daran, dass bisher ein Sondereffekt geholten hat. Wenngleich man nicht vergessen darf, dass es auch nach 2000 noch Einsparungen gab, also zumindest kleinere Erfolge erzielt wurden.

Allerdings erzeugt die gängige Betrachtung auf Basis der Veräderung gegenüber 1990 auch ein schiefes Bild. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden die Ziele von Jahr leichter erreichbar. Bis 2010 waren 21 Prozent einzusparen, bis 2020 dann 40 Prozent, also 19 Prozentpunkte mehr. Allerdings bedeutet das nicht, dass von 2010 bis 2020 die Treibausgas-Emissionen um 19 Prozent reduziert werden müssen. Zwar entspricht die Reduktion 19 Prozent des Ausstoßes von 1990, gemessen am bereits 2010 erreichten Wert handelt es sich aber um ein Reduktion von rund 25 Prozent, denn 2010 lag der Wert ja schon ehr als Viertel niedrige als 1990. Außerdem umfasst der erste Zeitraum 20 Jahre, die anderen nur noch zehn. Wer genau hinsieht merkt, dass die Vorgaben von Jahrzehnt zu Jahrzehnt anspruchsvoller werden.

Berechnet man die nötige Einsparung pro Jahr im Vergleich zum Vorjahr, zeigt sich die wahre Herausforderung. Um die Kyoto-Ziele zu erreichen musste der Ausstoß von 1990 bis 2010 (genauer bis zum Mittel der Jahre 2008 bis 2012) jährlich um 1,2 Prozent gesenkt werden. Von 2010 bis 2020 wären nach den Planungen schon eine jährliche Reduktion um 2,7 Prozent nötig. Tatsächlich etwas weniger, weil die Ziele 2010 übertroffen wurden. Von 2020 bis 2030 muss der CO2-Ausstoß von Jahr zu Jahr um 2,8 Prozent sinken, in der Praxis sogar etwas mehr um die fast sichere Zielverfehlung von 2020 auszugleichen. In den Jahren von 2030 bis 2050 ist dann jedes Jahr eine Reduktion um 4,0 Prozent nötig (wer jetzt sagt 10 Mal 4,0 Prozent sind aber doch 40 Prozent und nicht ein Drittel, der möge bedenken, dass es hier einen umgekehrten Zinseszinseffekt gibt und zur Berechnung der Jahreswerte das geometrische und nicht das arithmetisch Mittel verwendet werden muss).

Fazit

Die CO2-Einsparungen zu erreichen wird ein ziemlicher Kraftakt werden. Nur auf den ersten Blick wird es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt einfacher, tasächlich wird es immer schwerer. Denn trotz des Zusammenbruchs der Ost-Wirtschaft hat Deutschland von 1990 bis 2010 nicht annäherend die Einsparungen erzielt, die in den nächsten Jahren nötig sind. Ein Zurücklehnen kann sich das Land aber nicht leisten, denn so richtig anspruchsvoll werden die Ziele ab 2030.

Wo kommen die Emissionen aktuell her? Und warum hat das Land seine Ziele bisher verfehlt? Das seht im nächsten Blogbeitrag am Mittwoch, den 13. Februar 2019.


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