Küpper weiß Bescheid, denn die ehemalige Landtagskandidatin der damals noch PDS genannten Linkspartei ist "Mitarbeiterin des renommierten Forschungsprojekts Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unter der Leitung des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer", der schon im vergangenen Jahr hatte herausfinden können, dass heutzutage alles schlimm, in Deutschland aber alles noch viel schlimmer ist.
"Die zunehmende soziale Spaltung zersetzt das Miteinander, die Gesellschaft ist vergiftet", weiß Heitmeyer. Seine Mitarbeiterin Küpper aber, die als Kind unter der Zwangssolidarisierung in der DDR-Pionierorganisation litt, kennt die ganze Wahrheit: Im Osten stimmten 59 Prozent der Bürger der These von Helmut Schmidt zu, dass es "sicher ein Fehler, so viele Ausländer ins Land zu lassen“ (Filder-Zeitung v. 5.2.93). Im Westen seien es gerademal lächerliche 44,5 Prozent. Auch seien in den neuen Bundesländern mit zehn Prozent der Befragten mehr Menschen bereit, "Gewalt anzuwenden".
Es ist das braune Erbe der Diktatur, Honeckers späte Rache an der Demokratie. Beate Küpper, die im vergangenen Jahr bereits eine rabenschwarze "europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung" hatte liefern können, sieht im Osten "mehr Ablehnung von Pluralismus", "mehr autoritäres Denken" und "ein Gefühl der Benachteiligung gegenüber Westdeutschen, das viele Menschen an Minderheiten auslassen".
Poutrus, ehemals Mitarbeiter in der Abteilung Kultur der FDJ-Bezirksleitung Berlin, erinnert sich heute, dass die
DDR-Gesellschaft i entgegen anders lautender Bewertungen „überhaupt nicht kuschelig“ gewesen sein. Im Nachhinein sei ihm vielmehr aufgefallen, dass der „Umgang mit Randständigen sehr hart“ war. Die Nachwende-Zeit habe dann nur noch für jeden „sichtbar gemacht, was vorher schon angelegt gewesen sei“: Alles Stasi, außer Mutti, der Rest rechts.
Bernd Wagner, der aus der Kriminalitätsbekämpfung nach dem Mauerfall in die Rettung Rechtsradikaler wechselte, machte deutlich, dass schon 1985 „ein erster polizei-interner Bericht über rechte Umtriebe in der DDR vorgelegen“ habe. Jens Bisky bestätigt das: „Ost-Berlin in den späten achtziger Jahren, kurz vor dem Mauerfall, mit dem damals keiner rechnete: Wer nicht blond und blauäugig war, wer den tänzelnd tuntigen Gang nicht zu kontrollieren vermochte oder wer an Krücken ging, der passte auf, wo er hinging, der wählte in der Nacht seine Wege mit Bedacht, um nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.“
Seitdem hat sich nichts geändert, sagt Wagner. In den letzten 20 Jahren sei die Misere „politisch deutlich unterschätzt worden, was wir heute merken. Das ist tragisch.“ Auch Bisky haben sich „die Bilder der Gejagten und der jagenden Meute in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Guben eingeprägt“, nicht die Toten von Mölln oder Solingen. Statt Rechtsradikale zu verbieten, wurden sie in der DDR nur „beobachtet, ohne entschlossen einzugreifen“.
Anetta Kahane weiß es noch wie heute: „Ich habe mich in der DDR überhaupt nicht wohl gefühlt.“ Obwohl sie als Informelle Mitarbeiterin der Staatssicherheit selbst acht Jahre lang mithalf, den Sozialismus vor seinen Feinden zu schützen, hätten Neonazis in Ost-Berlin dauernd Leute zusammen geschlagen. Als sie enttäuscht den Dienst beim MfS quittierte, wurde es noch schlimmer: Das kommunistische Regime, das die Nazis schonte, um der späteren Bundesrepublik im Ausland zu schaden, entzog ihr die Reisegenehmigung. Kahane musste nun für immer im Osten bleiben und beobachten, wie Vielfalt fehlte, wie man sie zum Glück heute habe: Auch Linke schlügen engagiert zu und die gesamte Neonaziszene im Osten inklusive der NPD werde von erfahrenen Kadern aus den alten Ländern dirigiert.