Vor zwei Wochen flanierten hunderte Leutchen aus Stuttgart und Region durchs Bohnenviertel, tanzten, staunten und probierten kulinarische Spezialitäten – es war Bohnenviertelfest. Woher das Bohnenviertel seinen Namen hat? Angeblich von den Bohnen, die sich in früheren Jahrhunderten zahlreich an den Häuserwänden empor rankten. In Stuttgarts historischstem und durch seine Nähe zum Rotlicht leicht verruchten Viertel wohnten nämlich lange Zeit vor allem ärmere Menschen, die sich aber offenbar zu helfen wussten, und sich so gut es ging selbst versorgten.
Auf ihrem Streifzug durchs Revier lernen Leser unvergessene Charakterköpfe kennen – zum Beispiel die berühmte Dompteuse Claire Heliot, den “Krabbadusel” Rudolf Bühler und auch Schillers spektakuläre Flucht durchs Esslinger Tor bleibt nicht unerwähnt.
Monika Lange-Tetzlaff bummelt auf historischen und zeitgenössischen Pfaden durch die einzelnen Straßen, beispielsweise die Wagner-, die Weber- und die Brennerstraße – allesamt Straßennamen die darauf hindeuten, dass hier zuhauf traditionelles Handwerk zuhause war. Überlebt haben freilich wenige Betriebe, zum Beispiel die Firma Binder: mit ihrem Sattlerbedarf heutzutage auf den ersten Blick ein exotischer Anbieter, ist das Handwerk aktuell in der hiesigen Autoindustrie sehr gefragt.
Von den mindestens vier Seifensiederbetrieben ist lediglich Seifen Lenz übrig geblieben, der übrigens auch die größten Kerzen der Stadt herstellt. Doch hier wird natürlich nicht nur gearbeitet: die Weinstube Basta ist vor allem durch Wolfgang Schorlaus Roman-Detektiv Dengler im deutschsprachigen Raum bekannt und blickt ebenfalls auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Kein Wunder ist das Basta eine echte Bohnenviertel-Institution geworden! Auch das Restaurant Schellenturm – Teil der historischen Stadtmauer – ist nicht mehr wegzudenken, genau so wie das afrikanische Restaurant Injeera oder das Weinhaus Stetter.
Auch die Schattenseiten des Quartiers spart Monika Lange-Teztlaff nicht aus, wobei an erster Stelle immer das Stichwort “Prostitution” fällt, die seit je her vom Leonhardsviertel rüber schwappt…Doch davon lassen sich die Bohnenviertler nicht klein kriegen, im Gegenteil: es ist Ansporn genug, das Wesentliche des Viertels noch lange zu erhalten.
Am Ende des Bummels kommen auch Bewohner zu Wort, Monika Lange-Tetzlaff verrät das Rezept für einen süßen Bohnenkuchen und zieht ein hoffnungsvolles Resümee: obwohl scheinbar viele alte Bohnenviertler heute den aufmüpfigen Geist vermissen, den sie in den 1960ern und 70ern erlebt haben, lässt sich hier immer noch Kreativität und Gemeinschaft in ihrer schönsten Form erleben. Manche gehen sogar noch weiter und behaupten, das Bohnenviertel sei wie Urlaub, der direkt neben City und Stadtautobahn beginnt! Ein liebenswertes Buch und ein besonderer Ausflugsführer über ein ungewöhnlich charmantes Quartier.
Monika Lange-Tetzlaff “Bohnenviertel”, 208 Seiten, gebunden, 19 Euro 95, Theiss Verlag