Das bisschen Haushalt…

Herzlich Willkommen in der Leistungsgesellschaft, in der jede Erkenntnis ihren Wert verliert. Der Mensch ist nichts, was er leistet ist alles. Falls Du behindert, krank oder sonstwie mehrfach belastet bist, kann es Dir gut passieren, dass einige von uns Dich für wertlos halten. “Reiss Dich mal zusammen!”, sagen wir dann zu Dir oder “Mensch kann ALLES schaffen.” Und das, obwohl wir in einer Gesellschaft leben, in der kaum eine/r mehr viel erreichen kann. Die Leistung der Bevölkerung wächst, während der Wert dieser Arbeit stetig sinkt. Eine Kampfschrift gegen die angebliche besondere Belastbarkeit von Müttern.

“Eine Mutter schafft das schon”

In den letzten Tagen häufen sich auf der facebookseite von mutterseelenalleinerziehend plötzlich Kommentare wie dieser hier:

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Ein anderer, inzwischen von der Kommentatorin gelöschter, Kommentar machte den impliziten Vorwurf dieser Aussagen noch sichtbarer und lautete in etwa: “Ihr solltet erst mal soundsoviele Kinder und einen arbeitenden Mann haben, bevor Ihr den Mund aufmacht! Man kann ALLES schaffen!” Diese Kommentare sind mir auch nicht fremd von der Seite. Sie kehren immer wieder in wechselnder Kleidung. Mal ist der Angriff darin kaum zu fassen, oft springt er einem auch entgegen und hin und wieder suhlt sich gar ein/e Kommentator/in in der eigenen Leistung. “ICH habe das doch auch geschafft!”, heißt es dann zum Beispiel. Oder “Ich habe acht Kinder, einen Vollzeitjob und trotzdem immer saubere Fingernägel.”

Und das, was bei mir als Leserin eines solchen Kommentars wohl offenbar Begeisterung und Applaus auslösen soll, verursacht bei mir doch immer nur einen Brechreiz. Kann ein Mensch noch schlimmer eingenommen sein von dieser Leistungsgesellschaft? Glaubt hier tatsächlich jemand, er oder sie sei etwas besseres oder schlechteres, je nachdem was die Person so alles geleistet hat in ihrem Leben?

Und während Ihr so alles schafft, und oft genug betont, es läge an der Mutterschaft, dass Ihr so “perfekt” seid, da lasst Ihr leider eine ganze Menge außer Acht und trampelt blind auf den Gefühlen Eurer Mitmenschen herum. Und in meinen Augen, den Augen einer Facebookseitenmoderatorin, leistet Ihr auch weiter gar nichts als das. Ihr seid besonders leistungsstark, wenn es darum geht, gesellschaftliche Zusammenhänge zu verdrängen und auf Menschen herum zu trampeln.

Achtung, nun stoße ich Euch mal vor die Köpfe. Kennt Ihr Behinderung? Kennt Ihr Krankheit? Kennt Ihr die Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Gewalterfahrungen oder mit anderen Stigmata? Kommen in Eurer Welt Vielfach-Stigmatisierung vor oder hört Euer Blick auf die Welt wenige Zentimeter hinter Eurer Nasenspitze einfach auf? Oder versuchen wir es sachlicher! Wenn wir das ganze sprachlich betrachten, so ist die Aussage: “Man kann alles schaffen!” schlicht haltlos. Alles ist per Definition nicht schaffbar. Ich werde zum Beispiel niemals eine Buche auf dem Mond pflanzen können. Kein Grund zur Verzweiflung, aber unumstößliche Tatsache.

Weiter mit der Sache an sich: Weil ich eine Mutter bin, bin ich dadurch bei weitem nicht leistungsstärker als andere. Immer wieder ist in den Medien die Rede von der “besonderen Belastbarkeit alleinerziehender Mütter”, oft gepaart mit der Annahme, diese könnte \”der Arbeitswelt sehr von Nutzen sein\”. Wer sich durch derlei Annahmen geschmeichelt fühlt, verpasst die wichtigere Botschaft hinter diesen Aussagen. Du bist nur wert, was du für den Arbeitsmarkt leistest. Niemand fragt danach, wie unsere Gesellschaft von unserer Leistung profitieren könnte, bzw. längst maßlos profitiert. Gefragt wird hier nur nach Wirtschaftlichkeit und die Annahme einer stärkeren Belastbarkeit ist schlicht falsch. Wir sind so belastbar wie alle anderen. Nämlich flexibel ausweitbar, je nachdem, was wir so leisten müssen. Und weil alleinerziehende Mütter nun einmal de facto mehr leisten als viele andere, sind sie auch belasteter. Und darum wächst bei einigen glücklicherweise auch ihre Kraft, das alles zu stemmen. Damit sind sie aber eben nicht leistungsstärker geworden, sondern leistungsschwächer. Sie können nun nicht mehr Kräfte tanken, sondern müssen alle die sie haben permanent investieren. Ihr wahrer Wert und die freie Entfaltung ihrer Leistung gehen verloren.

Der bereits gelöschte Kommentar kam übrigens von einer Mutter, die nicht alleinerziehend ist und die offenbar nach Anerkennung dafür suchte, dass sie in jungen Jahren schon drei Kinder zu versorgen schafft. Und das ganze fand statt unter einem Artikel im Spiegel über die neue Studie der DKA,, die bescheinigt, dass Alleinerziehende in Deutschland unter dem größten Stress aller Kontrollgruppen leiden. Nach ihnen kommen die Studentinnen und als nächstes erwerbslose Frauen. Die Kommentatorin hätte also genau so gut die Hände austrecken können als erwerbslose Mutter. Sie hätte allen Grund gehabt, sich mit den anderen Kommentator*innen zu solidarisieren. Stattdessen begann sie aber lieber damit, ihre eigene Leistung hervorzuheben und alle anderen an ihr zu messen. Also auch behinderte Menschen, Frauen mit Gewalterfahrungen, Studentinnen ohne Aussicht auf einen Lohn für ihre Mühen, Flüchtlinge aus Krisengebieten, etc.

Wer Lust hat, sich selbst in derlei diskriminierende Kategorien einordnen zu lassen und seine Leistung per Buchhaltung belegen möchte, dem kann ich nur entgegenen, dass ich sehr glücklich bin zu wissen, dass ich auch immer noch etwas wert wäre, wenn ich ÜBERHAUPT GAR NICHTS mehr machen würde. Ich bin wertvoll, weil ich ein Mensch bin. So habe ich es gelernt und ich empfinde Mitleid mit jeder, die das nicht weiß.

Artikel 6, Absatz 4 des Grundgesetz lautet:
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Er lautet nicht:

Die Gesellschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Mütter!

Ein Beitrag von Maike von Wegen / mutterseelenalleinerziehend.de

© HaywireMedia - Fotolia.com

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