Dr. Julius Hensel, “Das Leben”, ab Seite 389: - …Was wir Bewusstsein nennen, darunter denke ich mir eine Art inneres Licht, welches durch chemische Verzehrung unserer Gehirnsubstanz erzeugt wird. Solche Verzehrung ist sehr wesentlich auf eine Verbindung des Gehirnfettes mit dem Sauerstoff angewiesen, den das Schlagadernblut zum Gehirn bringt. Die Produkte solcher chemischen Einwirkung bestehen in Kohlensäure, Wasser, phosphorsaurem Ammoniak und Harnstoff. Diese Stoffe werden mit dem vom Gehirn zurückkehrenden Venenblut fortgeschafft. Wenn aber der Verbrauch von Gehirnsubstanz in bestimmter Zeit ein gewisses Maß überschreitet, so können die entstandenen Verbrennungsprodukte mit dem langsam fließenden Venenblut nicht prompt genug fortgeschafft werden: sie verhindern dann die flotte weitere Oxidierung von Nervensubstanz und das klare Bewusstsein wird stark beeinträchtigt. Ein solcher Fall tritt z.B. ein, wenn andauernd dieselbe Stelle des Gehirns in gleichförmiger Weise in Anspruch genommen wird, z.B. durch das Anhören eines monotonen, gedankenarmen Vortrags (!). Wer bei solcher Gelegenheit die Gesichter der Zuhörer studiert, kann deutlich erkennen, wie hier und da das Bewusstsein „einschlummert“. Bei massiger Inanspruchnahme der Denkkraft mit entsprechenden Pausen hält das Bewusstsein einen ganzen Tag vor; dann aber pflegt es zu schwinden und das Bedürfnis nach Schlaf stellt sich ein, weil erst wieder neue Nervensubstanz durch die ölreichen Lymphgefäße, deren Inhalt nur langsam fließt, herbeigeschafft werden muss. Das Bewusstsein schwindet auch in dem Falle, dass die Herbeiführung von Sauerstoff zum Gehirn verhindert wird, folglich wenn die Atmung aufhört, wie beim Ertrinken oder Erwürgen; ebenso bei der Atmung von Gasarten, die keinen freien Sauerstoff enthalten (Leuchtgas, Kloakengas, Schwefelwasserstoff, Kohlensäure). Ein Hahn, dem wir die Blutgefäße am Hals durchschneiden, wird bewusstlos, weil das Blut, statt nach dem Gehirn zu gehen, in’s Freie rieselt. Legt man nun den Vogel, weil man ihn für tot hält, in die Schüssel, so kann er wieder zum Bewusstsein kommen; denn Vogelblut gerinnt ziemlich rasch, die Wunde schließt sich, und durch zahlreiche anastomosierende kleine Blutröhren setzt sich die Zirkulation wieder in Gang. Durch das Federkleid gegen rasche Abkühlung gesichert, erwacht der Hahn, den man geschlachtet zu haben glaubt, sobald wieder Sauerstoffblut zum Gehirn kommt. Dann schlägt er mit den Flügeln, rafft sich auf und rennt zum Entsetzen der Köchin aus der Schüssel davon. In gleicher Weise verlieren Soldaten im Kriege durch Blutverlust das Bewusstsein; aber wenn die Wunde sich durch Blutgerinnsel geschlossen hat und die entfernteren Körperteile ihre Blutmenge mit dem Gehirn teilen, kehrt das Bewusstsein zurück. Auch ein heftiger Schlag auf den Schädel macht bewusstlos. Hierbei ist vielleicht nicht so sehr die Erschütterung des Gehirns im Spiel, als vielmehr der Bluterguss aus zersprungenen Kapillargefäßen. Das entleerte Blut findet nicht den gewohnten Rückweg; demgemäß füllt es alle Höhlungen aus, mit der Wirkung, dass kein arterielles Blut herbeikann. Erst wenn sich neue Kapillarien gebildet haben, durch die das Blut fortgehen kann, kehrt mit dem neu herbeiströmenden Arterienblut allmählich das Bewusstsein zurück. Auch die Scham macht in solcher Weise bewusstlos, weil das Venen-Blut in der oberen Körperhälfte festgehalten wird und daher der Zustrom von frischem Arterienblut zum Gehirn verhindert bleibt. Ebenso schwindet unser Bewusstsein, wenn wir unser Blut mit Alkohol beladen, weil derselbe nun zu seiner Oxidation allen eingeatmeten Sauerstoff mit Beschlag belegt, sodass für das Gehirn nichts übrig bleibt. Das Bewusstsein kehrt erst wieder zurück, nachdem der Alkohol durch heftiges Atmen (Schnarchen) zu Kohlensäure und Wasser oxidiert und in solcher Form ausgeatmet worden ist. Nach alle diesem ist es einleuchtend, dass das Bewusstsein nichts selbstständig für sich Bestehendes, sondern nur ein Zustand ist, der die Oxidation der Gehirnsubstanz zu seiner Voraussetzung hat.