Das Abkommen und der Widerstand

Das Abkommen und der Widerstand

Quelle: Holger Ellgaard

Die Enkelinnen und Enkel des Grundgesetzes haben mitgedacht. Damals, 1968. Nun gut, nicht ganz freiwillig fürwahr, aber sie haben uns Ururgroßenkelkinder ausgestattet, um im Notstand etwas in der Hand zu haben. In der Theorie. Unsere Vorgänger haben vehement gegen die Novellierung gestritten, demonstriert und sich gewehrt. Wir hätten es ihnen damals sicher gleichgetan, als es hieß, dass die Notstandsgesetze einen neuen Faschismus in die Schuhe helfen würden. Sie konnten diese Ergänzung des Grundgesetzes nicht verhindern, wohl aber verwässern und dafür sorgen, dass sie um einige Passagen bereichert wurden. Wenn es jemanden gibt, »der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen«, so gibt es ein »Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist«, ergänzte man. Reden wir mal von TTIP und sprechen wir mal davon, dass exakt für so einen Fall der Widerstand grundgesetzlich verankert wurde.

Nicht unbedingt mit Wonne wie schon gesagt, mehr so erzwungenermaßen. Aber letztlich ist das egal. Artikel 20, Absatz 4 ist ein Produkt besorgter Bürger (allerdings von links) der damaligen Zeit, gründete auf den Protest und garantierte so ein per Verfassung attestiertes Recht auf Widerstand, falls es jemand versuchen sollte, die grundgesetzliche Ordnung auszuhebeln. Der Artikel ist das Resultat aus Sorge und Angst der Bevölkerung vor dem historischen Rahmen, in dem sich der Nachfolgestaat Hitlerdeutschlands befand. Was aber ist so ein Versuch, wenn nicht dieses Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten? Es gefährdet jeglichen gesetzlichen Anspruch, jede vom Gesetzgeber exekutierte Entscheidung, um sie gierigen Marktinteressen und diversen Wettbewerbsegalitäten zu unterwerfen. Geschaffene Gesetze sind kein Maßstab mehr, an die sich die TTIP-Realität orientieren müsste; geschaffene Gesetze müssten sich an TTIP ausrichten und neu definieren. Die Ordnung, die sich heute in Sozial- und Arbeitsmarktgesetzen, in Verbraucher- und Konsumentenschutzgesetzen zeigt, steht dann in der Gefahr, beseitigt zu werden. Ausgerechnet die Novellierung im Rahmen der Notstandsgesetze gibt uns den Handlungsrahmen wider dieses freihändlerischen Versuchs, die Ordnung zu sprengen.
Es gibt nur ein Problem bei der Sache: Wie ist dieser Widerstand dort gemeint? Der Artikel ist nicht nur nicht deutlich, er sagt ja eigentlich so gut wie nichts aus. Ist es schon Widerstand, wenn Menschen zu Hunderttausenden demonstrieren? Oder fängt Widerstand damit an, gezielt gegen die Gesetze zu verstoßen? Sagt Artikel 20, Absatz 4, dass man kurzzeitig auf die Einhaltung der Ordnung verzichten kann, um die Ordnung wiederherzustellen oder mindestens nicht gefährden zu lassen? Theordor Maunz und Günter Dürig behaupten in ihren Kommentaren zum Grundgesetz, dass das Widerstandsrecht (individuell wie kollektiv) sich durchaus gegen geltendes Recht stellen könne, sofern die Beseitigung der Ordnung objektiv vorliegt. Aber letztlich gibt es darüber keine Eindeutigkeit, denn andere Staatsrechtler (zum Beispiel Josef Isensee) mahnen an, man müsse im Widerstand stets das mildeste Mittel anwenden. Das bleibt schwammig und von Fall zu Fall zu bewerten. Grundsätzlich und -gesetzlich könnte man ja aber auch festhalten, dass die Demos gegen TTIP schon eine Form von Widerstand gegen den Angriff auf unsere Ordnung sind. Das mildeste Mittel vielleicht sogar. Was aber, wenn die, die diesen Angriff als Entscheider tragen, nicht darauf eingehen und den Widerstand der Massen arrogant wegwischen? Ist dann die Radikalisierung des Widerstandes grundgesetzlich abgesegnet? Genehmigt das Widerstandsrecht eine Spirale der Eskalation?

Es ist jedenfalls ein gefährliches Spiel, das die Entscheidungsträger da spielen. Sie lassen den Widerstand abprallen und treiben Menschen, die sich auf grundgesetzlichen Pfaden glaubten, zu anderen Aktionen, von denen sie dann annehmen, sie seien völlig richtig und nachvollziehbar, weil man ehedem den kleinen Dienstweg des Widerstandes einfach ignorierte. Das soll gar keine Angstmacherei sein, kein Fishing for Fear Scenarios, aber wir sollten ja nicht so tun, als hätte es solche Radikalisierungen in dieser Republik nicht schon mal gegeben. Als einige glaubten, der Protest fruchte nicht, da endeten sie in Raserei. Das Versagen lag damals auch bei denen, die diese irrlichternde Radikalisierung zuließen und mit ihrer offiziellen Arroganz antrieben. So wird es nicht mehr kommen, nichts wiederholt sich und falls doch, droht es uns nur als Farce. Aber anzunehmen, dass das Widerstandsrecht auf jenen Straßen endet, die oben gar nicht wahrgenommen werden, ist mehr als naiv und zeigt eigentlich nur, wie notwendig Widerstand jetzt wird, da man diese Ordnung zu entfernen trachtet und den organisierten Willen der Bevölkerung keines Blickes würdigt.
Es ist eigentlich doch ein Treppenwitz der bundesrepublikanischen Geschichte, dass man annahm, die Notstandsgesetze würden die Ordnung zerstören. Sie taten es zunächst nicht. Aber ein Passus der damaligen Novellierung erlaubt uns, denen nach Amt und Ehren zu trachten, die jetzt mit der Miene guter Kaufleute die Ordnung ökonomisieren wollen. Sie verstoßen gegen das Grundgesetz. Alle, die sich wehren, bleiben auf grundgesetzlichen Wegen. Sie sind eben keine verirrten Bürger, die nicht einsehen wollen, dass man ihnen da einen Dienst tut. Sie machen es mit dem Grundgesetz, was man von diesen Beglückern nicht behaupten kann. Ja, die Enkelinnen und Enkel des Grundgesetzes haben es gut bestellt. Das sollten die Entscheider akzeptieren, denn im Widerstand ist dann nicht jedes Mittel recht, aber doch viele, die man eigentlich in einer zivilisierten Ordnung nicht anwenden darf. TTIP setzt aber unsere Zivilisation aus. Und dann wird es problematisch.

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