Das 10. Opfer

Das 10. Opfer

Der folgende Artikel ist ursprünglich bei Hard Sensations erschienen

“Im Angesicht des Todes ist alles lächerlich.” Thomas Bernhard

Stellen Sie sich Rom vor, nicht irgendein Rom, sondern ein Rom der Zukunft, das sie im ersten Augenblickt aber an das Rom längst versunkener Zeiten und Verfilmungen erinnert.
Zwei Gladiatoren schlagen aufeinander ein, Schweiß perlt auf ihren Rücken, die sich unter der Wucht der Schläge beugen. Dann plötzlich, das Publikum konnte es längst mit angehaltenem Atem ahnen, kommt es zum finalen Stich, der sich im Magen des Gegners einen Platz zum Ruhen sucht. Der Getroffene fällt, stirbt, das entzückte Publikum applaudiert artig dem Gewinner, der sich erschöpft aus der Runde stiehlt. Der Kampf ist geschlagen, man wendet sich leeren Gesprächen und leichter/sehr leichter Musik (Bitte wählen Sie!) zu, denn wir befinden uns in einem angesagten Club des 21. Jahrhundert.
Nichts scheint sich geändert zu haben. Statt Brot und Spiele gibt es Cocktailfrüchte und Spiele.

Das Schlimmste an diesem Film, der surreal verspielt wie ein drogenbenebeltes Fernsehballett an meinen Augen vorüber tanzt, ist, dass er Spaß macht, einen Riesenspaß sogar. (Jetzt ist die üble Wahrheit ans Tageslicht gekrochen. Sie reibt sich die Augen, kneift sie zusammen und verflucht mich, weil ich ihren Schlaf gestört habe.)

Das Zehnte Opfer von Elio Petri sieht aus, als hätte man ihn aus einem Kaugummiautomaten gezogen. Die Bilder sind bunt und frech, alles ist verspielt, auch der Tod, der so bereitwillig verteilt wird. Man wirft ihn – einfach so – unter die Leute. Wie Luftschlangen, deren Biss giftig ist.

Ich lehne mich zurück, nicht lange, denn schon sieht man sie hetzen, Jäger und Opfer, sie rennen an mir/uns vorüber, weil es um viel geht, vor allem um Geld und Anerkennung.
Alles jagt alles in diesem Film. Absurdität folgt Absurdität. Witz greift nach Witz. Man kommt aus dem Staunen und Lachen gar nicht mehr raus, und am Ende sitzt man mit eingezogenen Schultern da und fragt sich, ob man sich nicht hätte schämen müssen. Aber zum Schämen ist es ja nie zu spät; vielleicht finde ich ja hier und jetzt Worte dafür.

Die Gegenwart dieser Zukunft ist spür- und hörbar, so, wenn man in einem Restaurant das Töten untersagt („Seit dem Ersten des Monats!“), und der Killer sich dann darüber erregt, sich in Fahrt redend über eine Welt, die das Töten inzwischen schon bald überall verboten haben wird. Ja, dann können wir Raucher nur nicken und diese Welt „fast“ verstehen.

Das Spiel des Todes regiert alles. Es geht um die Große Jagd, darum, von einem Computer ausgewählt und in die Wildbahnen des Planeten entsandt zu werden, um sich schießend in den totalen Ruhestand zu killen.
Caroline setzt sich auf die Spur ihres Opfers Marcello, der so gelangweilt ist, dass er nicht mal Zeit für ein paar Gesichtsmuskelübungen aufbringen kann. Immer cool, immer lässig, auch wenn die Comic-Klassiker-Sammlung vom Gerichtsvollzieher einkassiert wird. Sorgen soll er haben, nur, man merkt es diesen Zukünftigen nicht an. Marcello Mastroianni spielt Marcello Mastroianni, und so einer muss – es kann nicht anders sein – in der Fellini-Straße wohnen.

Ich liebe diesen Film (und ich liebe meine Übertreibungssucht), obwohl ich spüre, dass hier vieles nicht stimmt und das ich mir auf den Leim gehe; ich bleibe stecken, trete auf der Stelle, breit grinsend und nicht ohne später eines der alten Interviews von Robert Sheckley (der die Vorlage zum Film lieferte) zu lesen und der mich mit seinem einsteinhaften Oberlippenbart anlächelt und mir von seiner Flucht nach Ibiza erzählt. (Gespräche mit Toten können so schön sein.) So einen muss man mögen, wenn man das Herz am rechten Literaturfleck sitzen hat.

Das Zehnte Opfer hat mich zum elften Opfer gemacht, weil ich ein Fan von diesem Film bin, der dem Spektakel, das er satirisch beschreiben will, nicht entkommt, sondern es auch nur genüsslich ausbreitet.
Der Film ist nicht perfekt, ein absurdes Glücksrad, dem man anmerkt, das es keinen Hauptgewinn schenken wird, dafür aber einen Drehwurm, der sich gewaschen hat. Und dafür gebührt ihm mein tiefster Respekt.

Nein, ich schäme mich nicht, dass ich das Töten genieße, dass ich Teil einer Show werde, deren Spaßfaktor mich verzückt, einfach, weil da etwas in mir steckt, was den Tod genießen und belachen möchte. Man fühlt sich danach nicht reiner, aber leichter.
Dies von einem Film geschenkt zu bekommen, kann viel sein, in schweren Zeiten.

Italien 1965, Regie: Elio Petri

Das zehnte Opfer erscheint am 30.03.2012 bei Bildstörung (Drop Out 016). In der Spezial Edition kommt der Soundtrack auf einer separaten CD mit. Aber auch ohne dieses Extra sind Ausführung und Ausstattung – wie von Bildstörung gewohnt – überdurschschnittlich. Neben einer filmischen Dokumentation über Marcello Mastroianni gibts auch ein üppiges Booklet mit einem Text von Oliver Nöding.

 


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