Darf ich Schokolade?

Von Politropolis @sattler59

Kann ich ein Eis? – Darf ich Schokolade? – Foto: © Thommy Weiss / pixelio.de

Sprache verändert sich. Im täglichen Sprachgebrauch. In den vergangenen Jahren werden mehr und mehr Sätze gesprochen und geschrieben, die nur noch Fragmente sind. Beobachtet habe ich diese Entwicklung zum Beispiel an meinem Patenkind (8 Jahre). Er fragt nach jedem Essen “Kann ich Schokolade?” bzw. “Darf ich Schokolade?”. Das ist für mich kein vollständiger Satz. Ich warte immer, dass da noch was kommt. Und schließlich hat er sonst einen riesengroßen Wortschatz und ist dazu sehr sprachbegabt. War er schon immer. Trotzdem verwendet er seit Jahren Satzfragmente.
Anscheinend ist es in seiner Altersklasse hochmodern, am Satzbau zu sparen. Spreche ich ihn darauf an grinst er schelmisch, denn er weiß ganz genau, wie minimalistisch das ist. Und es hat doch geklappt. Ich habe ihn verstanden. Also kann man Satzbestandteile ruhig einsparen. Damit ist er nicht allein, in der Jugendsprache ist das Phänomen gang und gäbe; auch Erwachsene reduzieren den Satzbau. Ganz ehrlich, ich habe dazu eine gespaltene Meinung: Aussagen wie “Ich gehe Klo” oder “Wir müssen Supermarkt” sind für mich kein Deutsch. Auch wenn ich es verstehe mag ich es nicht. Sprache und Satzbau sind so herrliche Spielzeuge. Eine kleine Präposition kann eine Aussage in vielen Facetten unterstreichen, verändern, komplett ins Gegenteil verkehren. Was bedeutet schon “Ich laufe Brücke” im Vergleich zu “Ich laufe über eine Brücke”, “Ich laufe unter einer Brücke hindurch”, “Ich laufe auf der Steinernen Brücke über die Donau” ….

Glaubt man der Sprachforschung bewerte ich das über.
Denn in Zukunft könnte es ganz normal sein, sich überflüssigen Satzbau einzusparen. Das sagt beispielsweise dieser Artikel, denn das sei Sprache im Wandel. (1) Und ja klar, das hat es schon immer gegeben. Dagegen kann man ja nun mal nichts machen. Außerdem ist zu lesen, wäre dies Teil eines “Jugendslangs”, der sich absichtlich “quer zum Duden” ausdrückt. Sprachforscher sähen darin sogar “einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung” (2)
Parallel dazu hat sich längst, bei Jugend und Erwachsenen gleichermaßen verbreitet, die Übernahme englischer Begriffe und Worte eingeschlichen (Denglisch). Wer lädt noch zu einer “Besprechung” ein? Wir meeten! Hat auch umgekehrt geklappt, im Englischen hat sich niemand die Mühe gemacht, das Wort “Kindergarten” zu übersetzen. Lustig zu beobachten war nach dem Spiel Brasilien Deutschland beispielsweise, wie die internationalen Medien deutsche Wörter benutzten, wie “Blitzkrieg”, “Schadenfreude”, “Über alles”. (3)

Vergleicht man das Deutsch aus Herrn Goethes Tagen, so ist ganz klar: Sprache ändert sich. Damals war in den Leiden seines jungen Werther zu lesen:
“Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Ich bin allein, und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, dass meine Kunst darunter leidet.”

Würde heute vielleicht extrem verkürzt werden und übersetzt in “Bäm, Alter, endkrasses Extrem-Chilling” - “oder so”? Schon allein aus Gesprächen im Dialekt, denen ich hin und wieder lauschen darf, weiß ich ganz genau, wie überbewertet Verben oder Präpositionen sind. Im Fränkischen beispielsweise verzichtet man in Gesprächen prinzipiell auf die Endsilbe eines Wortes, statt “Könntest du bitte mal nachfragen?” heißt es “Kennst frach?”.

Alles also gar nicht schlimm. Sprachentwicklung ist ein ganz natürliches und dynamisches Zeitphänomen, in kleinen und großen Dimensionen. Und trotzdem muss es mir nicht gefallen. Und trotzdem kann ich versuchen, vollständige Sätze zu sprechen. Weil es so für mich einfach mehr Sinn macht. Und Punkt.

von Doris Schinagl

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Quellen – weiterführende Links

Die Gastautorin Doris Scharnagl betreibt den Blog “Meine Sicht der Welt” und beschreibt dort ihre Alltagsbeobachtungen, Erlebnisse, Gedanken und Ideen

Schokoladeneis – Foto: © Thommy Weiss / pixelio.de

(1) FAZ – Sprache im Wandel..
(2) Welt.deEy, Alder. Is’ ja hamma. Isch geh nachher Aldi
(3) Welt.de “Deutsche Panzer im Blitzkrieg der Schadenfreude