Meine heutigen Abendgedanken
Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine kleine Geschichte aus dem alten Berlin erzählen.
„Da verlaufe ick mir lieber…!"
"Es muss vor etwa 100 Jahren gewesen sein, der deutsche Kaiser war noch an der Macht, da machte sich Theo, ein Junge von 12 Jahren, auf Geheiß seiner Mutter auf den Weg zum Berliner Hauptbahnhof, um dort eine ältere Tante vom Zug abzuholen, welche die Familie besuchen wollte.
Da Theo aber noch nicht so oft am Berliner Hauptbahnhof gewesen war, kannte er den Weg dorthin nicht genau. Um aber nicht vom rechten Weg abzukommen, fragte er unterwegs eine feine Dame nach dem Weg zum Hauptbahnhof.
Die feine Dame, die aus besseren Kreisen stammte, wie man damals zu sagen pflegte, rümpfte die Nase über den kleinen Jungen, weil er ärmlich aussah.
Dann sagte sie zu ihm:
„Mein lieber Junge, bevor Du mich etwas fragen darfst, stelle Dich erst einmal richtig grade hin, nimm die Hände aus den Hosentaschen, kämm Dir die Haare, putz Dir die Nase und dann begrüße mich mit „Gnädige Frau“.
Wenn Du das alles machst, darfst Du mich nach dem Weg zum Bahnhof fragen!“
Theo, der zwar aus ärmlichen Verhältnissen stammte, aber nicht auf den Mund gefallen war, lachte die feine Dame aus und sagte:
„Det ist mir zu kompliziert, da verlaufe ick mir lieber!“
(Alexander Rykow)
Ihr Lieben,
die Geschichte spielt zwar vor 100 Jahren, aber das, was in der Geschichte geschieht, geschieht in abgewandelter Form jeden Tag zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Großeltern und ihren Enkelkindern.
Wenn unsere Kinder und Enkelkinder uns etwas fragen, dann sollten wir ihnen erst einmal auf ihre Fragen antworten. Wichtig ist vor allem, die Fragen, wenn es irgend geht, nicht auf später zu vertagen („Jetzt habe ich keine Zeit, aber heute Abend können wir reden!“)
Wichtig ist es, wie uns die kleine Geschichte zeigt, unsere Antwort nicht von Bedingungen abhängig zu machen („Iss erst einmal Deinen Teller leer, putz erst einmal Deine Schule, räum erst einmal Dein Zimmer auf!“).
Wenn wir unseren Kinder und Enkelkindern auf ihre Fragen nicht direkt auch antworten, werden sie eines Tages nicht mehr kommen und uns etwas fragen.
Nicht, dass ihnen unsere Antworten nicht wichtig wären, aber die jungen Menschen, besonders in der Pubertät, haben keine Lust auf Antworten, die an vorherige Bedingungen geknüpft sind!
Dann "verlaufen" sie sich lieber wie in unserer kleinen Geschichte,
als uns um eine Antwort zu bitten.
Ich wünsche Euch nun einen fröhlichen Abend und eine gute Nacht und grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt.