Da haben wir den ganzen Fortschritt!

Man könnte nun ja sagen, man wolle den Armen nur vor sich selbst, vor seiner Gewinn- oder Spielsucht schützen, womit das gerichtliche Verbot, Hartz IV-Beziehern Lottospielschein auszuhändigen, einen fürsorglichen Anstrich erhielte. Man könnte aber auch von einem demokratischen Notstand sprechen, der Empfängern des Arbeitslosengeld II Entmündigung erteilt.

Das Urteil mag in nächster oder letzter Instanz nichtig sein. In welche Richtung in deutschen Gerichten gedacht wird, das offenbart es aber trotzdem. Der Erwerbslose erhält von der öffentlichen Hand Geld - und damit, so schlußfolgert man, habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über die Ausgabeposten des jeweiligen Leistungsbeziehers Rechenschaft zu erhalten. Weil man natürlich nicht jedermanns, jederarbeitslosen Kontoaufstellungen prüfen kann, sperrt man bestimmte Ausgabemöglichkeiten einfach - diesmal soll es eben das Lottospiel sein, von dem man den Leistungsbezieher fernhalten muß. Außerdem wäre es ungerecht, wenn ein Faulpelz einen Millionengewinn einstreichen würde. Den soll es für brave Staatsbürger geben, nicht jedoch für "Staatsbürger", für die der Staat bürgt...

Und was wird nach einer solchen Entscheidung morgen fällig? Wird dann an Getränkemärkten und Tabaklädchen per Schild kenntlich gemacht, welche Art Kundschaft hier einkaufen darf? "Kauft nicht beim Juden!" hieß es damals, "Kauft nicht beim Paria!" könnte man diese braune Parole saisonbereinigt ausdrücken - heute lautet die Losung: "Laßt den Paria nicht einkaufen!" Eine mit Schmierhaar gerahmte Fratze grinste dann verlegen am Eingang, "Wir müssen draußen bleiben!" maßregelte sie. Natürlich, das ist übertrieben und daher geschmacklos, werden manche einwenden. Aber genau diese Art von rechtlichem Nihilismus ist es doch, die auf solche Abgründe zuführt. Der Hartz IV-Empfänger, saisonbereinigt gesagt, die "unproduktive Ballastexistenz", sie wird einer Segregationspolitik ausgeliefert, die den gelben Stern, der heute freilich nicht mehr gelb oder Stern sein muß, sondern vielleicht rot und mit großem A erscheint, am Revers tragen soll.

Die traurigste Erkenntnis daran ist dabei nicht mal, dass alte Mechanismen in heutigen Köpfen wieder greifen. Der Mensch ist unzulänglich genug, stets diesselben Fehler zu machen - als Einzelperson tappt man manchmal lebenslang in dieselben Dilemmas; wie soll dann die Menschheit davor gefeit sein, stets neu ins Verderben zu trampeln? Das ist traurig, aber nicht das traurigste Detail. Schlimmer ist es nämlich, dass diese Segregation, die einst mit Hass und Geifer betrieben wurde in diesem Lande, heute mit einem fürsorglichen Lächeln getan wird. Wo einstmals mit Grimm und galliger Hysterie gegen Parias aufgetischt wurde, da grüßen heute betuliche Mienen, gaukelt man ein umsichtig väterliches Herz vor. Man hält den armen Schlucker doch nicht aus Boshaftigkeit vom Lottospiel fern; man tut es, weil man nicht will, dass er verarmt; man will bloß nicht, dass er zum Opfer seines Spieltriebes wird.

Selektive Politik, die langsam aber zielgerichtet gegen bestimmte unliebsame Bevölkerungsgruppen polarisieren möchte, indem sie das Gleichheitsprinzip nach und nach aufgibt, die wird nicht wie dazumal mit grantigem Gesichtsausdruck umgesetzt - heute lächelt man allerorten, auch dort, wo Parias hergestellt werden. Die Diktatur schreiender Herren ist, wir sind froh darüber, perdu - wird sind fortgeschritten! Wir leben in einer Diktatur rücksichtsvoll lächelnder Damen und Herren, die ihren ganzen sozialrassistischen Dünkel hinter frohen Mienen verkappen. Da haben wir den ganzen Fortschritt!


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